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Wie setzten uns an den einfachen Tisch, den wir sommers wie winters in unserem Garten stehen hatten. Hier wartete ein Teller mit Fladenbrot, getrocknetem Stockfisch und Früchten auf mich. Dazu gab es geharzten Wein und frisches Wasser. Das Fladenbrot war noch ganz warm, Aspasia musste es gerade erst auf dem Küchenherdrand gebacken haben. Also aß ich noch einmal. Natürlich durfte ich auch Aspasia und meinem Vater die Geschichte des heutigen Tages nicht schuldig bleiben, und ihnen schilderte ich sie in allen Einzelheiten. Ich erwähnte sogar den Papyrus, worauf mein Vater mich bat, ihm das Blatt zu zeigen. Er hielt es in das Licht der Lampe, die auf dem Tisch stand, und betrachtete es voller Abscheu.

«Weißt du, was das sein könnte?», fragte ich ihn. Er schüttelte langsam den Kopf und überlegte angestrengt. Ich erkannte es daran, wie er seine Lippen spitzte und sich gleich darauf räusperte, eine Gewohnheit, die er seit jeher besaß, sich im Alter aber zu verstärken schien. Und er wurde alt; ich bemerkte es nicht zum ersten Mal. Sein braungebrannter Schädel war fast kahl, seine Haut von der Sonne und seiner Zeit als Hoplit zur See gegerbt, seine Arme und Beine waren dünner geworden. Aber er blieb ein kluger Kopf und ließ sich nichts vormachen, der alte Marktrichter.

«Gab es am Itonia-Tor eigentlich keine Wachen?», fragte er, während er den Papyrus in der Hand hielt.

«Nein, in ruhigen Zeiten lassen wir es nachts unbewacht und unverschlossen. Die Leute vom Diorneia-Tor daneben sollen ab und zu nach dem Rechten sehen.»

Mein Vater räusperte sich und konzentrierte sich wieder auf das Blatt in seinen Händen.

«Es sieht aus, als wäre es aus einem teuren Buch herausgerissen», sagte er nach einer Weile. «Der Papyrus ist kräftig, eine gute Qualität. Die Schrift stammt von einem geschickten Kopisten, vielleicht sogar von einem Kanzleischreiber ...»

«Das dachte ich auch schon. Ich hatte gehofft, die Zeilen würden dich an irgendetwas erinnern, was du selbst schon einmal gelesen hast.»

«Nein, tut mir leid. Sie sagen mir nichts. Aber ich kenne jemanden, der dir weiterhelfen kann. Er hat jedes Buch gelesen, das je geschrieben wurde.»

«Du meinst Sokrates?», fragte ich, obwohl mir die Antwort eigentlich klar sein musste, verehrte mein Vater diesen Mann doch beinahe ebenso wie Perikles.

«Ja, Sokrates, den meine ich», antwortete er begeistert. «Weißt du, dass das Orakel von Delphi ihn den Weisesten unter allen Athenern genannt hat?»

«Ja, Vater, das weiß ich. Du hast es mir schon erzählt.» Tatsächlich wusste ich nicht mehr, wie oft mir mein Vater die Geschichte schon erzählt hatte. Aspasia versuchte, ein allzu spöttisches Lächeln zu verbergen.

«Ich frage mich nur, woher du wissen willst, dass es wahr ist?», stichelte ich.

«Weil ich Sokrates kenne. Einen aufrichtigeren Mann als ihn gibt es nicht», antwortete mein Vater ein wenig kühl.

«Und du hältst es wirklich für weise, den Athenern zu erklären, man sei klüger als sie?», bemerkte ich schnippisch.

Hierauf wusste mein Vater nichts mehr zu antworten. Er räusperte sich beleidigt.

«Was steht da?», fragte Aspasia und deutete auf den Papyrus. Wie die meisten Frauen konnte sie nicht lesen. Raios hatte es -ungeachtet des klangvollen Namens, den er ihr gegeben hatte -nicht für erforderlich gehalten, seine Tochter zu einem Lehrer zu schicken, der ihr Lesen und Schreiben beigebracht hätte. So weit ging seine Verehrung für Perikles und seine zweite Frau dann doch nicht.

Ich las ihr die Zeilen vor, zumal ich sie zu versöhnen hoffte, und sie hörte aufmerksam zu. Auch ihr fiel diese eigentümliche Wendung auf, wonach die Armut das Volk zum Verbrechen treibe.

«Und hieran ist Periander erstickt?», fragte sie. Ich nickte. Aspasia lehnte sich zurück. Ihr Blick verfinsterte sich.

«Wieso hat es sich der Mörder wohl so schwer gemacht?», fragte mein Vater, der sich wieder am Gespräch beteiligen wollte. «Ich meine, wieso hat er Periander nicht einfach erschlagen? Was musste er ihm noch dieses Blatt in den Rachen stopfen und zudrücken?»

«Vielleicht sollte es eine Warnung sein, für andere?», schlug ich vor.

«Das ist möglich», gab mein Vater zu, «aber konnte der Täter denn sicher sein, dass man den Papyrus entdecken würde?» Das war eine berechtigte Frage, und die Antwort war eindeutig.

«Nein, wenn wir Hippokrates nicht zur Leichenschau gerufen hätten, hätte niemand je etwas von dem Papyrus erfahren.»

«Vielleicht sollte Periander für immer schweigen», warf mein Vater nun ein und nahm einen Schluck aus seinem Becher. «Er sollte hier schweigen und im Hades - das wollte der Mörder sagen, wenn nicht den Menschen, dann den Göttern.» Seine Augen funkelten. Selbst im einfachen Licht der Öllampe war es zu sehen.

Aspasia nahm eine Feige von meinem Teller und drehte sie zwischen ihren braunen, schlanken Fingern. Sie war ernst. Ihr Gesicht war angespannt und nachdenklich. Obwohl sie ihm nicht ähnlich sah, zeigte sie beinahe den gleichen Ausdruck wie vorhin ihr Vater, als ich ihm von meinem Auftrag erzählt hatte.

«Ich glaube nicht, dass der Mörder den Göttern oder uns etwas sagen wollte», widersprach sie, womit sie meinen Vater immer irritierte. «Wenn er ihn erstochen hätte, läge darin doch auch keine Botschaft. Ich sehe etwas anderes: Ich sehe Wut, unbändige Wut auf Periander, und diese Wut hängt mit dem Papyrus zusammen. Der Mörder wollte Periander etwas sagen. Er wollte ihm sagen, er solle an dem Papyrus ersticken. Das war seine Botschaft. Aber sie war nur an Periander gerichtet. Nur an ihn.» Sie legte die Feige in die Schale zurück.

Manchmal duldete Aspasias Stimme keinen Widerspruch, und jetzt war ein solcher Moment. Sie hatte recht, ich war mir sicher. Hier ging es nur um Periander. Vater spitzte die Lippen und räusperte sich. Ich wusste, dass er ihr innerlich zustimmte, wenn auch widerwillig. Niemand sprach mehr. Es wurde still in unserem Garten. Ein paar Glühwürmchen stiegen auf. Auf einem Baum in der Nachbarschaft schrie ein Käuzchen.

Der Wein machte mich müde, und so zogen Aspasia und ich uns in unser Schlafzimmer zurück. Ich entzündete eine kleine Lampe, deren scheues Licht kaum die Decke erhellte. Dann wusch ich mir Gesicht, Füße und Hände und legte mich neben meine Frau. Sie hielt den Rücken zu mir gedreht und stellte sich schlafend, aber ihr Atem ging noch viel zu flach, als dass sie mich täuschen konnte. Ich wusste, sie brauchte immer lange, bis sie wirklich Ruhe fand. Vorsichtig näherte ich mich und küsste ihren Hals und ihre Schultern.

Sie gab sich weiter schlafend.

Ich umarmte sie innig und drückte meine Brust gegen ihren Rücken - seit ich sie kenne, liebe ich ihre Haut über alle Maßen.

Sie rührte sich immer noch nicht.

Da presste ich meine Scham gegen ihren Po, lüstern, wie ich zugeben muss und wie nicht zu verkennen war.

Das war zu viel. Sofort richtete sie sich neben mir auf und fragte, ob ich mir wirklich einbildete, zu ihr kommen zu dür-fen, nachdem ich den ganzen Nachmittag mit meinem Lustknaben verbracht hätte? Ich sei ihr zuwider. Ich würde noch nach diesem Lykon stinken. Wahrscheinlich würde ich gerade im Augenblick wieder an seinen Hintern denken.

Ich kannte Aspasia und verehrte sie sehr. Wie oft hatten wir dieses Gespräch schon geführt? Ich hatte ihr schon zu erklären versucht, dass die Liebe eines Mannes zu einem Knaben und die Liebe zu seiner Frau verschieden seien und nichts miteinander zu tun hätten; dass die Knabenliebe dazu diene, den Jungen zu erziehen und in die Welt der Männer einzuführen, die Liebe zur Frau dagegen der Zeugung und dem Überleben des Geschlechts.

Hierfür hatte sie keinerlei Verständnis.

Und wie oft hatte ich schon beteuert, dass ein verantwortungsvoller Liebhaber mit seinem Eromenos keinesfalls das tue, was sie mir immer unterstelle?