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Marek sah sie überrascht an. »Nein«, sagte er ernsthaft. »Aber wenn du bei mir bleibst, passe ich auf dich auf.« Etwas an seiner Ernsthaftigkeit beruhigte sie. Er war so ein grundanständiger Kerl. Wahrscheinlich wird er wirklich auf mich aufpassen, dachte sie und entspannte sich.

Kurz darauf wurden sie alle mit den fleischfarbenen Plastikohrstöpseln ausgestattet. »Sie sind jetzt ausgeschaltet«, sagte Gordon. »Um sie anzuschalten, brauchen Sie sich nur mit dem Finger ans Ohr zu tippen. Und wenn Sie jetzt bitte hierherkommen...«

Gordon gab jedem von ihnen einen kleinen Lederbeutel. »Wir arbeiten seit einiger Zeit an einer Erste-Hilfe-Ausrüstung. Da Sie die ersten sind, die diese Welt betreten, haben Sie vielleicht Verwendung dafür. Sie können den Beutel verdeckt tragen, unter der Kleidung.« Er öffnete einen Beutel und zog eine kleine Aluminiumdose hervor, etwa zehn Zentimeter hoch und gut zwei im Durchmesser. Sie sah aus wie eine kleine Rasierschaumdose. »Das ist die einzige Verteidigungswaffe, die wir Ihnen mitgeben können. Sie enthält zwölf Dosen Ethylendihydrid auf einem Proteinsubstrat. Wie es wirkt, können wir Ihnen an unserer Katze, H. G., demonstrieren. H. G., wo bist du?« Eine schwarze Katze sprang auf den Tisch. Gordon streichelte sie und sprühte ihr dann eine Ladung des Gases auf die Schnauze. Die Katze blinzelte, schniefte einmal und kippte dann zur Seite. »Bewußtlosigkeit innerhalb von sechs Sekunden«, sagte Gordon, »und es hinterläßt eine rückwirkende Amnesie. Aber vergessen Sie nicht, es wirkt nur kurz. Und Sie müssen dem Angreifer ins Gesicht sprühen, damit es wirkt.«

Die Katze zuckte bereits wieder und wachte auf, als Gordon noch einmal in den Beutel griff und drei rote Papiervvürfel herauszog, etwa so groß wie Zuckerwürfel und mit einer hellen Wachsschicht überzogen. Sie sahen aus wie Feuerwerkskörper. »Wenn Sie ein Feuer machen müssen«, sagte er, »damit schaffen Sie es. Ziehen Sie an der kleinen Schnur, und sie fangen Feuer. Sie sind beschriftet mit fünfzehn, dreißig, sechzig - das ist die Anzahl der Sekunden, bevor sie Feuer fangen. Gewachst, damit sie wasserdicht sind. Aber ich muß Sie warnen: Manchmal funktionieren sie nicht.« Chris Hughes fragte: »Warum nicht einfach ein Bic-Feuerzeug?« »Das paßt nicht in die Zeit. Sie können kein Plastik mitnehmen.« Gordon wandte sich wieder dem Beutel zu. »Dann haben wir ein paar einfache Medikamente, nichts Ausgefallenes. Gegen Entzündungen, gegen Durchfall, gegen Krämpfe, gegen Schmerzen. Sie wollen sich doch nicht in einer Burg übergeben«, sagte er. »Wir können Ihnen nämlich keine Reinigungstabletten fürs Wasser mitgeben.« Stern kam dies alles ein wenig unwirklich vor. Sich in einer Burg übergeben? »Hören Sie, äh -«

»Und schließlich ein Allzweck-Taschenwerkzeug, einschließlich

Messer und Dietrich.« Es sah aus wie ein Schweizer Offiziersmesser aus Stahl. Gordon steckte alles in den Beutel zurück. »Wahrscheinlich werden Sie nichts davon brauchen, aber wir geben es Ihnen für alle

Fälle mit. Und jetzt wollen wir Sie anziehen.«

Stern konnte sein unbehagliches Gefühl einfach nicht abschütteln. Eine freundliche, großmütterliche Frau war von ihrer Nähmaschine aufgestanden und gab ihnen nun ihre Kleidung: zuerst weiße Unterhosen aus Leinen - ein wenig wie Boxershorts, doch ohne Elastikbund -, dann einen Ledergürtel und schwarze wollene Leggings.

»Was ist das?« fragte Stern. »Sieht aus wie eine Strumpfhose.«

»Das sind Beinlinge, mein Lieber.«

Auch hier gab es keinen Elastikbund. »Und wie halten die?«

»Man klemmt sie sich unter den Gürtel, und zwar unter dem Wams.

Oder man befestigt sie an den Senkeln am Wams.«

»Senkel?« »Genau, mein Lieber. Am Wams.«

Stern sah zu den anderen hinüber. Sie legten seelenruhig die Kleidungsstücke, die man ihnen aushändigte, zu Stapeln zusammen. Sie schienen genau zu wissen, wozu die einzelnen Stücke dienten, und sie waren so gelassen wie in einem Kaufhaus. Stern dagegen ging es ganz anders, er fühlte Panik in sich aufsteigen. Jetzt erhielt er ein weißes Leinenhemd, das ihm bis zum Oberschenkel reichte, und einen größeren Kittel aus wattiertem Filz, der Wams genannt wurde. Und schließlich einen Dolch an einer Stahlkette. Er sah ihn zweifelnd an. »Jeder trägt einen. Sie brauchen ihn zum Essen, wenn schon für sonst nichts.« Abwesend legte er ihn oben auf den Rest und stöberte dann in dem Stapel, immer noch auf der Suche nach den »Senkeln«. Gordon sagte: »Diese Kleidungsstücke sollen statusneutral sein, weder teuer noch ärmlich. Wir wollen, daß Sie in etwa der Kleidung eines mäßig erfolgreichen Händlers, eines Pagen oder eines etwas heruntergekommenen Adligen entsprechen.« Stern erhielt nun Schuhe, die aussahen wie Lederslipper mit langer Spitze, nur daß sie mit einer Schnalle versehen waren. Wie die Schuhe eines Hofnarren, dachte er unglücklich.

Die großmütterliche Frau lächelte: »Keine Angst, die haben eingebaute Luftpolstersohlen, wie Ihre Nikes.«

»Warum ist alles schmutzig?« fragte Stern und betrachtete stirnrunzelnd sein Wams.

»Na, Sie wollen doch zu den anderen passen, oder?«

Die Männer zogen sich gemeinsam in einem Umkleideraum um. Stern sah den anderen zu. »Wie, äh, geht denn ...«

»Du willst wissen, wie man sich im vierzehnten Jahrhundert anzog?« fragte Marek. »Das ist ganz einfach.« Marek hatte sich bereits ganz ausgezogen und lief nackt, aber entspannt umher. Der Mann war das reinste Muskelpaket. Zögernd streifte Stern seine Hose ab. »Zuerst«, sagte Marek, »ziehst du die Unterhose an. Das ist sehr hochwertiges Leinen. Die hatten damals gutes Leinen. Damit die Unterhose hält, mußt du dir den Gürtel umschnallen und dann den oberen Rand der Shorts ein paarmal um den Gürtd wickeln. Okay?« »Der Gürtel kommt unter die Kleidung?«

»Genau. Der hält die Unterhose. Als nächstes ziehst du deine Beinlinge an.« Marek zog sich die schwarzen Wolleggings über die Beine. Die Beinlinge hatten angestrickte Füße, wie bei einem Ba-bypyjama. »Die haben hier oben Bänder, siehst du die?«

»Meine Beinlinge pludern«, sagte Stern, zog sie hoch und betastete sie an den Knien.

»Das macht nichts. Es sind keine Festtagsbeinlinge, die müssen nicht hauteng sein. Und jetzt dein Leinenhemd. Zieh es dir über den Kopf und laß es nach unten fallen. Nein, nein, David. Der Schlitz am Hals muß vorne sein.«

Stern zog die Arme aus den Ärmeln und drehte linkisch das Hemd um. »Und schließlich«, sagte Marek und nahm seine Filzkutte zur Hand, »ziehst du dein Wams an.« Eine Mischung aus Rock und Windjacke. »Man trägt es im Haus und draußen und zieht es nie aus, außer wenn es sehr heiß ist. Siehst du die Senkel? Das sind die Bändchen auf der Innenseite. Jetzt verknote die Bänder an den Beinlingen mit den Senkeln am Wams.«

Marek hatte das alles in wenigen Augenblicken geschafft; es war, als hätte er es jeden Tag seines Lebens getan. Chris brauchte deutlich länger, wie Stern mit Befriedigung feststellte. Stern selbst verdrehte sich linkisch, um die Bänder am Rücken zu verknoten. »Und das nennst du einfach?« fragte er ächzend. »Du hast dir wohl in letzter Zeit deine eigene Kleidung nicht genau angeschaut«, sagte Marek. »Der westliche Durchschnittsmensch im zwanzigsten Jahrhundert trägt täglich neun bis zwölf Kleidungsstücke. Hier sind es nur sechs.«

Stern schob sich sein Wams über den Kopf und zog es an der Taille nach unten, so daß es ihm bis zu den Oberschenkeln reichte. Dabei legte er sein Hemd in Falten, und Marek mußte ihm schließlich helfen, es wieder glattzustreichen und die Beinlinge fester zu binden. Als Abschluß hängte Marek ihm die Kette mit dem Dolch locker um die Hüfte und trat dann einen Schritt zurück, um ihn zu bewundern. »So«, sagte Marek mit einem Nicken. »Wie fühlst du dich?«

Stern verdrehte die Schultern, als wäre ihm alles zu eng. »Wie ein dressiertes Hähnchen.«

Marek lachte. »Du gewöhnst dich daran.«