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«Ja, die habe ich», gab ich zu und glaubte fast, ich könne Anaxos vertrauen. «Wieso hat Alkibiades ausgerechnet mich ausgesucht? Die Bogenschützen untersuchen keine Verbrechen, sie sind dazu da, die Straßen zu bewachen und für Ruhe zu sorgen.»

«Es gibt zwei Gründe», antwortete Anaxos und klang so liebenswürdig, als wären wir seit Jahren Freunde. «Du hast die Bogenschützen zu einer schlagkräftigen Truppe gemacht. Wir wissen das. Die Toxotai genießen Respekt in der Stadt und werden dir bei deinen Ermittlungen große Hilfe leisten können. Das ist der erste Grund. Du selbst bist der zweite. Du hast einen untadeligen Ruf und giltst als unbestechlich. Das ist eine seltene Blüte heutzutage. Wir wissen auch, dass du Alkibiades nicht liebst - ja, die Wände haben Ohren, lieber Nikomachos -, aber umso mehr wird Perianders Familie dir trauen, und hiervon hängt viel ab. Sie muss glauben, dass wir den Mörder Perianders finden wollen, und du bist ein Teil unserer Glaubwürdigkeit. Du willst ihn doch finden?»

«Gewiss, das will ich», antwortete ich, kaum mutiger als ein Kaninchen in der Falle. Was blieb mir auch übrig? Anaxos sah mich offen an. Sein Lächeln wich ihm nicht von den Lippen. Er hatte etwas von einem freundlichen Großvater, einem freundlichen Großvater mit einer reinen und melodiösen Stimme ...

«Wo ist Perianders Leichnam jetzt? Noch am Itonia-Tor?»

«Nein», erwiderte Anaxos, «wir haben ihn in das Haus seiner Eltern bringen lassen, aber am Tor stehen zwei Wachen, die dafür sorgen, dass alles unverändert bleibt.»

«Wo liegt das Haus?», fragte ich und ließ meinen Blick durch den kleinen Raum wandern. Erst allmählich hatten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Die Regale um uns waren voller Schriftrollen mit irdenen Siegeln. Ich erkannte das Zeichen des persischen Großkönigs und die Siegel Thebens und Spartas. Anaxos räusperte sich. Er beanspruchte meine Aufmerksamkeit.

«Außerhalb der Stadtmauern», antwortete er. «Die Familie hat ihren Sitz in der Nähe der Straße nach Kephisia. Ich werde dir den Weg zeigen lassen. Du brauchst einen Wagen.»

«Gibt es Zeugen?», fragte ich.

«Bisher haben wir keine gefunden. Wir wissen noch gar nichts», antwortete er bedauernd, «umso wichtiger ist es, dass du deine Arbeit gleich aufnimmst. Und sorge dafür, dass Perianders Familie schnell davon erfährt.» Mit einem Handzeichen gab er zu verstehen, dass ich ihn nun verlassen solle.

«Gut», schloss ich das Gespräch, «ich werde zuerst zum Tor gehen und mir den Fundort der Leiche ansehen. Dann gehe ich zum Haus des Toten. Kannst du nach einem Arzt schicken, der den Leichnam untersucht?»

«Das werde ich tun», antwortete er ein wenig erstaunt. «Ich schicke dir den Besten, den wir haben.»

Anaxos erhob sich, ergriff meine Schultern, wie Alkibiades dies bei meiner Begrüßung getan hatte, und wünschte mir Glück. Dann führte er mich durch die Gänge das Strategions zurück zum Hauptportal, wo Lykon auf mich wartete. Neben meinem Freund lagen unsere Gewänder, gefaltet, gesäubert und parfümiert. Anaxos gab uns Zeit, uns umzuziehen, dann verabschiedete er sich.

«Wenn du Hilfe benötigst oder Fragen hast, dann wende dich an uns», sagte er, «wir wissen vieles in diesem Palast, was anderen verborgen ist. Und vergiss nicht, Bericht zu erstatten -alle drei Tage. Schreibe nicht, sondern trage mir vor, keinem anderen. Hast du verstanden? Die Wachen werden dich jederzeit durchlassen.»

Ich nickte. «Ja, Herr.»

«Dann geh jetzt.»

Kaum hatte er dies gesagt, drehte er sich um und verschwand in den Gängen. Lykon schien aufzuatmen. Ich gab ihm ein Zeichen, hinauszugehen und zu schweigen.

Draußen waren die Schatten länger geworden, und das Leben hatte wieder Besitz von Athen, seinen Straßen und Plätzen ergriffen. Haussklaven waren mit großen Körben in Richtung Agora unterwegs, um für den Abend einzukaufen; Männer standen in Gruppen und schwatzten. Drei meiner Bogenschützen patrouillierten vor dem Areopag. Ich rief sie zu mir. Es waren zuverlässige Leute. Einen wies ich an, zu mir nach Hause zu gehen. Er sollte meiner Frau und meinem Vater ausrichten, ich würde erst spät nach Hause kommen, sie sollten sich aber nicht sorgen. Den anderen beiden befahl ich, die Unteroffiziere zu verständigen. Morgen früh schon wollte ich sie treffen. Die Soldaten nickten, grüßten und gingen.

Vor den Stufen des Strategions wartete schon ein Wagen auf uns. Es war ein schöner Zweispänner, die schwarzen Rosse glänzend und schlank. Alkibiades besaß weit und breit die schönsten Pferde. Lykon fragte, was der Hegemon gewollt habe, und ich erzählte kurz vom Mord an Periander und meinem Auftrag. Über Alkibiades' Motive sprach ich nicht, und Lykon fragte auch nicht weiter nach.

«Meinst du, du bist in Gefahr?», fragte er besorgt.

«Ja», antwortete ich.

Schweigend gingen wir zum Wagen und stiegen auf. Der Kutscher nickte uns zu und sprengte los. Er war ein grober Kerl und hatte eine Narbe, die ihm beinahe das ganze Gesicht spaltete. Sie reichte vom rechten Auge über die Nase bis zur linken Wange und gab seinen ohnehin unschönen Zügen einen rohen Ausdruck. Und ebenso fuhr er auch. Er jagte mit uns durch Straßen und Gassen in Richtung Itonia-Tor und nahm nicht die geringste Rücksicht auf die Menschen: Frauen, Kinder, Alte und Junge hatten beiseitezuspringen, sobald er angejagt kam. Einmal hätten wir beinahe ein altes Weib umgefahren. Durch einen Sprung in eine Ecke voller Unrat konnte sich das arme Geschöpf gerade noch retten. Unser Fahrer aber blieb ungerührt und gab den Pferden die Peitsche.

Am Itonia-Tor erwarteten uns zwei Epheben in voller Rüstung. Mit gekreuzten Lanzen und ernsten Gesichtern bewachten die jungen Wehrpflichtigen den Winkel, den das Tor und das angrenzende Zollhaus bildeten, und hielten die neugierigen Passanten zurück. Ich stieg vom Wagen. Sie verneigten sich und gaben den Weg frei. Ich suchte den Boden ab, aber es gab nicht viel zu sehen. Auf dem trockenen, festgestampften Lehm waren nur schwach einige Fußspuren zu erkennen. Ein Fleck schwarzen, geronnenen Blutes verriet die Stelle, wo Perianders Körper gelegen haben mochte.

«Habt ihr beiden den Toten gefunden?», fragte ich die jungen Männer. Nein, man hatte sie gerufen, um dabei zu helfen, den leblosen Körper auf einen Wagen zu legen. Sie hatten den Toten aber noch so liegen sehen, wie man ihn entdeckt hatte. Das Blut stammte von ihm. Die Leiche hatte verkrampft auf dem Bauch gelegen, Hinterkopf, Mund und Nase blutverschmiert. Außer dem Körper des Toten hatte man nichts weiter entdeckt.

«Auch keine Fackel oder Lampe?», wollte ich wissen. Eigentlich musste Periander ein Licht bei sich gehabt haben, wenn er nachts unterwegs war, denn die Straßen waren unbeleuchtet und der Mond derzeit jung. Aber nein, keine Fackel, keine Lampe.

«Wie war er gekleidet?», fragte ich.

«Er trug einen hellen Chiton» antwortete der größere der beiden. Einen Mantel habe man nicht gefunden, auch keine Kopfbedeckung, keine Schuhe oder Sandalen. Mehr wussten die beiden nicht. Ich ließ sie in Frieden und betrachtete die Fußspuren genauer. Die Mehrzahl von ihnen stammte von schlichten Sandalen und konnte den Helfern wie dem Mörder gehören. Sie waren kaum brauchbar. Nur ein Abdruck zwischen diesen Spuren war nicht so leicht zuzuordnen und schien mehr zu einem Schnabelschuh als zu einer Sandale zu passen. Ich rief Ly-kon zu mir und bat ihn, den Boden mit mir zusammen genauer zu untersuchen, aber auch er konnte weiter nichts entdecken. Es fanden sich weder Spuren eines Kampfes noch Schleifspuren oder Abdrücke eines Wagens. War Periander hier ermordet worden, war dies schnell geschehen und ohne dass er sich noch hätte wehren können. Hatte man ihn hergebracht, musste er getragen worden sein.