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Warum also schreibe ich? Weil ich, der Prediger des Verzichts, noch nicht gelernt habe, ihn voll und ganz zu üben. Ich habe noch nicht gelernt, meiner Neigung zu Vers und Prosa zu entsagen. Ich muß schreiben, als müßte ich eine Strafe verbüßen. Und meine größte Strafe besteht im Wissen, daß, was immer ich schreibe, nichtig, verfehlt und ungewiß sein wird.

Bereits als Kind habe ich Verse geschrieben. Und so schlecht sie auch waren, ich hielt sie für vollkommen. Nie wieder werde ich das trügerische Vergnügen erleben, ein vollkommenes Werk zu schaffen. Was ich heute schreibe, ist weitaus besser. Es ist sogar besser, als manch einer der Besten schreiben könnte. Und doch bleibt es unendlich weit hinter dem zurück, was ich, nicht wissend warum, fühle, daß ich es schreiben könnte oder meinethalben auch sollte. Ich weine über meine schlechten Kindheitsverse wie über ein totes Kind, einen toten Sohn oder eine letzte entschwundene Hoffnung.

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Je weiter wir fortschreiten im Leben, um so überzeugter werden wir von zwei, wenngleich widersprüchlichen, Wahrheiten. Die erste ist, daß angesichts der Wirklichkeit des Lebens alle Erfindungen von Kunst und Literatur blaß wirken. Sie bereiten uns zweifelsohne ein nobleres Vergnügen als die Vergnügen des Lebens, sind aber wie Träume, die uns Gefühle bescheren, die man im Leben nicht fühlt, und die Formen zusammenfinden lassen, die im Leben nie zusammenkommen; alles in allem Träume, die, erwacht man aus ihnen, weder Erinnerungen noch Sehnsüchte hinterlassen, mit denen wir ein zweites Leben leben könnten.

Und die zweite Wahrheit ist: Da jede edle Seele das Leben als Ganzes erfahren möchte, mit all seinen Dingen, all seinen Orten und lebendigen Gefühlen, dies aber objektiv unmöglich ist, kann das Leben nur subjektiv erfahren werden und nur in der Verneinung in seiner Ganzheit gelebt werden.

Diese beiden Wahrheiten schließen einander aus. Wer klug ist, wird darauf verzichten, sie miteinander vereinbaren zu wollen, ebenso wie die eine oder andere zu verwerfen. Dennoch wird er der einen oder anderen folgen müssen und sich nach der sehnen, der er nicht folgt; oder aber beide verwerfen, indem er sich über sich selbst in ein eigenes Nirwana erhebt.

Glücklich, wer vom Leben nicht mehr verlangt, als es ihm aus freien Stücken gibt, und sich vom Instinkt der Katzen leiten läßt, die Sonne suchen, wenn Sonne scheint, und wenn sie nicht scheint die Wärme, wo auch immer sie zu finden ist. Glücklich, wer auf seine Persönlichkeit zugunsten der Vorstellungskraft verzichtet, sich am Betrachten fremder Leben erfreut und, wenn auch nicht alle Eindrücke, so doch das äußere Schauspiel der Eindrücke anderer erlebt. Glücklich, zu guter Letzt, wer auf alles verzichtet und wer, da er auf alles verzichtet hat, um nichts beschnitten oder gebracht werden kann.

Der Bauer, der Romanleser, der reine Asket – diese drei kennen das Glück des Lebens, denn alle drei verzichten auf ihre Persönlichkeit – der eine, weil er instinkthaft lebt und somit unpersönlich, der andere, weil er in der Vorstellungswelt lebt und somit im Vergessen, der dritte, weil er nicht lebt und, da er nicht tot ist, schläft.

Nichts genügt mir, nichts tröstet mich, ich bin alles – ob es war oder nicht – satt. Ich will keine Seele und will nicht auf sie verzichten. Ich möchte, was ich nicht möchte, und verzichte auf das, was ich nicht habe. Ich kann weder nichts noch alles sein: Ich bin die Brücke zwischen dem, was ich nicht habe, und dem, was ich nicht will.

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… die feierliche Traurigkeit, die allem Großen innewohnt – hohen Bergen wie bedeutenden Leben, tiefen Nächten wie unsterblichen Gedichten.

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Haben wir nur geliebt, dürfen wir sterben.

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Ich wurde nur einmal wahrhaft geliebt. Freundlichkeit fand ich immer, bei allen Menschen. Selbst solche, die ich nur flüchtig kannte, zeigten sich mir gegenüber selten grob, abweisend oder gar kalt. Und so manche der Freundlichkeiten hätte ich – vielleicht – mit etwas Zutun in Liebe oder Zuneigung verwandeln können. Doch brachte ich nie die Geduld oder geistige Aufmerksamkeit auf, um überhaupt eine solche Anstrengung unternehmen zu wollen.

Zunächst glaubte ich – so wenig kennen wir uns selbst –, Schüchternheit sei der Grund für meine seelische Passivität. Doch dann entdeckte ich, daß vielmehr ein emotionaler Überdruß ausschlaggebend war, der anders ist als der Lebensüberdruß, mir fehlte die Geduld, mich auf ein kontinuierliches Gefühl einzulassen, insbesondere wenn dies beständig Anstrengung verlangte. »Wozu?« dachte in mir, was nicht denkt. Ich besitze genügend Scharfsinn und ausreichend psychologisches Taktgefühl, um das »Wie« zu kennen; das »Wie des Wie« hingegen hat sich mir nie entschlüsselt. Der Grund für meine Willensschwäche lag stets in der mangelnden Kraft meines Willens, zu wollen. So erging es mir mit meinen Emotionen, mit meinem Intellekt, mit meinem Willen selbst und mit allem, was das Leben ausmacht.

Dieses eine Mal jedoch, als eine boshafte Gelegenheit mich glauben machte, daß ich liebte, und ich feststellte, daß meine Liebe wirklich erwidert wurde, reagierte ich zunächst benommen und verwirrt, als sei mir das große Los zugefallen – in einer nicht konvertiblen Währung. Dann überkam mich, denn kein menschliches Wesen ist gegen sie gefeit, eine leichte Eitelkeit; doch so natürlich diese Gefühlsregung auch erscheinen mag, sie verflog rasch. Ein unangenehmes, schwer zu bestimmendes Gefühl stellte sich ein, verbunden mit Überdruß, Erniedrigung und Müdigkeit.

Überdruß, als hätte das Schicksal mir eine Aufgabe zugedacht, befremdliche Überstunden. Überdruß, als hätte man mir eine neue Verpflichtung aufgebürdet – die zur schrecklichen Gegenseitigkeit – und ironisch als Privileg bemäntelt, für das ich dem Schicksal zu meinem Ärger auch noch dankbar sein müßte. Überdruß, als genügte die haltlose Monotonie des Lebens nicht vollauf, sondern müßte noch durch die zwangsläufige Monotonie eines bestimmten Gefühls verstärkt werden.

Und Demütigung, ja, Demütigung. Es dauerte eine Weile, bis ich den Grund für jenes scheinbar so wenig gerechtfertigte Gefühl verstand. Die Lust, geliebt zu werden, hätte sich bei mir einstellen müssen. Es hätte mich mit eitler Freude erfüllen müssen, daß jemand auf mich als liebenswertes Wesen aufmerksam geworden war. Doch abgesehen von dem kurzen Augenblick wirklichen Eingebildetseins, von dem ich gleichwohl nicht weiß, ob an ihm nicht das Staunen mehr Anteil hatte als die Eitelkeit, verspürte ich vor allem Demütigung. Es war, als hätte man mich mit einer Art Auszeichnung bedacht, die eigentlich einem anderen zukam – einer Auszeichnung von Wert nur für den, der sie von Natur aus verdiente.

Vor allem aber verspürte ich Müdigkeit, Müdigkeit mehr noch als Überdruß. Und ich verstand mit einem Mal einen Satz von Chateaubriand, den ich aus Mangel an eigener Erfahrung stets falsch verstanden hatte. Chateaubriand sagt in Gestalt seines René: »Es ermüdete ihn, geliebt zu werden« – »on le fatiguait en l’aimant«. Ich erkannte erstaunt, daß diese Erfahrung sich mit der meinen deckte, und folglich konnte ich ihren Wahrheitsgehalt nicht leugnen.

Wie ermüdend, geliebt zu werden, wahrhaft geliebt zu werden! Wie ermüdend, das Objekt emotionaler Belastungen eines anderen zu sein! Sich, wenn man sich frei, immer frei hat sehen wollen, mit einem Mal die Last der Verantwortung aufzubürden, Gefühle zu erwidern und so anständig zu sein, sich nicht zu entziehen, damit nur ja keiner auf den Gedanken kommt, man sei ein Prinz in Sachen Emotion und weise zugleich das Höchste zurück, das eine menschliche Seele zu geben vermag. Wie ermüdend, unsere Existenz ganz und gar abhängig zu sehen von der Gefühlsbeziehung zu einem anderen Menschen! Wie ermüdend, gezwungenermaßen fühlen zu müssen, gezwungenermaßen ebenfalls ein bißchen lieben zu müssen, wenn auch ohne die volle Erwiderung!