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»Du kannst immer noch nach Hause zurückkehren«, sagte sein Vater. Das Licht der Seraphklinge in Jace’ Hand ließ seinen Schatten auf das Portal fallen und verdunkelte die grünen Felder und sanft geschwungenen Wiesen.

Das Lächeln verschwand von Jace’ Lippen. »Es ist nicht mehr mein Zuhause«, sagte er. »Ich bin jetzt hier zu Hause.«

Mit heiß lodernder Wut in den Augen schaute Valentin seinen Sohn an. Clary würde diesen Blick nie vergessen; sie sehnte sich plötzlich heftig nach ihrer Mutter. Denn ganz egal, wie zornig ihre Mutter auf sie gewesen war, Jocelyn hatte sie niemals auf diese Weise angeschaut – aus ihren Augen hatte immer nur Liebe gesprochen.

Wenn sie nicht schon voller Mitleid für Jace gewesen wäre, hätte sie es spätestens in diesem Moment empfunden.

»Wie du willst«, sagte Valentin und machte einen schnellen Schritt rückwärts durch das Portal, sodass seine Füße den Boden von Idris berührten. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Ah«, sagte er, »die Heimat.« Jace stürzte auf den Rand des Portals zu, fing sich aber mit einer Hand am Rahmen ab. Ein seltsames Zögern sprach aus seiner Haltung, obwohl Idris lockte wie eine Fata Morgana in der Wüste. Er musste nur noch einen Schritt tun …

»Jace, nicht«, sagte Clary schnell. »Versuch nicht, ihm zu folgen.«

»Aber der Kelch«, murmelte Jace. Clary hätte nicht sagen können, was er in diesem Augenblick dachte, doch die Klinge in seiner Hand zitterte heftig.

»Lass das den Rat machen! Jace, bitte.« Wenn du durch das Portal gehst, wirst du nie wieder zurückkommen. Valentin wird dich töten – auch wenn du es nicht glauben willst, er wird es tun.

»Deine Schwester hat recht.« Valentin stand inmitten von grünem Gras und Wildblumen; Blattlaub kräuselte sich zu seinen Füßen und Clary wurde plötzlich bewusst, dass er und sie, obwohl nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, in zwei unterschiedlichen Ländern standen. »Glaubst du wirklich, dass du eine Chance gegen mich hättest? Selbst mit deiner Seraphklinge und obwohl ich unbewaffnet bin? Ich bin nicht nur stärker als du, ich bezweifle auch, dass du es in dir hast, mich zu töten. Und du wärst gezwungen, mich zu töten, Jonathan, bevor ich dir den Kelch überlasse.«

Jace’ Hand verkrampfte sich um das Heft seiner Engelsklinge. »Ich kann …«

»Nein, das kannst du nicht.« Valentin griff plötzlich durch das Portal, packte Jace am Handgelenk und zog seinen Arm auf ihn zu, bis die Spitze der Seraphklinge seine Brust berührte. An der Stelle, an der Jace’ Hand und Arm durch das Portal reichten, schienen sie zu schimmern wie unter einer Wasseroberfläche. »Komm schon«, sagte Valentin. »Stoß mit der Klinge zu. Zehn Zentimeter reichen, vielleicht fünfzehn.« Ruckartig zog er die Klinge in seine Richtung, bis die Spitze den Stoff seines Hemds durchtrennte. Genau über seinem Herzen erschien ein roter Kreis, wie eine Mohnblüte. Jace keuchte, riss seinen Arm los und taumelte zurück.

»Genau wie ich es mir gedacht habe«, sagte Valentin. »Viel zu weichherzig.« Dann schlug er blitzschnell mit geballter Faust in Jace’ Richtung. Clary schrie auf, doch der Schlag erreichte sein Ziel nicht – stattdessen traf er die Oberfläche des Portals zwischen ihnen. Es klang so, als ob Tausende kleiner Gegenstände zerbrechen würden; dann erschien ein Netz winziger Risse auf dem Glas, das kein Glas war, und das Letzte, was Clary hörte, ehe das Portal in einem Regen spitzer Scherben zerfiel, war Valentins höhnisches Gelächter.

Die Splitter strömten über den Boden wie ein Schauer aus Eis, eine Kaskade silberner Spiegelbilder von seltsamer Schönheit. Clary machte unwillkürlich einen Schritt zurück, doch Jace blieb regungslos inmitten des gläsernen Schauers stehen und starrte den leeren Spiegelrahmen an.

Clary hatte angenommen, er würde explodieren, seinem Vater etwas nachschreien oder ihn verfluchen, doch stattdessen stand er nur da, bis die letzten Scherben zu Boden gefallen waren. Danach kniete er sich schweigend hin, suchte vorsichtig in dem Wirrwarr aus zerbrochenem Glas ein größeres Stück heraus und drehte es langsam in den Händen.

»Nicht.« Clary kniete neben ihm nieder und legte den Dolch auf den Boden, den sie noch immer in der Hand hielt. Das beruhigende Gefühl, das die Waffe ihr gegeben hatte, war verschwunden. »Du hättest nichts tun können, um ihn aufzuhalten.«

»Doch, das hätte ich.« Jace starrte noch immer auf die Spiegelscherbe. Glassplitter glitzerten in seinen Haaren. »Ich hätte ihn töten können.« Er drehte das Bruchstück, sodass sie hineinschauen konnte. »Hier, sieh mal«, sagte er.

Clary warf einen Blick in die Scherbe und sah Teile von Idris – ein Stückchen blauen Himmel, den Schatten von grünen Blättern. Sie stieß einen gequälten Seufzer aus. »Jace …«

»Alles in Ordnung?«

Clary schaute hoch. Es war Luke, der sich über sie beugte. Er war unbewaffnet und hatte tiefe dunkle Ringe unter den Augen. »Mit uns ist alles in Ordnung«, erwiderte sie. Hinter ihm erkannte sie eine gekrümmte Gestalt auf dem Boden, halb bedeckt von Valentins langem Mantel. Eine Hand mit spitzen Klauen ragte unter dem Saum heraus. »Alaric …?«

»Er ist tot«, sagte Luke. Seine Stimme klang schmerzerfüllt. Clary wusste, auch wenn er Alaric kaum gekannt hatte, würde die schwere Last der Schuld ihn für immer begleiten. Auf diese Weise vergiltst du also die bedingungslose Loyalität, die du dir so billig erkauft hast, Lucian. Indem du sie für dich sterben lässt.

»Mein Vater ist entkommen. Mit dem Kelch«, murmelte Jace matt. »Wir haben ihm den Kelch regelrecht in die Hände gespielt. Ich habe versagt.«

Luke legte eine Hand auf Jace’ Schulter, fegte ein paar Glassplitter beiseite. Seine Krallen waren noch immer ausgefahren und blutverschmiert, doch Jace nahm die Berührung wortlos hin, als störte es ihn nicht im Geringsten. »Es ist nicht deine Schuld«, widersprach Luke und schaute Clary an. Seine blauen Augen wirkten ruhig und schienen zu sagen: Dein Bruder braucht dich jetzt; bleib bei ihm.

Clary nickte. Luke ging zum Fenster und stieß es auf. Eine starke Brise frischer Luft strömte in den Saal und ließ die Kerzen flackern. Clary hörte, wie er den unten versammelten Wölfen etwas zurief.

Sie wandte sich wieder Jace zu. »Alles wird gut«, sagte sie zögernd, obwohl sie wusste, dass das möglicherweise nicht stimmte, und legte eine Hand auf seine Schulter. Der Stoff seines Hemdes fühlte sich rau und schweißdurchtränkt an, irgendwie seltsam beruhigend. »Wir haben meine Mutter wieder. Wir haben dich. Wir haben alles, was wirklich wichtig ist.«

»Er hatte recht. Deshalb konnte ich mich auch nicht dazu überwinden, durch das Portal zu gehen«, flüsterte Jace. »Ich konnte es einfach nicht. Ich konnte ihn nicht töten.«

»Du hättest nur dann wahrhaftig versagt, wenn du es getan hättest – wenn du ihn getötet hättest«, entgegnete Clary.

Er erwiderte nichts darauf, murmelte nur leise etwas vor sich hin, das sie nicht verstehen konnte. Sie beugte sich vor und nahm ihm den Glassplitter aus der Hand. Er blutete aus zwei feinen Schnittwunden, die die Scherbe in seiner Handfläche hinterlassen hatte. Sie legte das Bruchstück beiseite, nahm behutsam seine Hand und schloss seine Finger über der verletzten Haut. »Also ehrlich, Jace«, tadelte sie ihn milde, »du solltest doch wissen, dass man nicht mit Glasscherben spielt.«

Er stieß einen Laut hervor, der wie ein unterdrücktes Lachen klang, und zog sie in seine Arme. Clary wusste, dass Luke sie vom Fenster aus beobachtete, doch sie kniff entschlossen die Augen zu und vergrub ihr Gesicht in Jace’ Schulter. Er roch nach Salz und Blut, und erst als sein Mund dicht an ihrem Ohr war, verstand sie, was er da sagte, was er die ganze Zeit vor sich hin gemurmelt hatte wie eine Beschwörung: ihren Namen, immer wieder ihren Namen.