Noch einige Kilometer fuhren sie die Straße entlang. Dann kamen sie zu einem auffälligen grünweißen Hinweisschild, auf dem stand: ITC BLACK ROCK LABORATORY. Der Landcruiser bog nach rechts ab und fuhr eine kurvige Straße in die bewaldeten Hügel hinauf. Vom Rücksitz her sagt Stern: »Sie haben uns zuvor gesagt, daß Sie Verbindungen zu anderen Universen herstellen können.« »Ja.« »Durch den Quantenschaum.« »Genau.«
»Aber das ergibt doch keinen Sinn«, sagte Stern.
»Warum? Was ist Quantenschaum überhaupt?« fragte Kate und unterdrückte ein Gähnen.
»Er ist ein Überbleibsel von der Geburt des Universums«, antwortete Stern. Er erklärte, daß das Universum als einzelner, unglaublich dichter, ausdehnungsloser Materiepunkt begonnen habe. Dann, vor achtzehn Milliarden Jahren sei dieser Punkt explodiert -der sogenannte Urknall. Nach der Explosion expandierte das Universum kugelförmig. Nur daß es keine absolut perfekte Kugel war. Das Universum innerhalb der Kugel war nicht absolut homogen — so daß wir jetzt Galaxien haben, die unregelmäßig über das Universum verstreut sind, und keine gleichmäßige Verteilung. Das Wichtige dabei ist, daß die expandierende Kugel winzige Störstellen im Kristallgitter zeigte. Und diese Störstellen wurden nie beseitigt. Sie sind noch immer Teil des Universums.« »Wirklich? Wo?«
»In subatomaren Dimensionen. Der Begriff >Quantenschaum< ist eine Beschreibung dafür, daß die Raumzeit in sehr kleinen Dimensionen Kräuselungen und Blasen hat. Aber der Schaum ist kleiner als ein einzelnes atomares Teilchen. Vielleicht gibt es Wurmlöcher in diesen Teilchen, vielleicht auch nicht.« »Es gibt sie«, sagte Gordon.
»Aber wie wollen Sie die zum Reisen benutzen? Man kann einen Menschen doch nicht durch ein so kleines Loch schicken. Man kann überhaupt nichts durchschicken.«
»Vollkommen richtig«, sagte Gordon. »Man kann auch kein Blatt Papier durch eine Telefonleitung schicken. Aber man kann ein Fax schicken.« Stern runzelte die Stirn. »Das ist ganz was anderes.« »Warum?« fragte Gordon. »Man kann alles übertragen, wenn man nur eine Methode hat, es zu komprimieren und zu verschlüsseln. Oder etwa nicht?«
»Theoretisch ja«, erwidert Stern. »Aber Sie reden davon, die
Information für ein ganzes menschliches Wesen zu komprimieren und zu verschlüsseln.«
»Richtig.«
»Das geht nicht.«
Jetzt lächelte Gordon amüsiert. »Warum nicht?«
»Weil die vollständige Beschreibung eines menschlichen Wesens — all die Milliarden Zellen, wie sie untereinander verbunden sind all die Chemikalien und Moleküle, die sie enthalten, ihr biochemischer Zustand - aus viel mehr Informationen besteht, als irgendein Computer verarbeiten kann.«
»Es sind nur Informationen«, erwiderte Gordon mit einem Achselzucken.
»Ja. Zu viele Informationen.«
»Wir komprimieren sie, indem wir einen verlustfreien fraktalen Algorithmus verwenden.« »Trotzdem ist es eine gigantische -«
»Entschuldigen Sie«, warf Chris dazwischen. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie einen Menschen komprimieren?«
»Nein, wir komprimieren die Information, die einem Menschen entspricht.«
»Und wie geht das?«
»Mit Kompressionsalgorithmen — einer Methode, Daten in einem Computer so zu verdichten, daß sie weniger Platz wegnehmen. Wie JPEG oder MPEG für Bilddaten. Sind Sie vertraut damit?« »Ich habe Software, die so was verwendet, das ist alles.« »Okay«, sagte Gordon. »Alle Komprimierungsprogramme funktionieren nach der gleichen Methode. Sie suchen nach Ähnlichkeiten in den Daten. Angenommen, Sie haben das Bild einer Rose, aufgebaut aus einer Million Pixel. Jedes Pixel benötigt Informationen über zwei Ortskoordinaten und eine Farbe. Das sind drei Millionen Informationen — eine Menge Daten. Aber die meisten dieser Pixel sind rot, umgeben von anderen roten Pixeln. Das Programm sucht deshalb das Bild Zeile um Zeile ab und prüft, ob nebeneinanderliegende Pixel dieselbe Farbe haben. Wenn es solche Gruppen findet, schreibt es eine Anweisung an den Computer: Mache dieses Pixel rot, und die nächsten fünfzig Pixel in der Zeile ebenfalls. Dann schalte auf Grau und mache die nächsten zehn Pixel grau. Und so weiter. Es speichert nicht die Information für jeden einzelnen Punkt. Es speichert nur Informationen für die Wiederherstellung des Bildes. Und so wird die Datenmenge auf ein Zehntel der ursprünglichen reduziert.«
»Trotzdem«, sagte Stern, »Sie reden nicht von einem zweidimen-sionalen Bild, Sie reden von einem dreidimensionalen lebendigen Wesen, und dessen Beschreibung erfordert so viele Daten —« »Daß man massive Parallelverarbeitung braucht«, sagte Gordon mit einem Nicken. »Das stimmt.«
Chris runzelte die Stirn. »Was ist Parallelverarbeitung?« »Man verbindet mehrere Computer miteinander und teilt die Arbeit unter ihnen auf, damit es schneller geht. Ein großer parallelverarbeitender Computer hat etwa sechzehntausend miteinander verbundene Prozessoren. Ein wirklich großer zweihundertdreißigtausend. Wir haben zweiunddreißig Milliarden parallele Prozessoren.« »Milliarden?« fragte Chris.
Stern beugte sich vor. »Das ist unmöglich. Auch wenn man nur versuchen würden, einen zu bauen...« Er starrte zur Decke und rechnete. »Sagen wir, einen Zoll Abstand zwischen den Haupt-platinen ... das ergibt einen Stapel von äh... zweitausendsechshundert ... das ergibt einen Stapel von achthundert Metern Höhe. Auch rekonfiguriert zu einem Würfel ergibt das ein riesiges Gebäude. Sie könnten die Maschine nie bauen. Sie könnten sie nie kühlen. Und sie würde nie funktionieren, weil viele von den Prozessoren zu weit entfernt liegen.« Gordon saß da und lächelte. Er sah Stern abwartend an. »Die einzige Möglichkeit, so viel Verarbeitungsleistung zu erreichen«, fuhr Stern fort, »wäre, die Quantencharakteristika von Elektronen zu nutzen. Aber dann würden wir hier von einem Quantencomputer sprechen. Und noch niemand hat je einen gebaut.« Gordon lächelte nur. »Haben Sie?« fragte Stern.
»Ich will Ihnen erklären, wovon David spricht«, sagte Gordon zu den anderen. »Gewöhnliche Computer rechnen, indem sie zwei elektronische Zustände benutzen, die man Null und Eins nennt. So funktionieren alle Computer, indem sie Nullen und Einsen herumschieben. Aber vor zwanzig Jahren regte Richard Feynman an, daß es möglich sein könnte, einen extrem leistungsstarken Computer zu bauen, indem man alle zweiunddreißig Quantenzustände eines Elektrons benutzt. Viele Labors versuchen inzwischen, diese
Quantencomputer zu bauen. Ihr Vorteil ist ihre unvorstellbar große Leistungsfähigkeit - so groß, daß man damit tatsächlich ein lebendiges Wesen als einen Informationsstrom beschreiben und komprimieren kann. Genau wie ein Fax. Diese Kette von Elektronen kann man durch ein Wurmloch im Quantenschaum in ein anderes Universum schicken. Und genau das tun wir. Es ist keine Ouantenteleportation. Es geht nicht um verschränkte Quantenzustände der Teilchen. Es ist eine direkte Übertragung in ein anderes Universum.«
Die Gruppe starrte ihn nur schweigend an. Der Landcruiser fuhr auf eine Lichtung, wo eine Reihe zweistöckiger Gebäude aus Ziegeln und Glas stand. Sie sahen überraschend gewöhnlich aus. Es hätte irgendeines dieser kleinen Gewerbegebiete sein können, wie sie sich überall in den Außenbezirken amerikanischer Städte finden. »Und das ist ITC?« fragte Marek.
»Wir versuchen, so unauffällig wie möglich zu bleiben«, sagte Gordon. »Und diesen speziellen Ort haben wir gewählt, weil es hier eine alte Mine gibt. Gute Minen sind inzwischen schwer zu finden, weil so viele Physikprojekte sie benötigen.«
Etwas abseits waren einige Männer zu sehen, die im grellen Licht von Scheinwerfern einen Wetterballon zum Start vorbereiteten. Der Ballon maß knapp zwei Meter im Durchmesser und war fahlweiß. Sie sahen zu, wie er sich, mit einem kleinen Instrumentenbündel an der Unterseite, schnell in die Luft erhob. »Wozu ist das gut?« fragte Marek. »Wir kontrollieren jede Stunde die Wolkendecke, vor allem wenn es stürmisch ist. Das ist ein laufendes Forschungsprojekt; wir wollen herausfinden, ob das Wetter Interferenzen produziert.« »Interferenzen womit?« fragte Marek.