Frage nach dem Ursprung des Trümmerhaufens am Ende des Tunnels. »Zerstörung«. Aber warum, und von wem oder was ausgeführt?
Nun, das war die eigentliche Frage, oder nicht?
Er schrieb: Der Tunnel ist ein Artefakt. Der Tunnel ist eine Zeitmaschine. Er wurde von jemandem gebaut. Er gehört jemandem.
Jemandem aus der Zukunft, würde das heißen, da bei General Dynamics noch keine Zeittunnel montiert wurden. Es war nicht leicht, sich mit dieser Idee anzufreunden. Sie klang nach zu viel kindlicher Fantasie, erinnerte an zu viele Comics und billige Filme. Leute aus der Zukunft, sehr vertraut das Ganze. Glatzköpfige Typen in bunten Trikots.
Das Problem war nur, dass derartige Überlegungen völlig nutzlos waren. Er müsste über die seltsamen Ereignisse so nüchtern und sachlich wie möglich nachdenken. Zu viel — er dachte an das Wort ZERSTÖRUNG — konnte auf dem Spiel stehen.
Irgendeine zerstörerische Macht hat an diesem Ende des Tunnels für Probleme gesorgt, schrieb er, die schlimm genug waren, dass die Besitzer verschwanden und die ganze Anlage im Automatikbetrieb weiterlaufen ließen. Die vermutlich gleiche Macht war am Tunnelende in Manhattan noch gründlicher zu Werke gegangen.
Aber es gab so viel, was er noch immer nicht wusste. Warum gab es einen Tunnel zwischen Belltower und New York City? Gab es weitere Tunnel zu anderen Orten? Führten die Tunnel immer zum gleichen Ort? Wenn sie normal funktionierten — wozu waren sie nütze? Wer bediente sich ihrer?
Er schrieb diese Fragen auf.
Dann hielt er inne, schenkte sich frischen Kaffee ein und setzte sich wieder. Er griff in seine Tasche und holte den toten Maschinenkäfer hervor.
Er lag matt und scheinbar leer auf der Titelseite der Times.
Tod durch Unfall. Höchstwahrscheinlich, dachte er, war er ermordet worden.
Zehn Jahre sind verstrichen, schrieb er. Falls das Verstreichen von Zeit unter diesen Umständen überhaupt eine Bedeutung hat.
Er kaute auf dem Bleistift.
Du könntest das Ganze auf sich beruhen lassen.
Was tat er hier überhaupt? Ließ er sich locken? Herausfordern?
Es ist gefährlich, und du könntest die Finger davon lassen.
Das ließ sich nicht leugnen.
Vielleicht ging es einzig und allein um die Frage, was er tun sollte.
Denn er hatte jetzt eine Wahl, nicht wahr? Erregung ergriff ihn, eine Freude über diese geheime Möglichkeit, dieses neue Ass, das ihm in den Schoß gefallen war. Er hatte nicht gewagt, darüber nachzudenken. Aber das tat er jetzt.
Du könntest alles hinter dir lassen.
Du könntest den Autoladen und die Scheidung und die höfliche Kündigung und den Treibhauseffekt einfach vergessen. Allein das Niederschreiben dieser Worte machte ihn schon benommen. Du könntest aussteigen. Jeder andere Mensch auf der Erde wird Stunde für Stunde weiter in die Zukunft gestoßen, aber du brauchst das nicht mitzumachen. Du hast eine Hintertür gefunden. Er zwang sich, rationaler zu denken. Nicht die Tür zum Paradies. Was war vor dreißig Jahren? Es gibt die Bombe. Vergiss das nicht. Es gibt Umweltverschmutzung. Es gibt Rassismus, Ignoranz, Kriminalität, Hunger…
Sie haben die Bombe, dachte er, aber wichtig war in diesem Zusammenhang, dass sie sie nicht eingesetzt haben. Er konnte, wenn er wollte, dreißig Jahre lang ein Leben in dem Bewusstsein führen, dass die Luftschutzsirenen nicht losheulen würden. Er konnte über entsprechende Zeitungsmeldungen lachen. Wenn er fleißig war, wenn er immer sorgfältig seine Hausaufgaben machte, wüsste er, dass das Flugzeug, das er bestieg, nicht vom Himmel fallen würde. Er könnte die Stadt verlassen, ehe das Erdbeben zuschlug…
Und selbst wenn jemand starb, dann wäre dies ein Tod, der bereits in den Geschichtsbüchern verzeichnet wäre. Es würden keine Gräber gefüllt, die nicht schon besetzt waren. Die Tragödie der Welt würde andauern, aber er wüsste wenigstens über ihr Ausmaß Bescheid.
Er vernahm ein Echo Barbaras aus dem Bereich seines Bewusstseins, wo die Erinnerungen weilten und sich manchmal bemerkbar machten: Hast du wirklich so viel Angst vor der Zukunft?
Nach Tschernobyl, nach dem Tiananmenplatz, nach seiner Scheidung? In einer Welt, in der regelmäßig Tritium bei geschützten Transporten verschwand, die Staatsschulden allmählich fällig wurden, der Aktienmarkt eher einem olympischen Turmspringen glich? Angst vor der Zukunft in einer Welt voller Teenagerselbstmorde und des kosteneffektiven Sturmgewehrs? Angst… während die brasilianischen Regenwälder die Atmosphäre mit ihren durch Brandrodung erzeugten Qualmwolken verpesteten und die Meldung der jeweils aktuellen Hautkrebsrate mittlerweile zu den Abendnachrichten gehörte? Davor sollte er Angst haben?
Wer, ich?
Ich gehe noch einmal zurück, schrieb er. Wenigstens, um mich umzusehen. Um wirklich dort gewesen zu sein. Wenigstens einmal.
Sonst noch Fragen?
Ja, dachte er. Viele. Aber er schrieb sie lieber nicht auf.
Als Tom von der Zeitung hochschaute, sah er, dass mehrere der größeren Maschinenkäfer am Tischbein heraufgeklettert waren und ihren toten Kameraden wegtrugen.
Vielleicht, um ihn zu ersetzen, dachte Tom. Oder um ihn zu reparieren. Im Reparieren waren sie ganz groß. Oder vielleicht, um ihn zu beerdigen, ihn in irgendein metallisches Grab zu senken, während sie sich darum versammelten und elektromagnetische Totengesänge anstimmten.
Sie bildeten eine helle, funkelnde Kette auf den Küchenfliesen, als sie davonmarschierten. Er störte sie nicht.
Einmal noch, schwor er sich, wenigstens um sich umzusehen — bis dahin schob er alle weiteren Entscheidungen auf. Er beschloss, Einkäufe für einen Wochenendausflug zu tätigen und bis dahin ein ganz normales Leben zu führen, so unmöglich das auch klingen mochte.
Erstaunlicherweise erwies die Scharade sich als Erfolg. Er hatte Erfolg bei seiner Arbeit. Tony lud ihn zu einem Abendessen im Kreise der Familie ein, und auch das verlief harmonisch. Dabei erkundigten Tony und Loreen sich eher beiläufig nach seiner Gesundheit und seiner »Verfassung«, und Tom gab darauf betont ausweichende Antworten. Die Zeit verging wie im Fluge außer abends und nachts, wenn die Zweifel sich wieder einstellten. Er sicherte die Tür, die in den hinteren Teil des Kellers führte, mit einem schweren Bolzenschloss aus dem Eisenwarenladen. Es würde zwar niemanden aufhalten, der durch den Tunnel kam, jedoch stellte es eine wertvolle psychologische Hilfe dar, ein schlafförderndes Mittel wie die kleinen weißen Tabletten, die er in der Value-Save-Apotheke kaufte. Er fand einige populär gehaltene, historische Betrachtungen der Sechzigerjahre in der Bibliothek und opferte einige Zeit, um sich über das erste Drittel dieses Jahrzehnts bis hin zum Kennedy-Attentat zu informieren. Diese Zeit erschien ihm als eine seltsam ruhige Periode. Große Ereignisse kündigten sich bereits an, fanden aber noch lange nicht statt. Es war vielleicht eine Art nervöses Anhängsel der Fünfzigerjahre. Er erkannte Namen wieder: Gagarin, Chruschtschow, John Glenn, Billie Sol Estes — aber die Geschichte verblasste angesichts des aktuellen Geschehens, seines geheimen Weges zurück durch das Labyrinth der Jahre und des Todes. Die Woche neigte sich allmählich dem Ende zu.
Am Samstagmorgen erwachte er bereits vor Anbruch der Dämmerung. Er zeichnete einen Kreis zwischen den Wandschrauben und schnitt mit einer Stichsäge eine Öffnung aus — mittlerweile beherrschte er das ganz gut.