Die New Yorker Polizei und der Londoner Detektiv Sherlock Holmes ermitteln intensiv. Doktor John Watson, der Biograph von Sherlock Holmes, wird die Leser der Gazette mit regelmäßigen Berichten über die Fortschritte bei der Lösung des heiklen Falles informieren.
Holmes, der Watsons Artikel überflogen hatte, erklärte sich mit der Formulierung einverstanden, so dass die Nachricht in dieser Form nach London übermittelt werden konnte.
»Von einigen Wiederholungen abgesehen, ganz brauchbar«, sagte er. »Der zweite Satz ist zu lang, aber das soll die Redaktion reparieren.«
Watson wollte protestieren, zog es dieses Mal aber vor, zu schweigen.
Das Essen wurde an diesem Abend, mit Rücksicht auf den weiteren Todesfall, nicht von Musik begleitet.
Bevor Holmes sich zur Nachtruhe zurückzog, verabschiedete er sich von einigen der Passagiere.
»Auch wenn Ihr Freund Dr. Watson der Meinung ist, dass Joseph hinter all dem steckt, hoffe ich doch sehr, dass Sie das anders sehen, Mr. Holmes«, sagte Hilda Farland.
»Ich freue mich, dass Sie Mr. Ismay verzeihen konnten und dass Sie ihm damit einen Teil seiner schweren Bürde abgenommen haben«, sagte Holmes mit einer tiefen Verneigung vor den beiden. Dann wandte er sich an den Reedereibesitzer. »Sie können die letzte Nacht in Ihrer eigenen Kabine verbringen, Mr. Ismay. Die Schwierigkeiten an Bord dieses Schiffes sind endgültig ausgestanden.«
Die Augen Ismays leuchteten zum ersten Mal seit langem wieder, die Spitzen des Schnurrbarts wiesen verwegen nach oben, als der Reeder Hand in Hand mit Mrs. Farland den Speisesaal verließ.
Ein weiteres Paar hatte sich auf dieser Reise gefunden, wie für Holmes zu erkennen war. Das Ehepaar Graham und Linda Hornby.
»Wann reisen Sie zurück nach London, Mr. Holmes?«, fragte Linda Hornby den Detektiv.
»Am Montag, mit diesem Schiff.«
»Ich lade Sie ein, bis dahin hier in New York unser Gast zu sein. Sie und Ihr Reisebegleiter.«
»Wenn Sie Ihre großzügige Einladung auch auf den Geschäftspartner Ihres Bruders, Mr. Ismay, ausdehnen könnten, würde ich dieser sehr gerne Folge leisten. Und noch etwas …«
»Ja, Mr. Holmes?«
»Wäre es möglich, der Bibliothek Ihres Vaters, der Pierpont Morgan Library, einen Besuch abzustatten?«
»Ich denke mir, das lässt sich machen, auch wenn der Bibliothekar am Wochenende frei hat. Wir werden ihn schon irgendwo finden.«
»Du darfst ab jetzt über alles reden, Alice. Die Gefahr ist vorbei. Wie geht es dir?«, fragte Holmes beim Abschied das Mädchen.
»Ich bin noch etwas müde. Sonst aber bin ich sehr froh.« Verlegen senkte das Mädchen den Blick.
Holmes verabschiedete sich auch von Christina Reynolds und ihrer Mutter.
»Das Collier wurde in der Kabine eines Passagiers gefunden, der die Fahrt nach New York nicht überlebte. Es befindet sich in den Händen der New Yorker Polizei.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Holmes, dass Sie mich auf diese Weise entlasten. Ich verspreche Ihnen …«
»Ich bin nicht Ihr Vater, Miss Reynolds. Versprechen Sie es sich selbst. Sie wissen nun, dass man durch eine kleine, unüberlegte Handlung sehr viel Schlimmes auslösen kann.«
Gegen neun Uhr suchte der Detektiv noch die bescheidene Kabine der Bibliothekarin der Olympic auf. Irene Adler öffnete Holmes mit einem strahlenden Lächeln.
»Dieses Mal ist es mir nicht möglich, einem Abschied zu entkommen«, meinte sie.
»Da Sie auf einen nächtlichen Abgang mit einem Rettungsboot verzichtet haben.«
»Welchen Grund hätte ich zu einer solchen Flucht?«, meinte die Detektivin.
»Ich denke mir, Gründe gäbe es genug.«
»Tatsächlich? Und was hat Sie daran gehindert, mich nicht der Polizei auszuliefern, wenn Sie mich irgendeiner Missetat verdächtigen?«
»Der Fall ist nicht abgeschlossen.«
»Sie haben die Hintergründe durchschaut. Ja, das weiß ich, seit Sie Ihrem Kollegen Ihren Text untergeschoben haben. Wie tief Sie allerdings in den Fall blicken, kann ich nicht sagen.«
»Ich bin mir sicher, dass Ihnen die wahren Täter bekannt sind. Die Menschen, die für die Morde auf diesem Schiff verantwortlich sind, und die Menschen, die die Titanic sinken ließen.«
»Also dieselben Personen.«
»Nicht in allen Fällen.«
»Um nicht wieder endlos im Kreis herum zu reden, schlage ich Ihnen ein kleines Spiel vor, Mr. Holmes. Wir bekennen Farbe. Jeder von uns schreibt ein Stichwort, das auf die Lösung des Falles hinweist, auf ein Blatt Papier. Ich weiß dann, ob Sie tatsächlich Kenntnis haben, worum es geht. Und Sie sehen es ebenfalls.«
Holmes war einverstanden und schrieb ein Wort auf einen Zettel, den er verkehrt auf den Tisch legte. Irene Adler legte ihr Stück Papier daneben, dann wendete sie beide.
Auf beiden Blättern stand das Wort David.
»Und Sie lassen ihn so einfach laufen«, sagte Watson zu Sherlock Holmes, als sie den Dampfer im New Yorker Hafen verließen.
»Aber nein. Ismay wird mit uns gemeinsam im Hause Pierpont Morgan logieren, bis zu unserer Rückreise nach England.«
»Das glaube ich nicht. Er wird untertauchen, um der gerechten Strafe zu entgehen.«
Watson irrte. Joseph Bruce Ismay verbrachte den Rest des Samstags und den Sonntag gemeinsam mit Holmes und Watson im Stadtpalais der Pierpont Morgans und trat am Montag, dem 19. April, mit den beiden Herren die Rückreise nach England an.
Als sich Mr. Ismay und Sherlock Holmes nach ihrer Rückkehr im Hafen von Southampton voneinander verabschiedeten, sagte der Inhaber der White Star Lines: »Auch wenn Ihre Bemühungen nicht zur Klärung der Umstände des Untergangs der Titanic führten, bin ich Ihnen dennoch zu tiefstem persönlichem Dank verpflichtet. Die Begegnung mit Mrs. Farland, mit Hilda, hat mir gezeigt, dass es möglich ist, dass … Nun, Mrs. Farland hat mir vergeben.« Mr. Ismay hatte Tränen in den Augen. »Obwohl sie auf meinem Schiff ihren Mann und ihren Enkelsohn verlor. Ich sehe darin einen möglichen Weg, mir selbst zu verzeihen, eines Tages, und vielleicht innere Ruhe zu finden. Und weil Sie mir diesen Weg geöffnet haben, Mr. Holmes, werde ich Ihnen den Rest Ihres Honorars umgehend überweisen.«
»Warten Sie damit noch, Mr. Ismay. Ich werde den Fall klären, wie ich es Ihnen versprochen habe. Sie müssen sich bis zum Ende dieses Jahres gedulden. Ich lade Sie schon heute für den vorletzten Tag des Jahres, den 30. Dezember, zu einem Mittagessen in die Baker Street 221b, bei dem ich Ihnen die Lösung des Falls präsentieren werde. Wenn Sie mir dann einen Scheck über den Rest des Honorars ausstellen, würde ich mich freuen. Wenn nicht, wäre das auch in Ordnung. Denn was ich Ihnen an diesem Tag mitteile, wird nicht veröffentlicht werden dürfen. Das heißt, Sie werden nicht reingewaschen werden von den Verdächtigungen der Journalisten.«
Joseph Bruce Ismay drückte Holmes fest die Hand, dann wandte er sich an Doktor Watson. »Ich weiß, dass Sie mir mit größtem Misstrauen begegnen, Doktor. Umso mehr schätze ich es, dass Sie von Beschimpfungen Abstand genommen haben. Ich hoffe sehr, dass Sie bei dem von Mr. Holmes in Aussicht gestellten Treffen anwesend sind, damit Sie erkennen können, dass ich kein Verbrecher bin.«
»Ich wünsche Ihnen alles Gute«, sagte Doktor Watson knapp und vermied einen Händedruck.
DIE GROSSE STILLE
Als Holmes am Vormittag des 28. Dezembers des Jahres 1915 die Fahrt von seinem Hotel nach London antrat, wehte ein schneidend kalter Wind vom Kanal her.
Holmes bedauerte den Kutscher, der dem winterlichen Wetter ausgesetzt war, während er selbst im Inneren des Broughams zwar nicht vor der Kälte, aber doch vor Wind und Feuchtigkeit geschützt war.