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Und nach einer langen Pause betretenen Schweigens erhob sich der weise Mann mit den Worten:

„Dich, erhabener Maharadscha, nicht nur Schach spielen, sondern auch lehren zu dürfen, was sich hinter Zahlenriesen verbirgt, ist mir Lohn genug.“ Sagte es, verbeugte sich und verließ Saal, Palast und Land des Maharadschas.

Die größten Zahlen der Natur

Von den kleinen zu den großen Zahlen

Niemand weiß, wie das Zählen in urgeschichtlicher Zeit begann. Sicher waren weder Eins noch Zwei die ersten Zahlen, die der Steinzeitmensch entdeckte. Denn bei Eins und bei Zwei zählte er nicht. Zwei gleichartige Dinge erfasste er sofort als ein Paar. Er brauchte sie nicht, gleichsam mit dem Finger auf die beiden zeigend, mit den Worten „eins“, „zwei“ abzuzählen. Vielleicht war Drei die erste und anfangs auch die einzige Zahclass="underline" Der Urmensch sieht ein Paar von Dingen, und noch ein weiteres Ding tritt hinzu. Drei steht daher für „zwei plus eins“. Es muss den am Beginn des Denkens stehenden Menschen große Mühe gekostet haben, dies geistig zu fassen. Drei war für ihn schon sehr viel; nicht umsonst sind die französischen Wörter très, das „sehr“ bedeutet, und trois, das „drei“ bedeutet, verwandt. Kommt aber noch ein weiteres, viertes Ding hinzu, versagt dem Steinzeitmenschen die Vorstellungskraft. Jetzt sieht er einfach nur „viele“. So gesehen war damals Drei nicht nur die erste, sondern zugleich die größte Zahl. Vier als Zahl gab es noch nicht. Der Urmensch zählt: „ein Paar und eins dazu: drei“. Später zählt er wie in einem Gesang: „Eins, zwei, drei“. Es ist der gleiche Rhythmus wie bei den Worten „Auf die Plätze, fertig, los“, mit dem sportliche Wettkämpfe in Gang gesetzt werden. Mit dem Spruch „Eins, zwei, drei“ waren neben der älteren Drei die Zahlen Eins und Zwei geboren.

Doch spätestens als die Menschen der Jungsteinzeit Haustiere hielten, waren sie gezwungen, über drei hinaus zu zählen. Wer nicht zählen konnte, bemerkte nicht, dass seine Schafherde immer kleiner wurde, wie sehr sich die Schafe auch vermehrten. Denn das Diebsgesindel in den umliegenden Wäldern raubte ihm hemmungslos die Tiere, bis schließlich nur mehr drei übrig blieben. Das aber bedeutete bereits den wirtschaftlichen Ruin. Darum galt schon damals der Leitspruch: Wer überleben will, muss zählen können.

Wenigstens sollte der Hirte die Zahl der Tiere mit den eigenen Fingerkerben, den Zwischenräumen zwischen den Fingern, vergleichen können. Eine Herde bis zu acht Tieren durfte man einem solchen Hirten anvertrauen. Eine neue Entdeckung war, dass man sogar über acht hinaus zählen kann. Die neue Zahl nach acht heißt darum auch neun; die Wörter „neun“ und „neu“ sind sprachverwandt. Im Lateinischen genauso: „novem“ und „novum“. Und das französische „neuf“ bedeutet „neun“ und „neu“ zugleich. Ab jetzt zählte der Urmensch nicht die Kerben zwischen den Fingern, sondern die Fingerspitzen: Zehn wurde zur größten Zahl.

Doch danach gab es kein Halten mehr. Noch mehr Gliedmaßen als die Finger allein wurden zum Zählen verwendet. Es ist gut denkbar, dass in manchen Stämmen Finger- und Zehenspitzen fürs Zählen herangezogen wurden, so dass man zu zwanzig gelangt. In der französischen Sprache finden sich Fragmente dieses Brauchs: „quatre-vingt“, das Wort für achtzig, bedeutet wortgetreu übersetzt „vier-zwanzig“, meint also vier Bündel zu je zwanzig Stück. Für neunundneunzig lautet das französische Wort: quatre-vingt-dix-neuf, wortgetreu übersetzt: „vier-zwanzig-zehn-neun“.

Die Wohlhabenden zählten sogar weit über hundert hinaus:

Welcher Mensch ist unter euch,

der hundert Schafe hat und, so er der eines verliert,

der nicht lasse die neunundneunzig in der Wüste

und hingehe nach dem verlorenen, bis dass er’s finde?

Und wenn er’s gefunden hat,

so legt er’s auf seine Achseln mit Freuden.

Und wenn er heimkommt,

ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen:

Freuet euch mit mir;

denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.

Jesus muss beim Erzählen dieser Geschichte einen wunderbar zahlenkundigen Hirten vor Augen gehabt haben. Denn es ist bei einer Herde gar nicht so leicht zu erkennen, dass nicht hundert, sondern nur neunundneunzig Schafe vorhanden sind. Aber natürlich kam es Jesus nicht auf die genaue Zahl der Schafe an. Die Geschichte verlöre ihren Reiz, wenn er davon gesprochen hätte, dass einer 42 Schafe besitzt und plötzlich eines verliert. Seine Zuhörer wären durch die Zahl 42 – warum gerade diese und keine andere? – von der eigentlichen Botschaft der Geschichte abgelenkt worden, die ihnen der unglaublich begnadete Erfinder von Gleichnissen vermitteln wollte. Hundert steht einfach für „sehr viele“.

Doch mehr als hundertmal muss man seinem Nächsten vergeben:

Da trat Petrus zu ihm und sprach:

Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben?

Ist’s genug siebenmal?

Jesus sprach zu ihm:

Ich sage dir: Nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.

Wohl wird der Heiland gewusst haben, dass dem Petrus die Rechnung 70 × 7 zu schwer fällt. Und selbst wenn sie ihm gelungen wäre: Siebenmal zu verzeihen, das kann man sich mit ein wenig Mühe noch einzeln merken und sich danach vornehmen: Jetzt aber ist mit dem Vergeben Schluss. Aber bei siebzigmal siebenmal führt nur ein psychisch Gestörter eine Liste mit sich, in der er bei jedem Akt des Verzeihens einen weiteren Strich malt, um nach dem vierhundertneunzigsten Strich endgültig das Vergeben zu beenden.

Die Bibel schwelgt in großen Zahlen, die in der Zeit, als das Buch der Bücher verfasst wurde, über das Vorstellungsvermögen der Menschen hinausgingen:

Als Jared hundert Jahre und zweiundsechzig Jahre gelebt hatte,

zeugte er Chanoch,

und nach Chanochs Erzeugung lebte Jared achthundert Jahre,

er zeugte Söhne und Töchter,

und aller Tage Jareds waren neunhundert Jahre und zweiundsechzig Jahre,

dann starb er.

Als Chanoch fünfundsechzig Jahre gelebt hatte,

zeugte er Metuschalach,

und nach Metuschalachs Erzeugung ging Chanoch dreihundert Jahre mit Gott

und zeugte Söhne und Töchter,

und aller Tage Chanochs waren dreihundert Jahre und fünfundsechzig Jahre.

Chanoch ging mit Gott um,

dann war er nicht mehr,

denn Gott hatte ihn genommen.

Als Metuschalach hundert Jahre und siebenundachtzig Jahre gelebt hatte,

zeugte er Lamech,

und nach Lamechs Erzeugung lebte Metuschalach siebenhundert Jahre und zweiundachtzig Jahre,

er zeugte Söhne und Töchter,

und aller Tage Metuschalachs waren neunhundert Jahre und neunundsechzig Jahre,

dann starb er.

365 Jahre lebte Chanoch hier auf Erden. Die Zahl 365 hängt sicher mit der Zahl der Tage des ägyptischen Jahres zusammen. Der Autor dieses Teils der Bibel will damit zum Ausdruck bringen, dass Chanoch „ein Mann zu jeder Jahreszeit“ gewesen ist, in seinem ganzen Leben von der frühlingshaften Jugend bis in den Winter des Alters gottgefällig. Er ist zudem von den Urvätern zwischen Adam und Noah der einzige, von dem es nicht heißt, er sei gestorben, sondern nur, dass ihn Gott von dieser Erde hinwegnahm. Das sprichwörtlich biblische Alter des von Martin Buber und Franz Rosenzweig Metuschalach genannten Methusalem von 969 Jahren und das nur um sieben Jahre kürzere Alter seines Großvaters Jared übersteigen schließlich jegliche Vorstellungskraft.