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Professor Jokus von Pokus schien sich zu wundern. »Wozu die Umstände? Die zwei Strolche haben Mäxchen geraubt und wollten ihn ins Ausland verschleppen. Dafür gehören sie ins Zuchthaus, und an ihrer Verurteilung ist nicht zu zweifeln. Wie sie in Wirklichkeit heißen und ob sie früher silberne Löffel oder goldene Uhren gestohlen haben, spielt doch dabei überhaupt keine Rolle!«

»Für Sie nicht, aber für uns«, sagte Herr Steinbeiß nachsichtig. »Denn erstens verschärfen Vorstrafen das bevorstehende Strafmaß. Und zweitens möchten wir endlich dem sagenhaften Senor Lopez ans Leder. Der Kahle Otto hat dem kleinen Mann sehr interessante Dinge erzählt. Vielleicht bringe auch ich ihn ein bisschen zum Reden.«

Mäxchen erschrak. »Wollen Sie ihn foltern?«

»Unsinn«, knurrte Herr Steinbeiß.

»Für einen Räuber hat er sich nämlich ganz nett zu mir benommen. Er ist mehr dumm als böse.«

»Auch die Dummen sind gefährlich«, stellte der Kommissar fest.

In diesem Moment kippte Mäxchen hintenüber und fiel mitten

in den Aschenbecher. Als er sich wieder hochgerappelt hatte, sah er ziemlich unschön aus und musste niesen.

Der Jokus angelte den Dreckspatz mit spitzen Fingern aus der Zigarrenasche, putzte ihn, so gut es ging, sauber und erklärte: »Aschenbecher sind kein Aufenthalt für Nichtraucher. Merk dir das!«

Im Warteraum vorm Zimmer des Kommissars standen zwei braune Holzbänke. Auf der einen Bank saß, zwischen zwei Wachtmeistern in Uniform, der Kahle Otto. Und auf der anderen Bank saß Bernhard. Auch zwischen zwei Wachtmeistern.

»Dämliche Warterei«, brummte Otto. »Man sitzt rum wie beim Zahnarzt.«

Bernhard sah ihn drohend an. »Aber beim Zahnarzt muss man den Mund weit aufmachen. Bei der Polizei hingegen .«

»Ruhe!«, rief ein Wachtmeister ärgerlich.

»Sie sollen den Mund halten!«, befahl ein andrer.

»Da hörst du’s«, sagte Bernhard und lächelte hinterhältig. »Sogar die Polizei verlangt, dass du die Schnauze hältst.«

»Das gilt auch für Sie!«, rief der dritte Wachtmeister aufgebracht. »Und nun kein Wort mehr!«

»Einverstanden«, gab Bernhard zur Antwort.

»Einverstanden«, wiederholte der Kahle Otto und blickte ängstlich zu Bernhard hinüber. Dann schwiegen alle sechs und warteten weiter.

Zuerst wurde Bernhard geholt. Er nahm dem Kommissar gegenüber Platz, schlug ein Bein übers andere und musterte die Besucher flüchtig. Auch dem kleinen Mann, der jetzt auf einer angebrochenen Zigarettenschachtel hockte, schenkte er keine besondere Aufmerksamkeit. Er blickte sich seelenruhig in dem hässlichen Büro um und sagte: »Schön haben Sie’s hier.«

Der Schüler Hurtig kicherte. Der Kommissar hatte heute keinen Sinn für Humor. Er war zu müde. »Lassen Sie die Witze! Sie und Ihr Kumpan haben den minderjährigen Artisten Max Pichelsteiner aus einem Berliner Hotel entführt, in der Wohnung eines leer stehenden Hauses gefangen gehalten und wollten mit ihm ins Ausland fliehen.«

»Schon jetzt darf ich einiges richtig stellen«, erklärte Bernhard. »Den minderjährigen Artisten Max Pichelsteiner habe ich, als Kellner verkleidet, ohne Ottos Mithilfe entführt. Und dass wir ihn ins Ausland mitnehmen wollten, ist eine unbewiesene und unbeweisbare Behauptung Ihrerseits.«

»Sie wollten ihn also nicht nach Südamerika verschleppen?«

»Das hätte mir gerade noch gefehlt! Dieses kleine brüllende Ungeheuer?« Bernhard schüttelte sich vor Abscheu. »Bis nach Südamerika? Warum? Das kenne ich nur aus dem Schulatlas.«

Mäxchen sprang auf und drohte ihm mit den Fäusten. »Sie lügen! Sie wollten mich zu Lopez bringen!«

»Lopez?« Bernhard tat verwundert. »Nie gehört.«

»So, so. Und warum haben Sie dann den Jungen überhaupt gestohlen?«, fragte Herr Steinbeiß.

»Das ist eine lange Geschichte.«

»Machen Sie die lange Geschichte kurz«, sagte der Kommissar.

»Ich habe nämlich einen Komplex«, begann Bernhard. »Und ich hatte diesen Komplex schon als Kind. Wenn ich eine leere

Streichholzschachtel sah, nahm ich sie, tat was Lebendiges hinein und schleppte die Schachtel mit mir rum. Manchmal war’s ein Maikäfer oder eine Hummel oder ein Schmetterling. Oder ein Mistkäfer. Oder eine Schmeißfliege. Da surrte und brummte und flatterte es dann in der Schachtel und in meiner Hosentasche. Es gab für mich nichts Aufregenderes. Und als ich von dem kleinen Mann in der Zeitung las, hatte ich keine Ruhe mehr.«

»Ich bin aber kein Mistkäfer!«, schrie Mäxchen empört.

»Komplexe sind eine Krankheit«, seufzte Bernhard.

»Man sollte ihm die Hosentaschen zunähen«, meinte der Schüler Hurtig.

Der Kriminalkommissar drückte auf einen Klingelknopf. »Besten Dank für Ihren Komplex, Herr ... Wie heißen Sie eigentlich? Oder noch besser: Wie hießen Sie, als Sie noch Maikäfer vom Baum schüttelten?«

»Ich wäre Ihnen sehr gern behilflich«, sagte Bernhard. »Das ist ja klar. Aber ich habe meinen Geburtstag und den Geburtsort vergessen. Es ist alles schon so lange her.«

Einer der vier Wachtmeister trat ins Zimmer.

»Abführen!«, befahl Herr Steinbeiß. »Und bringen Sie den anderen.«

Der Kahle Otto saß nun auf dem Stuhl, auf dem vorher Bernhard gesessen hatte. Er döste vor sich hin und stierte auf die Schreibtischplatte.

»Hallo!«, rief Mäxchen.

»Mit so was wie du red ich nich«, sagte Otto. »Ich war wie ’ne Mutter zu dir, und du hast mich reingelegt. Bauchschmerzen und

Baldriantropfen, und ich Dussel sause los - nee, da verliert man jeden Glauben.« Er schüttelte verzweifelt den Kahlkopf. »Was soll bloß aus der Welt werden, wenn schon so kleine Jungs so heimtürkisch sind!«

»Heimtückisch«, verbesserte Jakob Hurtig.

Otto winkte ab. »Is ja egal und Jacke wie Hose. Ich bin ’ne Seele von Mensch, und er hat mich verpfiffen. Das darf nich mal ’n Zwerg.«

»Für einen Kinderdieb sind Sie mir ein bisschen zu vorlaut«, sagte der Jokus ruhig und beugte sich vor.

»Ich mach den Mund überhaupt nich mehr auf«, meinte Otto, »nur noch beim Zahnarzt.«

»Das wäre unklug, mein Lieber«, sagte der Kommissar. Dann holte er aus dem linken Seitenfach eine Flasche Schnaps und ein Wasserglas hervor, stellte beides auf den Schreibtisch und lächelte, als sei er Ottos Lieblingsonkel. »Sie haben den kleinen Mann nicht geraubt. Das hat Ihr Komplize Bernhard besorgt. Immerhin haben Sie sich der Beihilfe schuldig gemacht. Auch das ist ein schweres Verbrechen. Aber >Beihilfe< ist ein dehnbarer Begriff.«

Der Kahle Otto starrte wie hypnotisiert auf die volle Flasche und das leere Glas.

»Es liegt im Ermessen des Gerichts, wie hoch Ihre Strafe ausfallen wird.« Herr Steinbeiß goss das Wasserglas halb voll, schob es zu Otto hinüber und sagte: »Prost!«

Otto packte das Glas, und ehe die anderen bis drei zählen konnten, war es leer. Er grunzte vor Wonne, stellte das Glas auf den Schreibtisch zurück, holte tief Luft und fragte: »Also was wollense wissen?«

»Sie haben dem kleinen Mann, während Sie ihn gefangen hielten, allerlei erzählt. Von einem gewissen Senor Lopez. Er sei der reichste Mann der Welt, lebe zwischen Santiago und Valparaiso in einer geheimnisvollen Burg, sammle alte Gemälde und junge Ballettmädchen und lasse sich von hundert Scharfschützen bewachen. Sie selber und Bernhard hätten vor zwei Jahren in Lissabon eine Zigeunerin entführt, die dem Lopez seitdem täglich die Karten legen müsse. Was wissen Sie noch über diesen Mann und seine Mitarbeiter? Hat er Ihnen den Auftrag, den kleinen Mann zu stehlen, direkt erteilt? Wann und wo? Oder wer war der Mittelsmann? Wie heißt er?«

Otto starrte die Flasche an, fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schwieg.

»Eine Hand wäscht die andere«, stellte der Kommissar fest.