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Eine Zeitlang lauschte er auf das Murmeln des Wassers. „Das hätten sie bestimmt nicht getan“, sagte er laut und überzeugt. „Der Oberste Rat wollte mich unbedingt haben. Bestimmt hätten sie mich nicht hierhergebracht.“ Aber er war hier. Dann …

Ein ungeheures Jubelgefühl durchströmte ihn. Er war also aus eigenen Kräften hierhergekommen. Er hatte an diesen Fleck gedacht, als das Gewehr abgefeuert wurde und war auch hierhergekommen. Er war hier.

„Ich muß es nochmals versuchen“, frohlockte er, „jetzt, sofort.“ Aber er war zu schwach, um sich konzentrieren zu können. Schließlich setzte er sich nieder, verlor das Gleichgewicht und dann auch das Bewußtsein.

Der Tag war schon weit fortgeschritten, als er wieder aufwachte Zwischen den Stämmen des Wäldchens war es bereits dämmerig, und als er den Waldrand erreichte, sah er, daß die Bäume schon lange Schatten warfen. In der Ferne sah er im Park dunkelgekleidete Gestalten. Ob wohl der Alte mit der Laute noch da war und abend: sang?

„Ich muß es nochmals versuchen“, dachte er. „Ich muß.“ Er schloß die Augen, ballte die Hände zu Fäusten, bis die Nägel schmerzhaft in das Fleisch eindrangen. In gewaltiger geistiger Anstrengung zwang er sich, sich in Gedanken an den Bach zurückzuversetzen. Er öffnete die Augen, blickte auf Getreidefelder, Raxtinu und die fernen, dunklen Gestalten. Das Murmeln des Baches erklang irgendwo hinter ihm zwischen den Bäumen. Immer wieder versuchte er es, bis es vollkommen dunkel war und das diffuse Leuchten von der Energieschranke entlang der Straße sichtbar wurde. Als er zu erschöpft war, um weitere Versuche unternehmen zu können, ließ er sich ins Gras sinken und schlief ein.

Im Morgengrauen erwachte er im taufeuchten Gras. Die Muskeln waren von der ungewohnten Härte seines Lagers steif geworden, aber dennoch fühlte er sich ausgeruht und erfrischt. Er drängte den Gedanken an den bohrenden Hunger zurück, richtete sich auf und blickte zum Raxtinu hinüber. Die aufsteigende Sonne vertrieb den Morgennebel, und dunkelgekleidete Gestalten tauchten im Park auf. Corban sah ihnen zu und dachte nach. Als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, gelangte er schließlich zu einem Entschluß. Er stand auf und ging den Hang hinab.

Ein fremder Arzt war keine Neuigkeit im Raxtinu, und die Patienten achteten daher nicht weiter auf ihn, nachdem sie einen flüchtigen Blick auf seine blaue Kleidung geworfen hatten. Forsch betrat er das Hauptgebäude, bewegte sich dann aber mit größter Vorsicht weiter. Er durfte nicht auf Menschen mit telepathischen Kräften stoßen. Mit größter Vorsicht gelang es ihm, einer Wärterin auszuweichen und hastig um eine Ecke zu verschwinden. Vorsichtig spähte er den Gang hinab und konnte im letzten Augenblick vor dem Direktor in einen Seitengang entweichen.

Sein Ziel war eine Tür mit der Aufschrift „Unbefugten Zutritt verboten“. Unbemerkt erreichte er die Tür und glitt in den dahinterliegenden Raum.

Er befand sich in einem langen Gang. Ein dunkelgekleideter Patient näherte sich und schob einen leeren Wagen vor sich her. Wortlos nickte er Corban zu und ging vorbei. Corban bewegte sich noch vorsichtiger. Verführerische Speisegerüche stiegen ihm von irgendwoher in die Nase und erinnerten ihn an seinen unbändigen Hunger. Vorsichtig öffnete er eine Tür, blickte schnell in das dahinterliegende Zimmer und schloß sie wieder. Tür um Tür öffnete er, bis er schließlich das Zimmer fand, das er suchte.

Ringsum an den Wänden standen Regale, auf denen hohe Stapel dunkler Kleidung für die Patienten aufgeschichtet waren. Corban ging von Regal zu Regal, bis er einen Anzug gefunden hatte, der ihm paßte. Mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt, zog er hastig die blaue Arztkleidung aus und vertauschte sie gegen die dunkle Anstaltskleidung. Durch einen raschen Blick aus der halbgeöffneten Tür überzeugte er sich, daß der Gang leer war. Dann verließ er das Zimmer und eilte davon.

Ohne Umweg ging er direkt zu den Verwaltungsbüros. Eine Ärztin nickte ihm flüchtig zu. Sie zeigte keinerlei Anzeichen des Erkennens. „Kann ich mit Dr. Alir sprechen?“ fragte Corban.

„Dr. Alir ist nicht im Haus.“

„Wann wird sie zurückerwartet?“

„Sie wird überhaupt nicht zurückkehren“, antwortete die Ärztin. „Sie ist versetzt worden.“

„Sie ist versetzt worden?“ wiederholte Corban dumpf. Das beinahe unmerkliche Zögern der Ärztin ließ einen Sturm der Besorgnis in ihm ausbrechen. Erst jetzt kam ihm der Gedanke, daß die Gegenwart der Soldaten auf Dr. Alirs Grundstück kein purer Zufall gewesen sein könnte. Die Tatsache seiner Entdeckung — auch wenn ihm die Flucht gelungen war — konnte Dr. Alir und ihrer Mutter großen Schaden gebracht haben.

„Kann ich Ihnen helfen?“ erkundigte sich die Ärztin. „Möchten Sie mit einem anderen Arzt sprechen?“

Corban wandte sich ab. „Nein, danke“, murmelte er und eilte davon.

Im Park war es kühl und friedlich. Irgend jemand hatte an einer schattigen Stelle einen Stuhl vergessen, und Corban machte es sich darauf bequem. Er blickte zum Bach hinüber, in dem ein Mann und eine Frau wateten und spritzten und sich dem kindlichen Unsinn dieses Spiels hingaben. Corban beobachtete sie, und Neid erfaßte ihn. Vorbeigehende Patienten nickten ihm freundlich zu. Eine gutaussehende junge Frau, die in einiger Entfernung an ihm vorbeiging, lächelte und winkte ihm zu. Er befand sich wieder unter seinesgleichen, und diese Erkenntnis wirkte beinahe schmerzlich. Hier hätte er alles vergessen und den Rest seiner Tage friedlich verleben können. Aber es gab kein Vergessen. Müde stand er auf.

Die Ärztin blickte ihn bei seiner Rückkehr leicht überrascht und fragend an. „Ich möchte gern den Direktor sprechen“, erklärte Corban.

Corban erhielt keine Antwort, aber einen Augenblick später betrat der Direktor das Zimmer. Nachdenklich blickte er Corban an, nickte der Ärztin zu und winkte Corban. „Kommen Sie bitte mit“, sagte er in so sachlichem Ton, daß Corban sich fragte, ob er erkannt worden war.

Sobald sie jedoch das Büro des Direktors erreichten, drehte dieser sich um und deutete mit dem Finger auf Corban. „Sie“, sagte er ganz langsam und mit Nachdruck, „werden überall in jedem Winkel des Planeten gesucht außer hier im Asyl. Wie sind Sie nur hierhergekommen?“

„Wo ist Dr. Alir?“ verlangte Corban zu wissen.

„Tja“, erwiderte der Direktor, „das ist so eine Sache.“ Er ließ sich an seinem Tisch nieder und wies auf einen Stuhl. Corban blieb jedoch stehen. „Dr. Alir“, sagte der Direktor, „ist im Gefängnis. Sie hat ihre Beteiligung an Ihrer Flucht gestanden. Ich fürchte, man wird nicht eben sanft mit ihr umgehen. Jetzt aber erzählen Sie mir, wie Sie hierhergelangt sind.“

Corban erzählte es ihm. Der Direktor hörte sich die Geschichte an und stellte dann Fragen. Wie hatte Corban sich eigentlich nach seiner ersten durch Geisteskräfte bewirkten Fortbewegung gefühlt? Welches Übelkeitsgefühl hatte ihn danach überkommen? Weshalb wartete er so lange ab, ehe er es wieder versuchte? Und schließlich: Weshalb war er eigentlich hierhergekommen?

„Sie hätten sich für immer in einem der Dörfer verbergen können“, sagte der Direktor. „Solange sich die Patienten ruhig verhalten, mischen wir uns nicht in ihr Privatleben ein.“

„Ich möchte weiterbehandelt werden. Ich möchte völlig geheilt: werden. Zumindest, was Sie darunter verstehen. Dann möchte ich vor Ihre Führer treten und versuchen, den Krieg zu beenden. Außerdem möchte ich, wenn irgend möglich, erreichen, daß Dr. Alir freigelassen wird.“

„Sie sind doch bereits früher behandelt worden“, erwiderte der Direktor, „allerdings ohne jeglichen Erfolg.“

„Das weiß ich. Ich weiß aber auch, daß ich nie daran geglaubt habe, daß es mir gelingen würde. Wahrscheinlich trug diese Einstellung zum Mißlingen bei.“