Выбрать главу

Es war wirklich eine Mönchszelle, sehr klein und auffallend karg möbliert: nur eine schmale Pritsche, eine Schüssel mit Wasser und ein Nachttopf. Neben der Pritsche stand ein winziger Tisch mit einer Kerze. Das war alles. Auf einem Haken an der Tür hingen zwei von Marcels weißen Roben. Sonst nichts.

Ein Blick genügte, um zu erkennen, daß sich in dieser Kammer keine Schlüssel befanden. Und falls welche hier gewesen waren, dann hatten die Soldaten sie bereits gefunden.

Trotzdem kniete Marek zu Kates Überraschung sich hin und suchte methodisch unter dem Bett.

Marek erinnerte sich daran, was der Abt gesagt hatte, kurz bevor er getötet wurde.

Der Abt wußte nicht, wo sich der Geheimgang befand, aber er wollte es unbedingt herausfinden, um es Arnaut verraten zu können. Der Abt hatte den Professor ermutigt, die alten Dokumente durchzusehen - was durchaus einen Sinn ergab, falls Marcel so verwirrt war, daß er niemandem mehr sagen konnte, was er alles getan hatte. Der Professor hatte ein Dokument gefunden, in dem ein Schlüssel erwähnt wurde, und er schien zu glauben, daß dies eine wichtige Entdeckung war. Doch der Abt war ungeduldig gewesen: »Natürlich gibt es einen Schlüssel. Marcel hat viele Schlüssel...« Der Abt hatte also bereits von der Existenz eines Schlüssels gewußt. Er hatte gewußt, wo der Schlüssel war. Aber er konnte trotzdem nichts damit anfangen. Warum nicht?

Kate tippte Marek auf die Schulter. Er drehte sich um und sah, daß sie die weißen Kutten beiseite geschoben hatte. Auf der Rückseite der Tür sah er drei eingeschnitzte Muster, römisch wirkende Zeichen. Die Muster besaßen etwas Strenges, beinahe Dekoratives, das deutlich unmittelalterlich wirkte.

Und dann erkannte er, daß diese Zeichen keine Muster und keine Verzierungen waren. Sie waren erklärende Diagramme. Sie waren Schlüssel.

Das Diagramm, das ihn besonders fesselte, war das dritte, auf der äußersten rechten Seite. Es sah so aus: vft

Das Diagramm war schon vor vielen Jahren in das Holz der Tür geschnitzt worden. Die Soldaten hatten es zweifellos gesehen. Aber wenn sie noch immer suchten, hatten sie nicht begriffen, was es bedeutete. Aber Marek begriff.

Kate starrte ihn an und formte lautlos die Worte: Treppe? Marek deutete auf die Abbildung und formte: Karte.

Denn jetzt war ihm alles klar.

VIVIX war nicht im Lexikon zu finden, weil es kein Wort war. Es war eine Reihe von Zahlen: V, IV und IX. Und diese Zahlen waren mit Richtungsanweisungen verbunden, die im Text des Pergaments verschlüsselt waren: DESIDE. Was ebenfalls kein Wort war, sondern für DExtra, SInistra, DExtra stand, die lateinischen Wörter für »rechts, links, rechts«.

Der Schlüssel war also folgendermaßen zu lesen: Wenn du in der

Kapelle bist, gehe fünf Schritte nach rechts, vier Schritte nach links und neun Schritte nach rechts.

Und das brachte einen zum Geheimgang.

Marek grinste Kate an.

Wonach jedermann suchte, hatten sie nun endlich gefunden. Sie hatten den Schlüssel zu La Roque gefunden.

09:10:23

Jetzt mußten sie es nur noch lebendig aus der Mühle schaffen, dachte

Kate. Marek ging zur Tür und spähte vorsichtig in den Hauptraum zu den Soldaten hinaus. Sie trat an seine Seite.

Kate zählte neun Soldaten. Plus de Kere. Insgesamt also zehn.

Zehn gegen zwei.

Die Soldaten schienen ihre Suche nicht mehr sonderlich ernst zu nehmen. Sie sahen einander über die Fallhämmer hinweg an und zuckten die Achseln, als wollten sie sagen: Was soll denn das? Wir sind doch hier fertig.

Es war offensichtlich, daß die beiden nie unentdeckt aus dem Gebäude hinauskommen würden.

Marek deutete zur Treppe, die zur oberen Rampe führte. »Du läufst direkt zur Treppe und dann raus«, sagte er. »Ich gebe dir Rückendeckung. Später treffen wir uns dann flußabwärts am Nordufer wieder. Okay?«

Kate sah sich die Soldaten an. »Das wären zehn gegen einen. Ich bleibe«, sagte sie.

»Nein. Einer von uns muß hier rauskommen. Ich schaffe das schon. Du gehst.« Er griff in die Tasche. »Und nimm das mit.« Er hielt ihr den Keramikmarker hin.

Es überlief sie eiskalt. »Warum, Andre?« »Nimm ihn.«

Sie traten in den Hauptraum. Kate lief sofort zur Treppe, um auf dem Weg zu flüchten, den sie gekommen war. Marek durchquerte den Raum in Richtung der Fenster, die auf den Fluß hinaussahen. Kate war auf halber Höhe der Treppe, als sie einen Schrei hörte.

Aus allen Richtungen liefen die Soldaten auf Marek zu, der seine Kapuze abgestreift hatte und bereits mit einem von ihnen kämpfte. Kate zögerte nicht lange. Sie zog den Köcher unter ihrer Kutte hervor, legte einen Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen. Mareks Worte fielen ihr wieder ein: Wenn man einen Mann töten will... Damals hatte sie über seine Belehrung nur gelächelt.

Ein Soldat rief etwas und zeigte auf sie. Sie zielte auf ihn, der Pfeil traf ihn knapp oberhalb der Schulter in den Hals. Der Mann taumelte nach hinten gegen eine Kohlenpfanne und fiel mit einem Aufschrei in die Glut. Ein zweiter Soldat wich Deckung suchend zurück, aber Kate schoß ihm mitten in die Brust. Er sackte tot zu Boden. Noch acht.

Marek kämpfte gegen drei auf einmal, darunter de Kere. Schwerter klirrten, die Männer tauchten unter heruntersausenden Hämmern hindurch und sprangen über rotierende Kurvenscheiben. Marek hatte bereits einen Soldaten getötet, er lag jetzt hinter ihm. Noch sieben.

Doch dann sah sie, daß der Soldat wieder aufstand; er hatte sich nur tot gestellt und schlich sich jetzt an Marek heran, um ihn von hinten anzugreifen. Kate legte einen neuen Pfeil auf die Sehne und schoß. Der Mann griff sich an den Oberschenkel und taumelte zu Boden; doch er war nur verwundet, und so schoß Kate ihm in den Kopf, während er noch am Boden lag.

Sie griff gerade nach dem nächsten Pfeil, als sie sah, daß de Kere sich aus dem Kampf mit Marek gelöst hatte und jetzt mit erstaunlicher

Geschwindigkeit die Treppe hoch auf sie zugerannt kam.

Kate legte den Pfeil auf die Sehne und schoß ihn auf de Kere ab. Aber sie war zu hastig gewesen und verfehlte ihn. De Kere kam immer näher.

Sie ließ Pfeil und Bogen fallen und rannte nach draußen.

Während sie über die Kampe zur Getreidemühle lief, schaute sie aufs

Wasser hinunter. Überall glitzerten Flußsteine unter dem brodelnden weißen Wasser: Zum Springen war es viel zu flach. Sie mußte auf dem gleichen Weg wieder hinunter, den sie hochge-kommen war. Hinter ihr schrie de Kere etwas. Auf dem Wachturm vor ihr spannten einige Soldaten ihre Bögen.

Als die ersten Pfeile flogen, hatte sie die Tür zur Mühle erreicht. De Kere lief inzwischen rückwärts, schrie die Bogenschützen an und schüttelte wütend die Faust. Pfeile umschwirrten ihn. Aus dem Obergeschoß der Mühle ertönte ein lautes Poltern. Soldaten warfen sich gegen die mit der Leiter versperrte Tür. Kate wußte, daß die Leiter nicht lange halten würde. Sie ging zu dem Loch im Boden und schwang sich in den darunterliegenden Raum. Der Tumult weckte die betrunkenen Soldaten, die sich mit verquollenen Augen hochrappelten. Doch bei all dem gelben Staub in der Luft konnte Kate sie nicht richtig sehen.

Und dieser Staub brachte sie auf eine Idee.

Sie griff in ihren Beutel und zog einen der roten Würfel heraus. »60« stand darauf. Sie zog an der Schnur und warf den Würfel in eine Ecke. Dann zählte sie stumm rückwärts. Neunundfünfzig. Achtundfünfzig.

De Kere war jetzt in dem Raum direkt über ihr, doch er zögerte offenbar herunterzukommen, weil er nicht wußte, ob sie bewaffnet war. Dann hörte sie über sich viele Stimmen und Schritte: Die Soldaten aus dem Wachturm waren durchgebrochen. Es mußten mindestens ein Dutzend Männer da oben sein, vielleicht sogar mehr. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie, wie einer der betrunkenen Soldaten einen Satz auf sie zu machte und nach ihr griff. Sie trat ihm kräftig zwischen die Beine, er fiel wimmernd zu Boden und rollte sich zusammen.