Выбрать главу

C. S. Lewis

Die Tür auf der Wiese

Eine Geschichte aus dem Wunderlande Narnia

1. Das Ding im Kesselteich

Es war in den letzten Tagen des Wunderlandes Narnia, da lebte weit oben im Westen hinter dem Laternendickicht und nahe am großen Wasserfall ein Affe. Hier im tiefen Wald hatte nämlich die Hexe Jadis mitten unter dichte Bäume eine ständig leuchtende Laterne hingezaubert. Niemand wußte, wann der Affe zum ersten Mal in dieser Gegend gesehen wurde. Einen zweiten, ebenso siebengescheiten, dazu so häßlichen und verrunzelten Affen gab es wohl nirgends. Er bewohnte ein kleines Holzhaus, mit Laub gedeckt, oben in der Astgabel eines großen Baumes. Der Affe hieß Kniff.

Es lebten nur wenige sprechende Tiere, Menschen, Zwerge oder sonstige Lebewesen in diesem Teil des Waldes. Einen Freund und Nachbarn aber hatte Kniff doch, einen Esel namens Grauohr. Beide behaupteten, Freunde zu sein. Aber Grauohr war mehr Kniffs Diener als sein Freund, denn er verrichtete alle Arbeit. Wenn sie zusammen zum Fluß gingen, füllte Kniff die großen Fellflaschen mit Wasser, aber Grauohr mußte sie tragen. Hatten sie irgend etwas aus dem Städtchen weiter unten am Fluß zu besorgen, so stieg Grauohr hinab. Auf seinem Rücken trug er die leeren Körbe und kam mit schweren, gefüllten Körben wieder. Und all die leckeren Dinge, die er mitbrachte, verzehrte Kniff allein.

»Du siehst selbst, Freund Grauohr«, sagte der Affe, »ich kann kein Gras und keine Disteln fressen wie du. Ich brauche andere Sachen.«

Und Grauohr erwiderte stets: »Natürlich, Kniff, natürlich. Das sehe ich doch ein.«

Grauohr beklagte sich nie, weil er wußte, daß Kniff viel klüger war als er. Er fand es nett von Kniff, daß er sein Freund sein durfte. Hatte Grauohr aber doch einmal etwas einzuwenden, so erklärte Kniff einfach:

»Ich verstehe besser als du, was getan werden muß. Du weißt, du bist nicht klug, Grauohr.«

Und Grauohr antwortete darauf: »Du hast ganz recht, Kniff, ich bin nicht klug.« Er seufzte und tat dann alles, was Kniff wollte.

Eines Morgens im Frühjahr gingen die beiden am Ufer des Kesselteiches spazieren. Dieser große Teich liegt genau unter den Felsen am westlichen Ende von Narnia. Ein großer Wasserfall stürzt in den Teich hinunter mit einem Getöse wie unaufhörlicher Donner, auf der anderen Seite des Teiches aber fließt der Narniafluß heraus. Der Wasserfall läßt den Teich tanzen und schäumen und wühlt das Wasser auf, als ob es kochte. Daher der Name ›Kesselteich‹. Am lebhaftesten benimmt sich der Wasserfall im zeitigen Frühjahr, wenn der Schnee schmilzt und das Wasser von den Bergen herabläuft, woher der Fluß kommt.

Als die beiden Tiere auf den Kesselteich blickten, streckte Kniff plötzlich seinen braunbehaarten Zeigefinger aus und rief: »Sieh doch, was ist das?«

»Was ist was?« fragte Grauohr.

»Da, das gelbe Ding, das gerade den Wasserfall hinabschießt. Da ist es wieder. Es treibt. Wir müssen herauskriegen, was das ist.«

»Müssen wir das?« fragte Grauohr.

»Natürlich müssen wir das«, antwortete Kniff. »Es kann doch etwas Brauchbares für uns sein. Sei so nett, spring schnell in den Teich und fisch es heraus. Dann können wir es uns genauer ansehen.«

»In den Teich springen?« fragte Grauohr mit schlackernden Ohren.

»Na, wie sollen wir es sonst herausholen, wenn du nicht hineinspringst?« fragte der Affe.

»Aber…aber«, stammelte Grauohr, »wäre es nicht besser, wenn du ins Wasser gingest? Du willst ja unbedingt wissen, was das ist, und ich bin gar nicht so neugierig. Du hast doch auch Hände mit auf die Welt bekommen. Du bist so gut dran wie ein Mensch oder ein Zwerg, denn du kannst Dinge festhalten. Ich aber habe nur Hufe.«

»Wirklich, Grauohr«, sagte Kniff, »ich hätte nicht gedacht, daß du so etwas von mir verlangen könntest. Wirklich, das hätte ich von dir nicht gedacht.«

»Warum, was habe ich denn Unrechtes gesagt?« fragte der Esel kleinlaut, denn er merkte, daß Kniff tief gekränkt war. »Ich meinte doch nur, daß du …«

»Von mir zu wollen, daß ich ins Wasser gehe!« sagte der Affe. »Als ob du nicht sehr gut wüßtest, was für eine schwache Brust wir Affen haben und wie leicht wir uns erkälten! Nun gut. Ich will hineingehen. Mir ist zwar schon ganz kalt in diesem grausamen Wind, aber ich gehe. Wahrscheinlich werde ich daran sterben. Das wird dir leid tun.« Kniffs Stimme klang ganz so, als ob er gleich in Tränen ausbrechen müßte.

»Bitte, tu es nicht! Bitte, tu es nicht! Bitte, tu es nicht!« rief Grauohr verzweifelt. »So habe ich es doch nicht gemeint, Kniff, wirklich nicht. Du weißt, wie dumm ich bin und daß ich nicht gleichzeitig an mehrere Dinge denken kann. Deine schwache Brust hatte ich einfach vergessen. Natürlich werde ich ins Wasser steigen. Du brauchst es nicht zu tun. Versprich mir, daß du es nicht tust, Kniff!« Kniff versprach es hoch und heilig, und Grauohr ging klipp, klapp auf seinen vier Hufen um das felsige Ufer des Teiches herum. Er suchte nach einer passenden Stelle, wo er am günstigsten hineinsteigen konnte. Ganz abgesehen von der Kälte war es wirklich kein Spaß, in dieses brodelnde, schäumende Wasser zu tauchen. Grauohr blieb stehen und schüttelte sich.

Aber da rief Kniff hinter ihm: »Vielleicht sollte ich es doch lieber selbst tun, Grauohr.«

Als Grauohr das hörte, schrie er: »Nein, nein! Du hast es mir doch versprochen. Ich bin schon dabei.«

Grauohr stieg in den Teich. Wasser spritzte ihm ins Gesicht und füllte sein Maul, und der Schaum blendete ihn fast. Sekundenlang ging er ganz unter, und als er wieder auftauchte, befand er sich an einer anderen Stelle des Teiches. Ein Strudel packte und wirbelte ihn herum, schneller und schneller, und drückte ihn schließlich genau unter den Wasserfall. Die Kraft des Wassers tauchte Grauohr nochmals unter, tief unter, so daß er glaubte, er könne niemals den Atem so lange anhalten. Aber endlich kam Grauohr doch wieder herauf und sogar nahe an das Ding heran. Er versuchte es zu fassen, doch da trieb es von ihm weg, bis es auch unter den Wasserfall geriet und auf den Grund stieß. Als das Ding wieder auftauchte, war es weiter von Grauohr entfernt denn je. Zuletzt, fast zu Tode erschöpft, rundherum braun und blau geschlagen und vor Kälte erstarrt, gelang es Grauohr endlich, das Ding mit seinen Zähnen zu packen. Er stieg heraus und trug es vor sich her. Seine Vorderfüße verwickelten sich darin, denn das Ding war so groß wie ein riesiger Bettvorleger, sehr schwer und kalt und voller Schlamm.

Grauohr warf das Ding vor Kniff hin und stand triefend und zitternd da und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Aber der Affe schaute ihn überhaupt nicht an und fragte auch nicht, wie er sich fühle. Der Affe war zu beschäftigt; er ging um das Ding herum, breitete es aus, beklopfte und beroch es. Dann sagte er mit böse flackernden Augen: »Das ist eine Löwenhaut.«

»Iah – iah – oh, wirklich?« schnaufte Grauohr.

»Na, ich staune… ich wundere mich… ich überlege«, sagte Kniff zu sich selbst, denn er dachte sehr angestrengt nach.

»Ich frage mich, wer den armen Löwen getötet hat«, äußerte Grauohr. »Er muß beerdigt werden. Wir müssen ein Begräbnis für ihn veranstalten.«

»Darum brauchst du dich nicht zu kümmern«, sagte Kniff.

»Es war kein sprechender Löwe. Es gibt keine sprechenden Tiere jenseits der Wasserfälle in der Westlichen Wildnis. Diese Haut hat, so scheint es, einem stummen wilden Löwen gehört.«

Das stimmte tatsächlich. Vor mehreren Monaten hatte ein Jäger, ein Mensch, diesen Löwen oben in der Westlichen Wildnis getötet und ihm die Haut abgezogen.

»Ganz gleich, Kniff«, sagte Grauohr, »auch wenn die Haut nur einem stummen wilden Löwen gehört hat, sind wir nicht doch verpflichtet, ihm ein anständiges Begräbnis zu geben? Ich meine, sind nicht alle Löwen ziemlich … ziemlich würdevoll? Sie wissen eben, sie sind schon wer. Meinst du nicht auch?«

»Streng dich nur nicht so an, Gedanken aus deinem Kopf zu locken«, sagte Kniff. »Du weißt doch, Denken ist nicht gerade deine Stärke. Wir werden diese Haut zu einem feinen Wintermantel für dich verarbeiten.«