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Im Grunde bin ich mit wenig zufrieden: zum Beispiel, daß der Regen aufgehört hat und in diesem glücklichen Süden eine prächtige Sonne scheint, daß die Bananen gelber wirken, weil sie schwarze Flecken haben, daß Leute sie verkaufen, weil sie reden können, daß da die Rua da Prata mit ihren Bürgersteigen ist und im Hintergrund der Tejo, blau, grün-golden, und dieser kleine vertraute Winkel im großen System des Universums.

Der Tag wird kommen, an dem ich all dies nicht mehr sehe, an dem mich die Bananen am Rand des Bürgersteiges überleben, die Stimmen der gewitzten Verkäuferinnen und die Tageszeitungen, die der Junge nebeneinander an der Ecke des gegenüberliegenden Bürgersteigs ausgebreitet hat. Ich weiß wohl, daß die Bananen andere sein werden und die Verkäuferinnen und auch die Zeitungen dem, der sich nach ihnen bückt, um sie sich anzusehen, ein anderes Datum als das heutige zeigen werden. Doch sie dauern fort, weil sie nicht leben, auch als andere nicht; ich vergehe, weil ich lebe, auch als der Immergleiche.

Ich könnte diese Stunde durchaus feierlich begehen, mit dem Kauf von Bananen, denn mir scheint die ganze Sonne ist auf sie gefallen wie ein Lichtbündel ohne Quelle. Doch ich scheue mich vor Ritualen, vor Symbolen, vor Käufen auf der Straße. Man könnte mir die Bananen nicht gut verpacken, sie mir nicht verkaufen, wie sie verkauft werden sollten, weil ich nicht weiß, wie man sie kaufen muß. Man könnte sich über meine Stimme wundern, wenn ich nach dem Preis frage. Schreiben ist besser als das Wagnis zu leben, auch wenn leben nichts anderes ist als Bananen in der Sonne kaufen, solange die Sonne scheint und es Bananen zu kaufen gibt.

Später vielleicht … Ja, später … Vielleicht ein anderer … Ich weiß nicht …

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Nur etwas erstaunt mich mehr als die Dummheit, mit der die meisten Menschen ihr Leben leben: die Intelligenz, die in dieser Dummheit steckt.

Dem Schein nach ist die Eintönigkeit der normalen Lebensläufe entsetzlich. Ich speise in diesem einfachen Restaurant und schaue über den Tresen auf die Gestalt des Kochs und neben mir auf den schon bejahrten Ober, der mich bedient, wie er seit schätzungsweise 30 Jahren in diesem Haus bedient. Was für ein Leben führen diese Menschen! Seit fast vierzig Jahren verbringt diese Gestalt fast den ganzen Tag in einer Küche, kennt nur ein paar kurze Ruhepausen, schläft verhältnismäßig wenig, reist ab und zu in seinen Heimatort, kommt ohne Zögern und ohne Kummer zurück, legt langsam ein spärliches Geld auf die hohe Kante, das nicht ausgegeben werden darf; der Koch würde krank, wenn er sich aus seiner Küche endgültig auf das Stück Land zurückziehen müßte, das er in Galicien erstanden hat; er lebt seit vierzig Jahren in Lissabon und war noch nicht einmal am Platz des Marquis de Pombal, geschweige denn im Theater. Ein einziger Tag mit Zirkusclowns lebt in den inneren Spuren seines Lebens fort. Er hat geheiratet, wie und weshalb weiß ich nicht, hat vier Söhne und eine Tochter, und wenn er sich über den Tresen in meine Richtung lehnt, spricht aus seinem Lächeln ein großes, feierliches, zufriedenes Glück. Dabei verstellt er sich nicht, und es ist auch kein Grund vorhanden, weshalb er sich verstellen sollte. Wenn er sich glücklich fühlt, dann, weil er es wirklich ist.

Und der alte Ober, der mich bedient und eben vor mir niederstellt, was gewiß der millionste Kaffee seiner Kellnerlaufbahn sein dürfte? Er führt das gleiche Leben mit einem Unterschied von vier oder fünf Metern – der Entfernung zwischen dem Arbeitsplatz des einen in der Küche zu dem Arbeitsplatz des anderen im äußeren Bereich des Restaurants. Im übrigen hat er nur zwei Kinder, reist häufiger nach Galicien, hat schon mehr von Lissabon gesehen als der andere und kennt die Stadt Porto, wo er vier Jahre verbrachte, und ist gleichfalls glücklich.

Bestürzt und bang betrachte ich das Panorama dieser Lebensläufe, und während sie Entsetzen, Mitgefühl und Revolte in mir auslösen, entdecke ich, daß diejenigen, die weder Entsetzen noch Mitgefühl noch Revolte verspüren, ein Anrecht darauf hätten, sie zu verspüren, da genau sie diese Lebensläufe leben. Das ist der zentrale Irrtum der literarischen Phantasie: zu vermuten, daß die anderen wir sind und daß sie wie wir fühlen müssen. Aber zum Glück für die Menschheit ist jeder Mensch nur der, der er ist, und nur dem Genie ist es gegeben, außerdem noch ein paar andere Menschen zu sein.

Letztlich wird uns alles entsprechend den Gegebenheiten zugeteilt. Ein kleiner Zwischenfall auf der Straße, der den Koch meines Restaurants an die Tür ruft, unterhält ihn mehr als mich die Betrachtung des originellsten Gedankens, die Lektüre des besten Buches, der willkommenste nutzlose Traum. Und wenn das Leben im wesentlichen Eintönigkeit ist, so ist es eine Tatsache, daß er der Eintönigkeit eher entronnen ist als ich. Und dazu noch leichter. Die Wahrheit liegt nicht bei ihm und nicht bei mir, weil sie bei niemandem liegt; aber das Glück ist wirklich bei ihm zu finden.

Weise ist, wer seine Existenz eintönig gestaltet, dann nämlich besitzt jeder kleine Zwischenfall das Privileg eines Wunders. Der Löwenjäger erlebt kein Abenteuer über den dritten Löwen hinaus. Für meinen eintönigen Koch hat eine Ohrfeigenszene auf der Straße immer noch etwas von einer bescheidenen Apokalypse. Wer nie aus Lissabon herausgekommen ist, fährt mit der Straßenbahn in den Vorort Benfica, schier in die Unendlichkeit, und wenn er eines Tages nach Sintra fährt, meint er, er sei bis zum Mars gereist. Der Reisende, der die ganze Erde durcheilt hat, findet nach 5000 Meilen nichts Neues mehr, denn er kann nur neue Dinge finden; Neues und wieder Neues, Altes im ewig Neuen, denn der abstrakte Begriff der Neuheit ist schon bei der nächsten Neuheit im Meer zurückgeblieben.

Ein Mensch kann, wenn er denn wirklich weise ist, das gesamte Schauspiel der Welt von einem Stuhl aus genießen, ohne lesen zu können, ohne mit jemandem zu reden, nur seine Sinne gebrauchend und mit einer Seele begabt, die nicht traurig zu sein versteht.

Man sollte die Existenz eintönig gestalten, damit sie nicht eintönig wird. Den Alltag beruhigen, damit auch die kleinste Einzelheit eine Zerstreuung mit sich bringt. Mitten in meiner dumpfen, gleichförmigen, nutzlosen Tagesarbeit steigen in mir Fluchtvisionen auf, erträumte Spuren ferner Inseln, Feste auf Parkalleen anderer Epochen, andere Landschaften, andere Gefühle, ein anderes Ich. Aber zwischen zwei Eintragungen sehe ich ein, daß nichts davon, wenn ich dies alles besäße, mir gehörte. In Wahrheit ist Chef Vasques mehr wert als die Könige des Traumes; in Wahrheit ist das Büro in der Rua dos Douradores mehr wert als die großen Alleen unmöglicher Parks. Wenn ich Herrn Vasques zum Vorgesetzten habe, kann ich den Traum der Könige des Traumes genießen; wenn ich das Büro in der Rua dos Douradores habe, kann ich den inneren Anblick von Landschaften genießen, die nicht existieren. Wenn ich aber die Könige des Traums besäße, was bliebe mir dann zu träumen übrig? Wenn ich die unmöglichen Landschaften besäße, was bliebe mir dann an Unmöglichem übrig?

Die Eintönigkeit, die dumpfe Gleichheit der Tage, die völlige Unterschiedslosigkeit zwischen gestern und heute – sie mögen mir für immer bleiben und dazu die wache Seele, um mich mit der Fliege zu unterhalten, die zufällig an meinen Augen vorbeisurrt, das Gelächter auszukosten, das unbeständig von der ungewissen Straße emporsteigt, und die ungeheure Befreiung, daß es Zeit wird, das Büro zu schließen, die unendliche Erholung eines Feiertages.

Ich kann mir vorstellen, alles zu sein, weil ich nichts bin. Wäre ich etwas, könnte ich mir das nicht vorstellen. Der Hilfsbuchhalter kann träumen, er sei Kaiser des Römischen Reiches; der König von England kann das nicht, weil es dem König von England genommen ist, in Träumen ein anderer König zu sein, als er ist. Seine Wirklichkeit verleidet ihm das Fühlen.