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»Dann sind Sie jetzt ja ein reicher Mann!«

»Bin ich, ja. Ein sehr reicher Mann. Natürlich kann ich mich um die Geschäfte nicht kümmern. Das konnte auch Mrs. Demant nicht. Sie hatte ihre Bevollmächtigten. Werde auch ich haben.«

»Sie wollen auf die Bahamas?« Manuel hatte erst jetzt begriffen.

»Freilich!« Forster strahlte. »Das ist doch das Wunderbare! Das Märchenhafte! Ich kann fort, fort aus Wien! Mein Traum … jetzt geht er doch noch in Erfüllung!« Er lehnte sich über den Tisch und sah Manuel von unten an. »Auf einmal glaube ich wieder an den lieben Gott! Ich weiß natürlich nicht, ob ich in dem Riesenbesitz der Demants wohnen werde. Vielleicht ist er zu groß für mich. Wahrscheinlich. Dann verkaufe ich ihn eben und nehme mir ein kleines Haus. Auf den Bahamas, Herr Aranda, auf den Bahamas!«

»Und Ihre Familie … Ich meine, was sagt die dazu?«

»Die freut sich mit mir! Nicht nur über das viele Geld. Auch darüber, daß ich nun doch noch fort kann, fort aus dieser Stadt! Natürlich reise ich mit dem Schiff …« Forster blinzelte.

»Und Sie werden kein Heimweh haben?«

»Heimweh? Nach Wien?«

»Ich freue mich mit Ihnen«, sagte Manuel.

Wenige Minuten später saßen sie an dem anderen Tisch mit den vielen Akten. Forster blätterte in ihnen …

»Jetzt haben wir das alles gefunden, sehen Sie … den Bescheid über die Blutgruppenbestimmung … das anthropologische Gutachten …« Er schob Manuel gelb gewordene Papiere hin. Der las flüchtig einzelne Sätze. »Ein erstklassiges Gutachten! Der Junge wurde geradezu als nordischer Paradegoj eingestuft! Starke Ähnlichkeiten zur Kindsmutter und dem angeblichen Kindsvater, Herrn Landau, erkannten die Herren Ärzte – diese Idioten!« sagte Forster. »Und keinerlei Ähnlichkeiten zu den stark jüdischen Rassenmerkmalen im Gesicht des gesetzlichen Vaters, von dem sie nur Fotos hatten …« Der Anwalt seufzte. »Ein Traumgutachten! Um so vernichtender die Blutgruppenuntersuchung.«

»Frau Steinfeld erzählte Ihnen, sie habe auch noch mit einem zweiten Mann geschlechtliche Beziehungen gehabt …«

»Ja, das tat sie.«

»Sie hatten erwartet, daß Frau Steinfeld etwas Derartiges erzählen würde, wenn die Blutgruppen nicht stimmten?«

»Freilich. Sehen Sie, ich mußte damals an zweierlei denken: Erstens, der Junge sollte gut durch den Krieg gebracht werden. Also bestand meine Aufgabe zunächst einmal darin, diesen Prozeß unter allen Umständen weiterzuschleppen. So lange wie möglich hatte ich eine definitive Entscheidung zu verhindern. Das war Punkt eins. Punkt zwei: Ich mußte sehen, daß die Zeugen, allen voran Herr Landau, nun nicht zu Schaden kamen. Die waren in gar keiner schönen Situation damals. Zum Glück hatten sie diesen Bluthund Gloggnigg nach Berlin versetzt, ich erzählte es Ihnen. Der neue Richter hieß Arnold …« Forster kramte in den vielen Papieren, die vor ihm lagen. Manuel hielt eine Hand an den Mund. So roch er noch immer den Duft eines Parfums, schwach, aber süß. Er hatte plötzlich irrsinniges Verlangen nach Irene, er sah und hörte und fühlte in Sekunden alles noch einmal – den einsamen Park, den zugefrorenen See, die Eichhörnchen, das Gespräch über Heinz, die Umarmung, den Kuß …

»… war dieser Arnold, ein ganz Ergebener, Übereifriger, stets voll Angst, er könnte etwas falsch machen«, erreichte Forsters Stimme wieder Manuels Bewußtsein. »Und ebenfalls zum Glück war damals, im Juli 1943, wieder einmal mein Freund Peter Klever aus Berlin zu Besuch hier. Natürlich trafen wir uns. Natürlich machte er mir wieder Vorwürfe für mein Verhalten, das die Wiener Anwaltskammer mehr und mehr in Zorn versetzte, und natürlich half er mir dann zuletzt doch wieder, der gute Peter …«

41

»Es ist mir eine besondere Freude, Ihnen mitteilen zu können, wie zufrieden man mit Ihrer Arbeit in Berlin ist, Herr Landgerichtsdirektor. Sie ersetzen Ihren Vorgänger, den Kollegen Gloggnigg, vollkommen, tatsächlich vollkommen!« Ministerialrat Dr. Peter Klever verzog sein breites Gesicht zu einem Lächeln, die buschigen Augenbrauen tanzten. Der schwere, große Mann, der in Uniform und Schaftstiefeln, die Tellermütze auf den Knien, vor dem rundlichen, rosigen und kleinen Landgerichtsdirektor Dr. Engelbert Arnold in dessen Arbeitszimmer im Justizpalast saß, besuchte anläßlich seiner Wiener Aufenthalte routinemäßig alle neuen, ihm noch unbekannten Richter. Das gehörte zu seinem Auftrag. Dieses Gespräch gehörte nicht zu seinem Auftrag. Was er sagte, stimmte auch nicht. In Berlin war die Tätigkeit des Landgerichtsdirektors Arnold noch keinem Menschen angenehm oder unangenehm aufgefallen. Klever belog den an einen menschlichen Pudding erinnernden Arnold auf Bitten seines Freundes Forster. Wohl war ihm nicht dabei. Aber natürlich werde ich Otto immer helfen, immer wieder, ich Rindvieh, dachte der Mann, der etwas mehr als ein Jahr später, nach dem mißglückten Attentat auf Hitler, in bestialischer Weise gehenkt werden sollte.

Der Menschen-Pudding strahlte entzückt.

»Man tut, was man kann, Herr Ministerialrat! Ich gebe mir alle Mühe, meinen großartigen Vorgänger zu ersetzen – leicht ist das nicht. Darum freut mich eine solche Mitteilung besonders!«

»Was man an Ihnen am meisten schätzt, das ist Ihre absolute Integrität«, erklärte Klever. »In einem Rechtsstaat wie dem unseren muß jede Seite eines Falles beleuchtet und überprüft werden. Genauestens! Wir dürfen uns nicht nachsagen lassen, die deutsche Justiz handle leichtfertig oder liebedienerisch der Partei gegenüber. Das auf keinen Fall, Herr Arnold!«

»Auf keinen Fall, gewiß. Meine Devise. Ich bin in der Partei, selbstverständlich. Ein getreuer Gefolgsmann des Führers. Gerade deshalb achte ich peinlichst auf Anstand und Sauberkeit in meinen Fällen – und wenn sie noch so dubios erscheinen: Kein Urteil, bevor wirklich auch dem aller Wahrscheinlichkeit nach Schuldigen die letzte Chance gegeben wurde, seine Unschuld zu beweisen.«

»Bravo! Das ist der rechte Geist«, sagte Klever mit seinem starken preußischen Akzent, während er dachte: Du elendes, kleines Arschloch, du. »Wie ich höre, haben Sie auch mit Abstammungsprozessen zu tun …«

»Jawohl, Herr Ministerialrat. Mit einigen. Sie erwähnen das, weil das ein besonders heikles Gebiet ist, nicht wahr?«

Jetzt wären wir also glücklich gelandet, dachte Klever und sagte: »Besonders heikel, sehr richtig, mein Lieber. Ich komme im ganzen Reich herum …«

»Gewiß!«

»… und im ganzen Reich werden solche Prozesse geführt …«

»Gewiß!«

»… nicht in Massen, aber doch, aber doch! Sie können sich nicht vorstellen, mit welcher Leichtfertigkeit da manchmal vorgegangen wird. In bester Absicht natürlich! Die Richter vermuten, daß es sich um Schwindelprozesse handelt, in denen Mütter versuchen, ihre halbjüdischen Bälger zu Ariern zu machen. Aber das ist nicht immer der Fall! Durchaus nicht immer, wie wir feststellen konnten! Ein Freund – Reichssippenhauptmann – sagte mir, daß man hier besonders aufpassen und wirklich den letzten Zweifel beseitigen muß, ehe man ein Urteil fällt.« Ich habe keinen Freund im Reichssippenhauptamt, dachte Klever. Herrgott, Otto wird doch noch auf die Schnauze fallen mit diesen Geschichten. Zum Verzweifeln! Und er läßt nicht mit sich reden. »Denn es kann immer wirklich ein Arier sein, der da vor Ihnen steht, Parteigenosse Arnold! Es kann immer sein, daß die Mutter und die Zeugen die Wahrheit erzählen – wenn die Geschichten, die man hört, manchmal auch noch so phantastisch klingen. Und nichts wünscht das Reichssippenhauptamt weniger als eine Fehlentscheidung, als ein Urteil, das einen arischen, wertvollen Menschen hinabstößt in den Sumpf des Judentums. Gerade diese Prozesse, lieber Peegee Arnold, werden mit der größten Aufmerksamkeit verfolgt!«