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»Eure Güte geht sehr weit. Ich bin ihr dankbar und kann sie doch nicht annehmen. Was ich suche, ist nicht so sehr Stillung einer Neugierde oder einer Lüsternheit auf das Weltleben als vielmehr Unbedingtheit. Ich wünsche nicht in die Welt hinauszugehen mit einer Rückversicherung für den Fall einer Enttäuschung in der Tasche, ein vorsichtiger Reisender, der sich ein wenig in der Welt umsieht. Ich begehre im Gegenteil Wagnis, Erschwerung und Gefahr, ich bin hungrig nach Wirklichkeit, nach Aufgaben und Taten, auch nach Entbehrungen und Leiden. Darf ich Euch bitten, nicht auf Eurem gütigen Vorschlag zu beharren, und überhaupt nicht auf dem Versuch, mich wankend zu machen und zurückzulocken? Es würde zu nichts führen. Mein Besuch bei Euch würde für mich seinen Wert und seine Weihe verlieren, wenn er mir die nachträgliche, jetzt von mir nicht mehr begehrte Bewilligung meines Gesuches einbrächte. Ich bin seit jenem Gesuch nicht stehengeblieben; der Weg, den ich angetreten habe, ist jetzt mein ein und alles, mein Gesetz, meine Heimat, mein Dienst.«

Seufzend nickte Alexander Gewährung. »Nehmen wir also einmal an,« sagte er geduldig, »Ihr seiet in der Tat nicht zu erweichen und umzustimmen, Ihr seiet, allem äußern Anschein zum Trotz, ein tauber, keiner Autorität, keiner Vernunft, keiner Güte Gehör schenkender Amokläufer oder Berserker, dem man nicht in den Weg treten darf. Ich will denn vorläufig darauf verzichten, Euch umstimmen und beeinflussen zu wollen. Aber dann saget mir jetzt das, was zu sagen Ihr hierher gekommen seid, erzählet mir die Geschichte Eures Abfalls, erkläret mir die Taten und Entschlüsse, mit denen Ihr uns erschrecket! Sei es Beichte, sei es Rechtfertigung, sei es Anklage, ich will es anhören.«

Knecht nickte. »Der Amokläufer bedankt und freut sich. Ich habe keine Anklage vorzutragen. Was ich sagen möchte – wenn es nur nicht so schwer, so unglaublich schwer in Worte zu bringen wäre –, hat für mich den Sinn einer Rechtfertigung, für Euch mag es den einer Beichte haben.«

Er lehnte sich im Sessel zurück und blickte nach oben, wo an der Wölbung der Decke noch blasse Reste ehemaliger Bemalung gelsterten, aus Hirslands Klosterzeiten her, traumhaft dünne Schemen von Linien und Farbtönen, von Blumen und Ornamenten.

»Der Gedanke, daß man ein Magisteramt auch satt haben und niederlegen könne, kam mir zum ersten Male schon wenige Monate nach meiner Ernennung zum Glasperlenspielmeister. Da saß ich eines Tages und las in einem Büchlein meines einst berühmten Vorfahren Ludwig Wassermaler, worin er, das Amtsjahr von Monat zu Monat durchlaufend, seinen Nachfolgern Hinweise und Ratschläge gibt. Ich las da seine Mahnung, beizelten an das öffentliche Glasperlenspiel des kommenden Jahres zu denken und, falls man sich dazu unlustig fühle und es einem an Einfällen mangle, sich durch Konzentration dazu zu stimmen. Als ich, in meinem kräftigen Gefühl als jüngster Magister, diese Mahnung las, lächelte ich zwar ein wenig jugendklug über die Sorgen des alten Mannes, der sie niedergeschrieben hatte, es klang mir aber doch auch etwas von Ernst und Gefahr, etwas Bedrohendes und Beklemmendes daraus nach. Das Nachdenken darüber führte mich zu dem Entschluß: sollte jemals der Tag kommen, an dem der Gedanke an das nächste Festspiel mir statt Freude Sorge und statt Stolz Angst einflößen würde, so würde ich, statt mir mühsam ein neues Festspiel abzuquälen, meinen Rücktritt nehmen und der Behörde die Insignien zurückgeben. Dies war das erste Mal, daß solch ein Gedanke mich beschäftigte, und allerdings glaubte ich damals, als ich eben die großen Strapazen des Einarbeitens in mein Amt überstanden und die Segel voll Wind hatte, zuinnerst nicht so recht an die Möglichkeit, daß auch ich einmal ein alter Mann und der Arbeit und des Lebens müde sein, daß ich einmal verdrossen und verlegen vor der Aufgabe stehen könnte, Ideen für neue Glasperlenspiele aus dem Ärmel zu schütteln. Immerhin, der Entschluß kam damals in mir zustande. Ihr habet mich ja zu jener Zeit recht gut gekannt, Ehrwürdiger, besser vielleicht, als ich mich selber kannte. Ihr wäret mein Berater und Beichtvater in der schweren ersten Amtszeit gewesen und hattet Waldzell erst vor kurzem wieder verlassen.«

Alexander blickte ihn prüfend an. »Ich habe kaum je einen schöneren Auftrag gehabt,« sagte er, »und war damals mit Euch und mit mir selber zufrieden, wie man es selten ist. Wenn es richtig ist, daß man alles Angenehme im Leben bezahlen muß, nun, so muß ich jetzt für mein damaliges Hochgefühl büßen. Ich war damals richtig stolz auf Euch. Das kann ich heute nicht sein. Wenn der Orden durch Euch eine Enttäuschung und Kastalien eine Erschütterung erlebt, so weiß ich mich dafür mitverantwortlich. Vielleicht hätte ich damals, als ich Euer Begleiter und Ratgeber war, einige Wochen länger in Eurer Spielersiedlung bleiben oder Euch noch etwas härter anfassen, noch genauer kontrollieren sollen.«

Knecht erwiderte seinen Blick heiter. »Ihr solltet Euch solche Skrupel nicht machen, Domine, ich müßte Euch sonst an manche Ermahnungen erinnern, die Ihr mir damals geben mußtet, wenn ich als jüngster Magister mein Amt mit seinen Verpflichtungen und Verantwortungen allzu schwer nahm. Ihr sagtet mir, eben fällt es mir wieder ein, in einer solchen Stunde einmaclass="underline" wenn ich, der Magister Ludi, ein Bösewicht oder Unfähiger wäre, und wenn ich alles täte, was ein Magister nicht tun darf, ja wenn ich es absichtlich darauf anlegte, in meiner hohen Stellung möglichst viel Schaden anzurichten, so würde dies alles unser liebes Kastalien nicht mehr stören und tiefer anrühren können als ein Steinchen, das man in einen See wirft. Ein paar Wellchen und Kreise, und es ist vorüber. So fest, so sicher sei unsre kastalische Ordnung, so unantastbar ihr Geist. Erinnert Ihr Euch? Nein, an meinen Versuchen, ein möglichst schlechter Kastalier zu sein und den Orden möglichst zu schädigen, seid Ihr gewiß unschuldig. Und Ihr wisset ja auch, daß es mir gar nicht gelingen wird und kann, Euren Frieden ernstlich zu stören. Aber ich will weitererzählen. – Daß ich schon im Beginn meines Magistrats jenen Entschluß fassen konnte und daß ich diesen Entschluß nicht vergaß, sondern jetzt daran bin, ihn zu verwirklichen, das hängt mit einer Art von seelischem Erlebnis zusammen, das mir von Zeit zu Zeit begegnet und das ich Erwachen nenne. Aber davon wisset Ihr schon, ich habe Euch damals einmal davon gesprochen, als Ihr mein Mentor und Guru wäret, und zwar klagte ich Euch damals, daß seit dem Antritt des Amtes jenes Erlebnis mich gemieden habe und mir immer mehr in die Ferne entschwinde.«

»Ich erinnere mich,« bestätigte der Vorstand, »ich war damals etwas betroffen über Eure Fähigkeit zu dieser Art von Erlebnis, sie ist bei uns sonst wenig zu finden, und draußen in der Welt tritt sie in so sehr verschiedenen Formen auf: etwa beim Genie, namentlich bei Staatsmännern und Heerführern, dann aber auch bei schwachen, halb pathologischen, im ganzen eher unterbegabten Menschen wie Hellsehern, Telepathen, Medien. Mit diesen beiden Menschenarten, den Kriegshelden wie den Hellsehern und Rutengängern, schienet Ihr mir so gar nichts zu tun zu haben. Vielmehr schienet Ihr mir damals und bis gestern ein guter Ordensmann zu sein: besonnen, klar, gehorsam. Das Heimgesuchtwerden und Beherrschtwerden von geheimnisvollen Stimmen, göttlichen oder dämonischen oder auch Stimmen des eigenen Innern, schien mir ganz und gar nicht zu Euch zu passen. Darum deutete ich mir die Zustände von »Erwachen,« wie Ihr sie mir beschriebet, einfach als ein gelegentliches Bewußtwerden des persönlichen Wachstums. Daraus ergab sich auch als natürlich, daß diese seelischen Erlebnisse damals längere Zeit ausblieben: Ihr wäret ja eben erst in ein Amt getreten und hattet eine Aufgabe übernommen, die Euch noch wie ein zu weiter Mantel umhing, in die Ihr erst hineinwachsen mußtet. Aber saget: habet Ihr jemals geglaubt, diese Erweckungen seien so etwas wie Offenbarungen höherer Mächte, Mitteilungen oder Anrufe aus Bezirken einer objektiven, ewigen oder göttlichen Wahrheit?«