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»Du kannst jetzt loslassen, Jonathan«, sagte Luke – und korrigierte sich nach einem Blick in Clarys Gesicht: »Jace.«

Jace schien ihn nicht gehört zu haben. Er löste seinen Griff um das Schwert und bewegte sich von seinem Vater weg. Sein Gesicht hatte inzwischen wieder etwas Farbe angenommen und wirkte nicht mehr völlig aschfahl, seine Lippe blutete an einer Stelle, wo er sie aufgebissen hatte. Clary drängte es danach, ihn zu berühren, ihre Arme um ihn zu legen; doch sie wusste, dass er das nicht zugelassen hätte.

»Ich mache dir einen Vorschlag«, wandte Valentin sich in überraschend ausgeglichenem Ton an Luke.

»Lass mich raten«, sagte Luke. »Er lautet ›Töte mich nicht‹, richtig?«

Valentin lachte freudlos. »Ich würde mich wohl kaum so weit erniedrigen, dich um mein Leben anzuflehen.«

»Gut«, sagte Luke und hob Valentins Kinn mit der Schwertspitze leicht an. »Ich habe nicht vor, dich zu töten, außer, du zwingst mich dazu. Ich will dich nicht vor deinen eigenen Kindern umbringen müssen. Mir geht es nur um den Kelch.«

Der Lärm von unten wurde langsam lauter und Clary glaubte, Schritte im Flur vor der Tür zu hören. »Luke …«

»Ich höre es«, antwortete er knapp.

»Der Kelch ist in Idris, das habe ich doch schon gesagt«, beteuerte Valentin und seine Augen blickten nervös an Luke vorbei zur Tür.

Luke schwitzte. »Wenn er in Idris ist, hast du das Portal genutzt, um ihn dorthin zu bringen. Ich gehe mit dir und wir holen ihn zurück.« Lukes Augen zuckten nun ebenfalls unruhig hin und her. Inzwischen waren die Geräusche im Flur immer lauter geworden – man hörte Rufe und irgendetwas zerbrach auf dem Boden. »Clary, du bleibst bei deinem Bruder. Wenn wir durch das Portal gegangen sind, benutzt es ebenfalls, um euch an einen sicheren Ort zu bringen.«

»Ich gehe hier nicht weg«, sagte Jace.

»Oh doch, das wirst du.« Irgendetwas prallte gegen die Tür. »Valentin, das Portal. Vorwärts«, befahl Luke mit lauter Stimme.

»Oder was?« Valentin warf lauernde Blicke in Richtung Tür.

»Oder ich töte dich, solltest du mich dazu zwingen«, sagte Luke. »Vor ihren Augen, wenn es sein muss. Das Portal, Valentin. Sofort.«

Valentin hob seine Hände. »Ganz, wie du willst.«

Er machte genau in dem Moment einen Schritt zurück, als die Tür zersplitterte und ihre Angeln quer durch den Raum schlitterten. Luke duckte sich instinktiv, um nicht von den entgegenstürzenden Teilen getroffen zu werden, und drehte sich, das Schwert noch immer in der Hand.

Ein Wolf stand in der Tür – ein Gebirge aus knurrendem, grau meliertem Pelz, die Schultern nach vorn gewölbt, die Lefzen weit hinter die gebleckten Zähne zurückgezogen. Blut floss aus unzähligen klaffenden Wunden in seinem Pelz.

Jace fluchte leise. Eine Seraphklinge lag bereits in seiner Hand, als Clary ihn am Handgelenk zu fassen bekam. »Nicht – er ist ein Freund.«

Jace warf ihr einen skeptischen Blick zu, ließ aber den Arm sinken.

»Alaric …« Luke rief ihm etwas zu, in einer Sprache, die Clary nicht verstand. Alaric knurrte erneut und duckte sich zu Boden und einen kurzen, verwirrten Augenblick lang glaubte sie, er wolle sich auf Luke stürzen. Doch dann sah sie Valentins Hand zum Gürtel fahren, gefolgt von einem Blitz aus roten Juwelen, und ihr fiel ein, dass Valentin immer noch Jace’ Dolch hatte.

Sie hörte, wie jemand Lukes Namen rief, und dachte, sie sei es selbst gewesen – bis ihr auffiel, dass ihre Kehle wie zugeschnürt war und es Jace gewesen sein musste, der gerufen hatte.

Luke drehte sich um – quälend langsam, wie es Clary schien –, doch der Dolch hatte schon Valentins Hand verlassen und wirbelte auf ihn zu wie ein silbernes Rad. Luke riss das Schwert hoch – und plötzlich warf sich etwas Riesiges und Graumeliertes zwischen ihn und Valentin. Sie hörte Alaric aufheulen; dann brach das Heulen plötzlich ab, als die Klinge ihr Ziel traf. Clary schnappte nach Luft und versuchte, in Lukes Richtung zu stürzen, doch Jace zog sie zurück.

Der Wolf krümmte sich zu Lukes Füßen; auf seinem Fell breitete sich ein großer Blutfleck aus. Verzweifelt versuchte Alaric, mit seinen Klauen den Dolch zu packen, der bis zum Heft in seiner Brust steckte.

Valentin lachte. »Auf diese Weise vergiltst du also die bedingungslose Loyalität, die du dir so billig erkauft hast, Lucian«, sagte er. »Indem du sie für dich sterben lässt.« Er wich zurück, die Augen unverwandt auf Luke gerichtet.

Leichenblass starrte Luke erst ihn, dann Alaric an, der zu seinen Füßen lag; schließlich schüttelte er den Kopf, fiel auf die Knie und beugte sich über den sterbenden Werwolf. Jace, der Clary noch immer an den Schultern festhielt, zischte: »Bleib hier, hörst du mich? Bleib hier.« Dann setzte er Valentin nach, der mit unerklärlicher Hast in Richtung der rückwärtigen Wand zurückwich. Hatte er etwa vor, sich aus dem Fenster zu stürzen? Clary erblickte sein Spiegelbild in dem großen Spiegel mit Gold rahmen und der Ausdruck auf seinem Gesicht – eine Art höhnischer Erleichterung – erfüllte sie mit wilder Wut.

»Einen Teufel werde ich tun«, murmelte sie und folgte Jace. Sie hielt nur kurz inne, um den kindjal mit dem blauen Griff aufzuheben, den Valentin mit dem Fuß unter den Tisch geschoben hatte. Die Waffe lag warm und beruhigend in ihrer Hand, während sie einen umgestürzten Stuhl aus dem Weg schob und langsam auf den Spiegel zuging.

Jace hatte die Seraphklinge gezückt und ihr helles, aufwärtsgerichtetes Licht ließ die Ringe unter seinen Augen und seine eingefallenen Wangen noch stärker hervortreten als zuvor. Valentin hatte sich umgewandt und stand jetzt im Schein der Klinge mit dem Rücken zum Spiegel. Clary konnte auch Luke darin erkennen; sie sah im Spiegelbild, dass er sein Schwert weggelegt hatte und sanft und vorsichtig den kindjal mit dem roten Knauf aus Alarics Brust zog. Ihr wurde heiß und sie umfasste den Griff ihres eigenen Dolchs fester. »Jace …«, sagte sie.

Er drehte sich nicht zu ihr um, blickte jedoch in den Spiegel in Richtung ihrer Reflexion. »Clary, ich hab dir doch gesagt, du sollst zurückbleiben.«

»Sie ist genau wie ihre Mutter«, meinte Valentin; mit einer Hand hinter dem Rücken, tastete er den schweren vergoldeten Rahmen des Spiegels ab. »Die tut auch nie das, was man ihr sagt.«

Jace zitterte zwar nicht mehr so stark wie vorhin, doch Clary spürte, dass er angespannt war wie das Fell einer Trommel. »Ich werde mit ihm nach Idris gehen, Clary. Ich bringe den Kelch zurück.«

»Das kannst du nicht machen«, setzte Clary an und sah im Spiegel, wie sich sein Gesicht verzog.

»Hast du vielleicht eine bessere Idee?«, konterte er.

»Aber Luke …«

»Lucian«, berichtigte Valentin in seidenweichem Ton, »kümmert sich gerade um einen gefallenen Kameraden. Und was den Kelch angeht und Idris, so sind beide nicht weit. Im Spiegelreich sozusagen.«

Jace’ Augen verengten sich. »Der Spiegel ist das Portal?«

Valentins Mund wurde schmal; dann ließ er die Hand sinken und trat vom Spiegel zurück, dessen Oberfläche plötzlich zu verschwimmen begann wie feuchte Wasserfarben auf einer Leinwand. Statt des Saals mit seinem dunklen Holz und den vielen Kerzen sah Clary plötzlich grüne Felder, dicht belaubte smaragdgrüne Bäume und eine große Wiese, die in sanftem Schwung zu einem großen, steinernen Haus in der Ferne abfiel. Sie hörte Bienen summen, das Rascheln von Blättern im Wind und roch den Duft von Geißblatt, der mit der Brise herangetragen wurde.

»Ich sagte doch, es ist nicht weit.« Inzwischen war Valentin vor den Spiegel getreten, der sich in eine Art goldumrahmten Torbogen verwandelt hatte; sein Haar flatterte im selben Wind, der auch die Blätter an den weit entfernten Bäumen rascheln ließ. »Ist es so, wie du es in Erinnerung hast, Jonathan? Hat sich irgendetwas verändert?«

Clarys Herz zog sich zusammen. Zweifellos war dies Jace’ frühere Heimat, mit der er in Versuchung gebracht werden sollte, wie man ein Kind mit Süßigkeiten oder einem Spielzeug in Versuchung bringt. Sie schaute zu ihm hinüber, doch er schien sie überhaupt nicht mehr wahrzunehmen. Er starrte auf das Portal und auf das dahinterliegende Panorama, die grünen Weiden und das große Haus. Sie sah, wie sein Gesicht weicher wurde, sah den melancholischen Zug um seinen Mund, als ob er jemanden anschaute, den er liebte.