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Sie seufzte und stieg aus dem Wagen. Der Nachmittag war sonnig, und in der Luft lag der Geruch des Ozeans. Hübsche, kleine, dumme, schlecht riechende Stadt, dachte Catherine.

Es war keine Feier geplant, und es hatten sich keine weiteren Familienmitglieder der Simmons eingefunden. Catherines Vater — Grandma Peggys einziger Sohn — war 1983 an Leberkrebs gestorben, und der Rest der Familie war in alle Winde zerstreut. Nur Catherine hatte die alte Frau in den letzten Jahren häufiger besucht. Offenbar hatte Grandma Peggy sich über diese Besuche gefreut. Ihr Rechtsanwalt, Dick Parsons, hatte sie angerufen und ihr mitgeteilt, dass das gesamte Anwesen Catherine hinterlassen worden war. Auch das eine erstaunliche Nachricht, die erst einmal verdaut werden musste.

Der Bestattungsunternehmer bei Carstairs entpuppte sich nicht als der düster gespenstische Geiertyp, den Catherine erwartet hatte. Er war ein breitschultriger Mann, der eher an einen Footballtrainer erinnerte. Er überreichte Catherine die bronzene Urne mit Grandma Peggys letzter Asche, und das mit einer Geste, die fast entschuldigend wirkte. »So hat Ihre Großmutter es gewünscht, Miss Simmons. Keine Feier, nichts Ernstes. Sie hatte alles schon vorher geregelt.«

»Grandma Peggy war sehr praktisch«, sagte Catherine.

»Das war sie.« Er lächelte mitfühlend. »Es wurde alles von ihrem Rechtsanwalt bezahlt. Ich hoffe, wir haben Ihnen wenigstens etwas helfen können.«

»Sie haben Ihre Sache gut gemacht«, versicherte Catherine ihm. »Vielen Dank.«

Als Catherine hinausging, begegnete sie in der Vorhalle einer Frau. Sie war grauhaarig und etwa in Grandma Peggys Alter. Sie trat zu Catherine und sagte: »Ich bin Nancy Horton, eine Freundin Ihrer Großmutter. Ich wollte Ihnen nur sagen, wie leid es mir tut.«

»Danke sehr«, sagte Catherine. Offenbar gehörte es zu einem Todesfall, dass man sich bei vielen Menschen bedankte.

»Ich kenne Peggy von vielen Einkaufstouren, die wir unternahmen. Sie fuhr immer noch Auto, müssen Sie wissen. Ich fahre nicht, wenn ich es irgendwie vermeiden kann. Sie nahm mich immer mit zum Einkaufszentrum am Highway. Gewöhnlich mittwochs. Wir unterhielten uns auch. Obgleich sie nie viel redete. Ich hab sie sehr gemocht. Sie sind sicherlich Catherine.«

»Ja.«

»Werden Sie ins Haus ziehen?«

»In Grandmas Haus? Für eine Weile. Vielleicht den Sommer über.«

»Nun, ich wohne nicht weit weg, falls Sie irgendetwas brauchen.« Sie schaute auf die Urne in Catherines Hand. »Ich habe von Feuerbestattungen keine Ahnung. Es erscheint mir so… oh, es tut mir leid. Ich sollte das nicht sagen, nicht wahr? Aber es scheint so wenig übrig zu bleiben.«

»Es ist schon in Ordnung«, sagte Catherine. »Das ist nicht Grandma Peggy. Wir haben schon lange vor ihrem Tod darüber gesprochen. Das ist nur Asche.«

»Natürlich«, sagte Nancy Horton. »Behalten Sie sie? Ach, immer meine Neugier! Es tut mir leid…«

»Grandma liebte den Wald hinter ihrem Anwesen«, sagte Catherine. »Sie bat mich, ihre Asche dort zu verstreuen.« Sie nahm die Urne schützend in die Armbeuge. »Das werde ich auch tun.«

Natürlich könnte sie das Haus nicht halten. Es war ein großes altes Haus an der Post Road und weitab von jedem Ort, an dem Catherine wohnen wollte, obgleich sie Belltower manchmal richtig gern hatte. Sobald das Testament eröffnet worden war, würde sie wahrscheinlich das Grundstück und alles, was dazu gehörte, verkaufen. Jedenfalls äußerte sie sich in diesem Sinne gegenüber Dick Parsons, der ihr die Telefonnummer einer örtlichen Immobilienagentur gegeben hatte. Einer der Makler war mit ihr vor dem Bestattungsunternehmen verabredet.

Der Mann wartete schon vor dem Gebäude und stellte sich als Doug Archer vor. Catherine lächelte und schüttelte ihm die Hand. »Heute scheint jeder etwas ganz anderes zu sein, als seine äußere Erscheinung vermuten lässt«, stellte sie fest.

»Wie bitte?«

»Der Bestattungsunternehmer sieht nicht aus wie ein Bestattungsunternehmer. Und Sie sehen nicht aus wie ein Immobilienmakler.«

»Ich betrachte das als Kompliment«, sagte Archer.

Aber es stimmt, dachte Catherine. Er war etwas zu jung und etwas zu sorglos, was seine Kleidung betraf. Er trug hohe Reebok-Basketballschuhe, die nur halb geschnürt waren, und er grinste wie ein Achtjähriger. Er sagte: »Haben Sie noch immer die Absicht, das Haus zu verkaufen?«

»Auf jeden Fall«, sagte Catherine. »Ich weiß nur noch nicht, wann. Ich denke nämlich daran, den Rest des Sommers hier zu verbringen.«

»So schnell dürfte es mit dem Verkauf sowieso nicht gehen. Das Geschäft läuft im Augenblick etwas schleppend, und hinzu kommt, dass die Häuser draußen an der Post Road ziemlich abseits stehen. Aber ich bin sicher, wir werden über kurz oder lang einen Käufer finden.«

»Ich habe es nicht eilig. Dick Parsons sagte, Sie wollten sich das Haus bestimmt noch einmal ansehen, oder?«

»Es wäre eine Hilfe, wenn wir einen Preis festsetzen. Wollen Sie einen Termin machen? Ich kann auch heute kommen…«

»Heute ist gut. Ich muss erst noch in Mr. Parsons’ Büro die Schlüssel holen, aber später können Sie vorbeikommen, wenn Sie wollen.«

»Wenn es Ihnen recht ist…« Er sah auf die Uhr. »Gegen drei?«

»Gerne.«

»Das mit Ihrer Großmutter tut mir leid, Miss Simmons. Ich betreue eine ganze Reihe Häuser oben an der Post Road, daher hatte ich Gelegenheit, ein- oder zweimal mit ihr zu reden. Sie war eine außergewöhnliche Frau.«

Catherine lächelte. »Ich kann mir vorstellen, dass sie für Immobilienmakler nicht viel übrig hatte.«

»Nein, überhaupt nichts«, sagte Doug Archer.

Catherine ließ sich die Schlüssel aushändigen, unterschrieb einige Schriftstücke, bedankte sich noch einmal, dann machte sie sich auf den Weg zu Grandma Peggys Haus.

Die Erinnerung an Ferien war für Catherine eng mit dieser Straße verknüpft. Als sie ein kleines Mädchen gewesen war, fuhren sie im Kombi ihres Vaters von Bellingham herunter, kurvten durch Belltower bis zum Fuß des Post-Road-Hügels, dann weiter durch einen langen Korridor würzig duftender Fichten bis zur Tür von Grandma Peggys Haus. Zu Grandma Peggy, die köstliche Mahlzeiten kochte, die wunderbare und respektlose Dinge sagte und deren Anwesenheit einen magischen Frieden zwischen Catherines Mutter und ihrem Vater sicherte. In Grandma Peggys Haus durfte niemand rauchen, und niemand durfte Streit anfangen. »Alles andere ist erlaubt. Aber ich will nicht, dass das ganze Haus nach Tabak stinkt, und ich will keine Streitereien — beides vergiftet nämlich die Luft. Ist es nicht so, Catherine?«

Die Post Road hatte sich nicht sehr verändert. Sie war immer noch dieser grüne, dunkle, wie verzaubert erscheinende Korridor — der Highway und die Einkaufszentren schienen Tausende von Meilen weit weg zu sein. Die Häuser an der Post Road waren kaum mehr als vorgeschobene Außenposten in dieser Wildnis, dachte Catherine, wie sie auf den kleinen Landschaftsparzellen standen, einige großartig, die anderen eher bescheiden, aber stets im Schatten üppiger Douglasfichten.

Grandma Peggys Haus auf der Hügelkuppe war das einzige dieser Häuser mit Aussicht. Das Gebäude war ein altes, großzügiges viktorianisches Holzhaus, zwei Stockwerke hoch mit einem Giebeldach samt Speicher. Grandma Peggy hatte immer sorgfältig darauf geachtet, dass es regelmäßig frisch gestrichen und ausgebessert wurde. Anderenfalls, so sagte sie gerne, glaubte das Unkraut noch, es könne sich ungehindert ausbreiten. Das Haus war von Grandma Peggys Vater erbaut worden, einem Klavierbauer, den Catherine aber nicht gekannt hatte. Die Vorstellung, das Anwesen zu verkaufen — nie wieder dorthin zurückkehren zu können —, kam ihr vor wie ein schlimmes Sakrileg. Aber natürlich wäre sie allein in dem Haus völlig verloren gewesen.

Sie parkte den Wagen und schloss die imposante Haustür auf. Vorerst ließ sie ihre Farben, sonstigen Utensilien und Vorräte im Kofferraum des Wagens. Wenn sie den Sommer über hierblieb — die Idee erschien ihr immer reizvoller —, könnte sie sich ein Studio in dem sonnendurchfluteten Zimmer einrichten, das nach hinten zum Wald hinaussah. Oder im Gästezimmer, wo man durch das Erkerfenster den fernen Ozean sehen konnte.