»Das solltet Ihr auch«, sagte Arnaut. »Ihre Grausamkeit ist unerreicht. Ihr kennt ihren alten König? Den zweiten Edward? Ihr wißt, wie sie ihn ermordeten, mit einem rotglühenden Schüreisen? Und das einem König! Kein Wunder, daß sie unser Land noch barbarischer behandeln.« Er ging auf und ab. Und wandte sich dann wieder ihnen zu. »Und der Mann, der als nächstes die Macht übernahm, Hugh Despenser. Nach englischem Brauch ging es auch ihm bald ans Leben. Und wißt ihr, wie? Er wurde auf einem öffentlichen Platz an eine Leiter gebunden, seine Männlichkeit wurde ihm abgeschnitten und vor seinen Augen verbrannt. Und das, bevor man ihn köpfte! Charmant nicht?« Wieder sah er sie Zustimmung heischend an. Und wieder nickten sie. »Und nun der neue König, Edward III., er hat seine Lektion aus dem Schicksal seiner Vorgänger gelernt — daß er nämlich beständig Krieg führen muß, wenn er nicht seinen eigenen Untertanen zum Opfer fallen will. Deshalb bringen er und sein feiger Sohn, der Prinz von Wales, ihre Barbarei nach Frankreich, ein Land, das Krieg und Grausamkeit nicht kannte, bis sie mit ihren chevauchees auf unsere Scholle kamen, unser Volk ermordeten, unsere Frauen schändeten, unsere Tiere abschlachteten, unsere Ernten vernichteten, unsere Städte zerstörten und unserem Handel ein Ende machten. Und wozu? Nur damit blutrünstige englische Seelen in fremden Landen beschäftigt sind. Damit sie die Reichtümer eines ehrbareren Landes stehlen können. Damit jede englische Lady ihren Gasten auf französischen Tellern auftragen kann. Damit sie behaupten können, ehrbare Ritter zu sein, wo sie nichts Heldenhafteres tun, als Kinder zu metzeln.«
Arnaut unterbrach seine Tirade und sah mit ruhelosem, argwöhnischem
Blick zwischen ihren Gesichtern hin und her. »Und deshalb«, fuhr er dann fort, »kann ich nicht verstehen, warum Ihr Euch auf die Seite des englischen Schweins Oliver geschlagen habt.«
Chris entgegnete schnelclass="underline" »Das ist nicht wahr, Mylord.«
»Meine Geduld ist zu Ende. Gesteht: Ihr helft Oliver, denn Euer
Magister steht in seinen Diensten.«
»Nein, Mylord. Der Magister wird gegen seinen Willen festgehalten.«
»Gegen ... seinen ...« Arnaut warf verärgert die Hände in die Höhe.
»Wer kann mir sagen, was dieser triefende Halunke sagt?«
Der gutaussehende Ritter trat zu ihnen. »Mein Englisch ist gut«, sagte er. Und dann zu Chris: »Spek ayain.« Sagt es noch einmal.
Chris überlegte kurz und hüb dann an: »Magister Edwardus...«
»Ja...«
»... ist ein Gefangener.«
»Gefa...?« Der gutaussehende Ritter runzelte verwirrt die Stirn. »Geffang... ?«
Chris hatte den Eindruck, daß das Englisch des Ritters nicht so gut war, wie er glaubte. Er beschloß, noch einmal sein Latein hervorzukramen, so schlecht und archaisch es auch sein mochte. »Est in carcerc — captus — lieri captus est de coenobio sanctae Marine.« Er hoffte, daß dies bedeutete: Er wurde gestern morgen aus Sainte-Mere verschleppt. Der Ritter hob die Augenbrauen. »Invite?« Gegen seinen Willen? »Führwahr, Mylord.«
Der Ritter sagte zu Arnaut: »Sie sagen, Magister Edwardus wurde gestern gegen seinen Willen aus dem Kloster verschleppt und ist jetzt Olivers Gefangener.«
Arnaut drehte sich schnell um und sah ihnen eindringlich in die
Augen. Mit leiser, drohender Stimme sagte er: »Sed vos non capti estis. Nonne?« Ihr wurdet nicht gefangengenommen? Chris zögerte wieder. »Äh, wir... « »Qui?«
»Nein, nein, Mylord«, sagte Chris hastig. »Ah, nein. Wir konnten fliehen. Äh, ef-effugi-i-ismus. Effugimus.« War dies das richtige Wort? Er schwitzte vor Aufregung.
Anscheinend war es gut genug, denn der gutaussehende Ritter nickte.
»Sie sagten, sie konnten fliehen.«
»Sie konnten fliehen? Von wo?« blaffte Arnaut.
Chris: »Ex Castelgardheri...«
»Ihr seid gestern aus Castelgard geflohen?«
»Etiam, mi domine.« Ja, Mylord.
Arnaut starrte ihn an und sagte lange Zeit gar nichts. Oben auf der Empore bekamen die Männer die Stricke um den Hals gelegt und wurden über die Brüstung gestoßen. Doch der Sturz brach ihnen nicht das Genick, und so hingen sie da und zuckten und röchelten, während das Leben in ihnen quälend langsam erlosch.
Arnaut schaute zu den Gehenkten hoch, als ärgerte es ihn, von ihrem Todesröcheln gestört zu werden. »Ein paar Stricke sind noch übrig«, sagte er und sah wieder Kate und Chris an. »Ich werde Euch die Wahrheit schon entreißen.« »Ich spreche wahr, Mylord«, sagte Chris.
Arnaut drehte sich auf dem Absatz um. »Habt ihr mit Bruder Marcel gesprochen, bevor er starb?«
»Marcel?« Chris gab sich Mühe, verwirrt zu wirken. »Marcel, Mylord?«
»Ja, ja. Marcel. Cognivistine fratrem Mamllum?« Kennt Ihr Bruder Marcel?
»Nein, Mylord.«
»Transitum ad Roccam cognitum habcsne?« Bei diesem Satz brauchte Chris nicht auf die Übersetzung zu warten: Den Geheimgang nach La Roque, kennt Ihr ihn?
»Der Gang... transitum...« Chris zuckte noch einmal die Achseln, als wisse er nicht, was Arnaut meinte. »Den Gang?... Nach La Roque? Nein, Mylord.«
Arnaut machte ein ungläubiges Gesicht. »Mir scheint, Ihr wißt überhaupt nichts.« Er starrte sie an, und seine Nase zuckte, so daß es aussah, als würde er sie beschnuppern. »Ich glaube Euch nicht. Ihr seid Lügner.« Er wandte sich an den gutaussehenden Ritter. »Hängt einen, damit der andere redet.« »Welchen, Mylord?«
»Ihn«, antwortete Arnaut und zeigte auf Chris. Dann sah er Kate an, kniff sie in die Wange und streichelte sie. »Denn dieser schöne Knabe rührt mein Herz. Ich werde ihn heute abend in meinem Zelt empfangen. Und ich möchte nicht, daß ihm zuvor etwas geschieht.« »Sehr wohl, Mylord.« Der gutaussehende Ritter bellte einen Befehl, und auf der Empore wurde noch ein Seil an einen Baluster geknüpft. Männer packten Chris und fesselten ihm schnell die Hände auf den Rücken.
O Gott, dachte Chris, die tun es wirklich. Er sah Kate an, deren Augen starr waren vor Entsetzen. Die Männer machten sich daran, Chris davonzuzerren.
»Mylord«, kam plötzlich eine Stimme von der anderen Seite der Kirche. »Wenn es Euch beliebt.« Der Knäuel der wartenden Soldaten öffnete sich, und Lady Claire trat hervor.
»Mylord«, sagte Claire sanft, »ich bitte Euch, ein Wort im Vertrauen.« »Hm? Natürlich, wie Ihr wollt.« Arnaut ging zu ihr, und sie flüsterte ihm ins Ohr. Er schwieg, zuckte die Achseln. Sie flüsterte noch einmal, eindringlicher diesmal.
Kurz daraufsagte er: »Hm? Was soll das nützen?« Wieder flüsterte sie. Chris verstand nichts davon. Arnaut sagte: »Mylady, ich habe mich bereits entschieden.« Sie flüsterte noch einmal.
Schließlich kam Arnaut kopfschüttelnd zu ihnen zurück. »Die Lady hat mich um sicheres Geleit nach Bordeaux gebeten. Sie behauptet, sie kenne Euch, und daß Ihr aufrichtige Männer seid.« Er hielt inne. »Und ich solle Euch freilassen.«
Nun sagte Claire: »Nur wenn es Euch beliebt, Mylord. Denn es ist wohlbekannt, daß die Engländer nicht wählerisch im Töten sind, die Franzosen dagegen schon. Die Franzosen zeigen die Barmherzigkeit, die aus Klugheit und Bildung herrührt.«