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Gerade zu einer Zeit, in der diese Problematik ihn stark bedrängte und er in Träumen des öftern Auseinandersetzungen mit Designori erlebte, begegnete es ihm einmal beim Gang über einen der geräumigen Höfe der Waldzeller Spielerstadt, daß hinter ihm von einer Stimme, die er nicht gleich erkannte und die ihm doch wohlbekannt scheinen wollte, laut sein Name gerufen wurde. Als er sich umwandte, sah er einen großgewachsenen jungen Mann, mit einem Bärtchen im Gesicht, der stürmisch auf ihn zulief. Es war Plinio, und in einem Andrang von Erinnerung und Zärtlichkeit begrüßte er ihn herzlich. Sie verabredeten sich auf den Abend. Plinio, der längst seine Studentenzeit an den weltlichen Hochschulen hinter sich hatte und schon Beamter war, hatte sich für eine kurze Ferienzeit als Gast zu einem Glasperlenspielkurs eingefunden, wie er auch schon vor einigen Jahren einen absolviert hatte. Das abendliche Beisammensein brachte die beiden Freunde jedoch bald in Verlegenheit. Plinio war hier ein Gastschüler, ein geduldeter Dilettant von draußen, der zwar mit großem Eifer seinem Kurse folgte, aber einem Kurse für Außenstehende und Liebhaber, die Distanz war allzu groß; er saß einem Fachmann und Eingeweihten gegenüber, der sogar noch durch seine Schonung und sein artiges Eingehen auf des Freundes Interesse für das Glasperlenspiel ihn fühlen lassen mußte, daß er hier kein Kollege, sondern ein Kind sei und an der Peripherie einer Wissenschaft sein Vergnügen fand, welche dem andern bis ins Innerste vertraut war. Knecht suchte das Gespräch vom Spiele abzulenken, er bat Plinio, ihm von seinem Amt, seiner Arbeit, seinem Leben dort draußen zu erzählen. Hier nun war Josef der Zurückgebliebene und das Kind, das ahnungslose Fragen stellte und vom andern schonend belehrt wurde. Plinio war Jurist, strebte nach politischem Einfluß, war im Begriff, sich mit der Tochter eines Parteiführers zu verloben, er sprach eine Sprache, welche Josef nur halb verstand, viele oft wiederkehrende Ausdrücke klangen ihm leer, wenigstens hatten sie für ihn keinen Inhalt. Es war immerhin zu merken, daß Plinio dort in seiner Welt etwas galt, Bescheid wußte und ehrgeizige Ziele hatte. Aber die zwei Welten, die sich einst vor zehn Jahren in den beiden Jünglingen neugierig und nicht ohne Sympathie berührt und befühlt hatten, klafften jetzt unvereinbar und fremd auseinander. Es war ja anzuerkennen, daß dieser Weltmann und Politiker eine gewisse Anhänglichkeit an Kastalien bewahrt hatte und schon zum zweitenmal eine Ferienzeit dem Glasperlenspiel opferte; aber am Ende, dachte Josef, war es doch nicht viel anders, als wenn er, Knecht, eines Tages sich in Plinios Amtsbezirk eingefunden und sich als neugieriger Gast einige Gerichtssitzungen, ein paar Fabriken oder Wohlfahrtseinrichtungen hätte zeigen lassen. Enttäuscht waren beide. Knecht fand seinen einstigen Freund vergröbert und veräußerlicht, Designori dagegen fand den Kameraden von damals recht hochmütig in seiner exklusiven Geistigkeit und Esoterik, ein richtiger von sich und seinem Sport entzückter »Nurnochgeist« schien er ihm geworden zu sein. Indessen gaben sie sich Mühe, und Designori wußte allerlei zu erzählen, von seinen Studien und Prüfungen, von Reisen nach England und in den Süden, von politischen Versammlungen, vom Parlament. Einmal äußerte er auch ein Wort, das wie Drohung oder Warnung klang, er sagte: »Du wirst sehen, es wird bald unruhige Zeiten geben, vielleicht Kriege, und es ist gar nicht unmöglich, daß eure ganze kastalische Existenz einst wieder ernstlich in Frage gestellt wird.« Josef nahm es nicht allzu ernst, er fragte nur: »Und du, Plinio? Wirst du für oder gegen Kastalien sein?«

»Ach,« meinte Plinio mit erzwungenem Lachen, »mich wird man kaum um meine Meinung fragen. Übrigens bin ich natürlich für den ungestörten Fortbestand von Kastalien, sonst wäre ich ja nicht hier. Immerhin, so bescheiden eure Ansprüche in materieller Hinsicht sind, kostet Kastalien das Land eine ganz hübsche Summe im Jahr.«

»Ja,« lachte Josef, »die Summe beträgt, wie man mir sagte, etwa den zehnten Teil von dem, was während des kriegerischen Jahrhunderts unser Land jährlich für Waffen und Munition ausgab.«

Sie trafen sich noch einige Male, und je näher das Ende von Plinios Kurs heranrückte, desto beflissener waren sie um Artigkeiten gegeneinander. Doch fühlten beide sich erleichtert, als die zwei oder drei Wochen um waren und Plinio abreiste.

Glasperlenspielmeister war damals Thomas von der Trave, ein berühmter, weitgereister und weltgewandter Mann, konziliant und vom artigsten Entgegenkommen gegen jedermann, der sich ihm näherte, in den Spielangelegenheiten aber von wachsamster und asketischer Strenge, ein großer Arbeiter, was jene nicht ahnten, die ihn nur von der repräsentativen Seite kannten, etwa im Festornat als Leiter der großen Spiele oder beim Empfang von Abordnungen aus dem Auslande. Man sagte ihm nach, er sei ein kühler, ja kalter Verstandesmensch, der zum Musischen nur in einem Höflichkeitsverhältnis stehe, und unter jungen und enthusiastischen Liebhabern des Glasperlenspiels hörte man gelegentlich eher absprechende Urteile über ihn – Fehlurteile, denn wenn er kein Enthusiast war und es in den großen öffentlichen Spielen eher vermied, große und erregende Themen anzurühren, so zeigen seine glänzend aufgebauten, formal unübertrefflichen Spiele doch für die Kenner eine nahe Vertrautheit mit den hintergründigen Problemen der Spielwelt.