Es ließe sich noch manches Beispiel für die erzieherische und seelenärztliche Tätigkeit Knechts anführen, und an jungen Studierenden, welche durch die sanfte Gewalt seiner Persönlichkeit in ähnlicher Weise für ein Leben in echt kastalischem Geiste gewonnen wurden, wie einst Knecht selbst durch den Musikmeister, ist kein Mangel. Alle diese Beispiele zeigen uns den Magister Ludi nicht als einen irgend problematischen Charakter, sie alle sind Zeugnisse der Gesundheit und des Gleichgewichts. Nur scheint die liebevolle Bemühung des Ehrwürdigen um labile und gefährdete Charaktere wie Petrus oder Teguarius auf eine besondere Wachheit und Feinfühligkeit für solche Erkrankungen oder Anfälligkeiten des kastalischen Menschen hinzudeuten, eine vom ersten Erwachen an nie wieder beruhigte und eingeschlafene Aufmerksamkeit für die Probleme und Gefahren, welche im kastalischen Leben selbst liegen. Diese Gefahren aus Leichtsinn und Bequemlichkeit nicht sehen zu wollen, wie der wohl größere Teil unserer Mitbürger es tut, lag seinem hellen und mutigen Wesen fern, und vermutlich ist die Taktik der meisten seiner Kollegen in der Behörde, welche das Vorhandensein dieser Gefahren zwar kennen, sie aber grundsätzlich als nicht existent behandeln, niemals die seine gewesen. Er sah und kannte sie, oder doch manche von ihnen, und seine Vertrautheit mit der Frühgeschichte Kastaliens ließ ihm das Leben inmitten dieser Gefahren als einen Kampf erscheinen und ließ ihn dieses Leben in der Gefahr bejahen und lieben, während so viele Kastalier ihre Gemeinschaft und das Leben in ihr lediglich als ein Idyll auffassen. Auch aus des Paters Jakobus Werken über den Benediktinerorden war ihm die Vorstellung des Ordens als einer militanten Gemeinschaft und der Frömmigkeit als einer kämpferischen Haltung vertraut. »Es gibt,« so hat er einmal gesagt, »kein adliges und erhöhtes Leben ohne das Wissen um die Teufel und Dämonen und ohne den beständigen Kampf gegen sie.«
Ausgesprochene Freundschaften zwischen den Inhabern der höchsten Ämter kommen bei uns äußerst selten vor, und so wundern wir uns nicht darüber, daß Knecht in den ersten Amtsjahren mit keinem seiner Kollegen ein solches Verhältnis gepflegt hat. Große Sympathien hatte er für den Altphilologen in Keuperheim und eine tiefe Hochachtung vor der Ordensleitung, aber in dieser Sphäre ist das Persönliche und Private so nahezu völlig ausgeschaltet und objektiviert, daß über die amtliche Zusammenarbeit hinaus kaum ernstliche Annäherungen und Befreundungen möglich sind. Und doch sollte er auch dies noch erleben.
Uns steht das Geheimarchiv der Erziehungsbehörde nicht zur Verfügung; über die Haltung und Tätigkeit Knechts bei deren Sitzungen und Abstimmungen wissen wir nur, was sich aus seinen gelegentlichen Äußerungen gegen Freunde schließen läßt. Er scheint die Schweigsamkeit seiner ersten Magisterzeit in diesen Sitzungen zwar nicht immer beibehalten zu haben, aber doch nur selten rednerisch aufgetreten zu sein, außer wenn er selbst Initiant und Antragsteller war. Ausdrücklich bezeugt ist die Schnelligkeit, mit welcher er den herkömmlichen Umgangston, der am Gipfel unserer Hierarchie herrscht, sich zu eigen gemacht, und die Zierlichkeit, der Erfindungsreichtum und die Spielfreudigkeit, die er bei Übung dieser Formen zeigte. Bekanntlich verkehren die Spitzen unserer Hierarchie, die Magister und die Männer der Ordensleitung, untereinander nicht nur in einem sorgfältig eingehaltenen Zeremonialstil, sondern es herrscht unter ihnen, wir wissen nicht zu sagen seit wann, auch die Neigung oder geheime Vorschrift oder Spielregel, sich desto strengerer, desto sorgfältiger ziselierter Höflichkeit zu bedienen, je größer die Meinungsverschiedenheiten und je wichtiger die umstrittenen Fragen sind, über welche man sich ausspricht. Vermutlich hat diese von alters her überkommene Höflichkeit neben anderen Funktionen, die sie haben mag, auch und vor allem die Funktion einer Schutzmaßregeclass="underline" der äußerst höfliche Ton der Debatten schützt nicht nur die debattierenden Personen vor der Hingabe an Leidenschaftlichkeit und hilft ihnen die vollkommene Haltung wahren, er schützt und behütet außerdem die Würde des Ordens und der Behörde selbst, er umhängt sie mit Talaren des Zeremoniells und mit Schleiern der Heiligkeit, und so hat wohl diese von den Studenten oft bespöttelte Komplimentierkunst ihren guten Sinn. Vor der Zeit Knechts war sein Vorgänger, Magister Thomas von der Trave, ein besonders bewunderter Meister dieser Kunst gewesen. Man kann Knecht nicht eigentlich seinen Nachfolger darin, noch weniger seinen Nachahmer nennen, er war mehr ein Schüler der Chinesen und seine Art von Courtoisie weniger zugespitzt und mit Ironie durchsetzt. Aber als ein in Höflichkeit nicht zu Besiegender hat auch er unter seinen Kollegen gegolten.
Ein Gespräch
Wir sind in unserem Versuche an den Punkt gelangt, wo unser Augenmerk ganz von jener Entwicklung gefesselt wird, die des Meisters Leben in seinen letzten Jahren nahm und die zu seinem Abschied von Amt und Provinz, seinem Hinüberschreiten in einen andern Lebenskreis und seinem Ende geführt hat. Obwohl er bis zum Augenblick dieses Abschiedes sein Amt mit beispielhafter Treue verwaltet hat und bis zum letzten Tage die Liebe und das Vertrauen seiner Schüler und Mitarbeiter genoß, verzichten wir auf eine Fortführung unsrer Schilderung seiner Amtsführung nun, da wir ihn im Innersten dieses Amtes müde geworden und anderen Zielen zugewendet sehen. Er hatte den Kreis der Möglichkeiten, welche dies Amt der Entfaltung seiner Kräfte gab, durchschritten und war an die Stelle gelangt, an welcher große Naturen den Weg der Tradition und gehorsamen Einordnung verlassen und im Vertrauen auf oberste, nicht nennbare Mächte das Neue, noch nicht Vorgezeichnete und Vorgelebte versuchen und verantworten müssen.