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»Doppelt?«

»Doppelt.«

»Dann nehme ich auch einen«, sagte der Wirt. »Trinken ist eine ansteckende Krankheit.«

»Auch bei Wirten?«

»Ich bin nur halb Wirt; halb bin ich Maler. In meiner freien Zeit. Ein Kurgast hat es mir beigebracht.«

»Gut«, sagte Clerfayt. »Dann wollen wir auf die Kunst trinken. Das ist eine der wenigen Sachen, auf die man heute noch mit einiger Sicherheit trinken kann. Landschaften schießen nicht. Salut!«

* * *

Er ging zur Garage, um nach Giuseppe zu sehen. Der Wagen stand in dem großen, dämmerigen Raum ziemlich weit hinten, mit dem Kühler zur Wand.

Clerfayt blieb am Eingang stehen. Er sah im Halbdunkel jemand am Steuer sitzen. »Spielen Ihre Lehrlinge hier Rennfahrer?« fragte er den Besitzer der Garage, der mit ihm gekommen war.

»Das ist kein Lehrling. Er sagt, er wäre ein Freund von Ihnen.«

Clerfayt sah schärfer hin und erkannte Hollmann.

»Stimmt das nicht?« fragte der Besitzer.

»Doch, es stimmt. Wie lange ist er schon hier?«

»Noch nicht lange. Fünf Minuten.«

»Ist er das erste Mal hier?«

»Nein; er war heute morgen schon einmal da — aber nur für einen Augenblick.«

Hollmann saß mit dem Rücken zu Clerfayt am Steuer Giuseppes. Es war ohne Zweifel, daß er in seiner Phantasie ein Rennen fuhr. Man hörte das leise Klickern der Gänge beim Schalten. Clerfayt überlegte einen Augenblick, dann winkte er dem Garagisten und ging hinaus. »Verraten Sie nicht, daß ich ihn gesehen habe«, sagte er.

Der Mann nickte ohne Neugier.

»Lassen Sie ihn mit dem Wagen machen, was er will. Hier — « Clerfayt zog den Autoschlüssel aus der Tasche. »Geben sie ihm den Schlüssel, wenn er danach fragt. Wenn er nicht fragt, stecken Sie ihn in die Zündung, wenn er fortgegangen ist. Für das nächste Mal. Natürlich, ohne die Zündung einzuschalten. Sie verstehen?«

»Ich soll ihn machen lassen, was er will? Auch mit dem Schlüssel?«

»Auch mit dem Wagen«, sagte Clerfayt.

Er traf Hollmann beim Mittagessen im Sanatorium. Hollmann sah müde aus. »Föhn«, sagte er. »Jeder fühlt sich bei dem Wetter scheußlich. Man schläft schlecht; schwer, mit verrückten Träumen. Und du?«

»Normaler Katzenjammer. Zuviel getrunken.«

»Mit Lillian?«

»Nachher. Hier oben merkt man es nicht, während man trinkt — dafür aber am nächsten Morgen.«

Clerfayt sah sich im Speisesaal um. Es waren nicht viele Leute da. Die Südamerikaner saßen in ihrer Ecke. Lillian fehlte. »Bei diesem Wetter bleiben die meisten im Bett«, sagte Hollmann.

»Warst du schon draußen?«

»Nein. Hast du von Ferrer gehört?«

»Er ist tot.«

Sie schwiegen eine Weile. Es war nichts dazu zu sagen. »Was machst du heute nachmittag?« fragte Hollmann schließlich.

»Schlafen und herumlaufen. Kümmere dich nicht um mich. Ich bin froh, an einem Platz zu sein, wo es außer Giuseppe fast kein Auto gibt.«

Die Tür öffnete sich. Boris Wolkow sah herein und nickte Hollmann zu. Clerfayt ignorierte er. Er kam nicht in das Zimmer, sondern schloß die Tür sofort wieder. »Er sucht Lillian«, sagte Hollmann. »Weiß der Himmel, wo sie ist! Sie sollte in ihrem Zimmer sein.«

Clerfayt stand auf. »Ich gehe schlafen. Die Luft hier macht müde, du hast recht. Kannst du heute abend aufbleiben? Hier, zum Essen?«

»Natürlich. Ich habe heute kein Fieber; und das von gestern abend habe ich nicht aufs Krankenblatt geschrieben. Die Krankenschwester traut mir so weit, daß ich meine Temperatur selbst nehmen darf. Auch eine Leistung, was? Wie ich Thermometer hasse!«

»Also bis acht.«

»Sieben. Aber willst du nicht einmal irgendwo anders essen? Dies hier muß dich doch langweilen.«

»Sei nicht albern. Ich habe in meinem Leben viel zu wenig Gelegenheit zu einer guten, soliden Vorkriegslangeweile gehabt. So was ist heute das seltene, große Abenteuer unserer Zeit geworden, vorbehalten nur noch den Schweizern und sonst niemand mehr in Europa. Selbst nicht den Schweden; deren Währung ging immerhin mit zum Teufel, während die Menschheit von allen Seiten gerettet wurde. Soll ich dir etwas aus dem Dorf hereinschmuggeln?«

»Nein. Ich habe alles da. Heute abend ist Budenzauber hier bei einer Italienerin, Maria Savini. Heimlich natürlich.«

»Gehst du hin?«

Hollmann schüttelt den Kopf. »Ich habe keine Lust. Diese Art von Budenzauber wird immer gemacht, wenn einer abgereist ist. Abgereist heißt gestorben. Man trinkt und redet sich dann neue Courage an.«

»Also eine Art von Leichenschmaus?«

»Ja, so ähnlich.« Hollmann gähnte. »Zeit für die vorgeschriebene Siesta. Liegekur ohne Sprechen. Für mich auch. Bis heute abend, Clerfayt.«

* * *

Der Husten hatte aufgehört. Lillian Dunkerque legte sich erschöpft zurück. Das Morgenopfer war gebracht; der Tag war bezahlt. Der vorhergehende Abend auch. Sie wartete darauf, abgeholt zu werden. Die wöchentliche Röntgendurchleuchtung war fällig. Sie kannte das Ritual bis zum Erbrechen; trotzdem regte es sie jedes Mal auf.

Sie hasste die Intimität des Röntgenraumes. Sie hasste es, mit nacktem Oberkörper dazustehen und die Blicke des Assistenzarztes auf sich zu fühlen. Der Dalai Lama störte sie nicht. Für ihn war sie ein Fall — für den Assistenzarzt war sie eine Frau. Es irritierte sie nicht so sehr, daß sie nackt war; es irritierte sie, daß sie mehr als nackt war, wenn sie an den Schirm trat. Sie war dann nackt unter der Haut, nackt bis auf die Knochen und die sich bewegenden und pulsenden Organe. Sie war für die blinkenden Augengläser im rötlichen Dunkel nackter als sie sich selbst je gesehen hatte und je sehen konnte.

Eine Zeitlang war sie mit Agnes Somerville zusammen zum Durchleuchten gekommen. Sie hatte dann gesehen, wie Agnes sich plötzlich aus einem schönen, jungen Menschen in ein lebendes Skelett verwandelt hatte, in dem wie fahle Tiere die Lunge und der Magen hockten und sich dehnten, als fräßen sie das Leben. Sie hatte gesehen, wie das Skelett sich bewegte, zur Seite, nach vorn, wie es Atem holte und sprach, und sie wußte, daß es bei ihr genauso aussehen mußte. Es war ihr wie eine sonderbare Obszönität erschienen, daß der Assistenzarzt sie so sehen konnte, während sie seinen Atem im Dunkel hörte.

Die Schwester kam. »Wer ist vor mir?« fragte Lillian.

»Fräulein Savini.«

Lillian zog ihren Morgenrock an und folgte der Schwester zum Aufzug. Sie sah durch das Fenster den grauen Tag. »Ist es kalt?« fragte sie.

»Nein. Vier Grad.«

Der Frühling wird bald da sein, dachte sie. Der kranke Wind, der Föhn, das nasse, klatschende Wetter, die schwere Luft, das halbe Ersticken morgens. Maria Savini kam aus dem Röntgenkabinett. Sie schüttelte ihr schwarzes Haar zurecht. »Wie war es?« fragte Lillian.

»Er sagt nichts. Ist schlechter Laune. Wie gefällt dir mein neuer Morgenrock?«

»Wunderbare Seide.«

»Wirklich? Von Lisio aus Florenz.« Maria verzog ihr verbrauchtes Gesicht und lachte. »Was bleibt uns übrig? Wenn wir abends nicht raus dürfen, müssen wir hier mit unsern Dressinggowns prunken. Kommst du heute abend zu mir rüber?«

»Ich weiß noch nicht.«

»Fräulein Dunkerque, der Professor wartet«, mahnte die Schwester aus der Tür.

»Komm!« sagte Maria. »Die andern kommen auch! Ich habe neue Platten aus Amerika. Phantastisch!«

Lillian trat in das halbdunkle Kabinett. »Endlich!« sagte der Dalai Lama. »Ich wollte, Sie wären einmal pünktlich!«

»Es tut mir leid.«

»Schon gut! Die Fieberkarte.«

Die Schwester reichte sie ihm. Er studierte sie und flüsterte mit dem Assistenzarzt. Lillian versuchte zu verstehen, was er sagte. Es gelang ihr nicht. »Licht aus!« sagte der Dalai Lama schließlich. »Bitte nach rechts — nach links — noch einmal —«