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»Sehr freundlich von Ihnen, mir das zu sagen, Herr Ministerialrat.« Richter Arnold dienerte im Sitzen. »Wirklich sehr freundlich. Man muß doch schließlich wissen, worauf die Herren in Berlin besonderen Wert legen. Ich, hier in Wien, nur ein kleiner Landgerichtsdirektor …«

»Keine falsche Bescheidenheit! Wien ist die zweite Stadt im Reich! Und von wegen kleiner Landgerichtsdirektor – ich habe da etwas läuten gehört, daß ein Oberlandesgerichtsrat ins Haus steht!«

»Tatsächlich?« Arnolds runder, kleiner Mund öffnete sich. Ein Mund wie ein – na ja, dachte Klever, während er lächelnd sagte: »Bleibt aber unter uns …«

»Selbstverständlich, Herr Ministerialrat!«

»Weiß nicht, wann das beschlossen wird … kann noch eine Weile dauern …« Muß ich in Berlin durchsetzen, dachte Klever. Gott behüte, eine Beförderung! Das bringe ich noch fertig. »Aber wenn Sie so weitermachen, mein Guter, wenn Sie so weitermachen …«

42

»Ja, so hat mein alter Freund den neuen Richter also präpariert«, sagte Forster. »Das war vielleicht eine Flasche, dieser Arnold! Die erste Verhandlung nach Erstellung der Gutachten unter seinem Vorsitz fand erst am zehnten September 1943 statt.«

»So spät?«

»Gerichtsferien!«

Forster reichte Manuel mehrere zusammengeklammerte Papiere.

»Das Sitzungsprotokoll. Wieder ausgefertigt von dieser teiggesichtigen, gelangweilten Bohnen. Sie blieb uns erhalten, die Bohnen«, sagte Forster. »Hier, schauen Sie einmaclass="underline" ›Aufruf zur Sache: 9 Uhr 35 …‹«

Manuel las: ›Wegen Richterwechsels wird die Verhandlung gemäß § 412 neu durchgeführt. Die gefaßten Beweisstücke werden wiederholt, die Ergebnisse der bisherigen Verhandlung an Hand der Akten und die Ergebnisse der angeordneten Untersuchungen an Hand der Gutachten verlesen, im Einverständnis mit den Parteien …‹

43

»Tja«, sagt Landgerichtsdirektor Engelbert Arnold, die Würstchenfinger ineinanderflechtend und Valerie fixierend, »damit dürfte der Fall wohl klar liegen, Frau Steinfeld. Herr Landau kann nicht der Vater Ihres Sohnes sein. Über gesicherte wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse vermag sich niemand hinwegzusetzen.«

Er thront auf dem Stuhl, auf dem bei der ersten Verhandlung noch der Dr. Gloggnigg gethront hat, wir sind im gleichen Saal 29, im dritten Stock des Justizpalastes. Heute fällt das Licht einer milden Herbstsonne durch die Fenster.

Neben dem rosigen Arnold hockt – während sie schreibt, bohrt sie kurz in der Nase – die schlampige Stenographin Bohnen, stumpf und dumpf der Gesichtsausdruck, aber eine Arierin, eine Arierin, denkt Valerie, die an der Seite Dr. Forsters hinter dem Tisch rechts vom Richter sitzt. Gegenüber sitzt der Kurator Dr. Kummer.

Valerie – sie trägt ein braunes Kostüm – ist heute als einzige Beteiligte in diesem Prozeß geladen worden, denn es geht bei der Sitzung ja nur um das Ergebnis der Beweisaufnahme, und da diese vernichtend ausfiel, wird man den Fall sofort mit einer Abweisung der Klage beenden können, so jedenfalls beurteilt Richter Arnold die Sache.

Kurator Kummer hat draußen auf dem Gang einen schlanken, schwächlichen Mann gesehen. Saß vor der Tür zu Saal 29, der Mann. Als erwarte er, irgendwann aufgerufen zu werden. Der Anblick dieses Menschen, der ihn an irgend jemanden erinnerte, machte Kummer vorsichtig. Langsam, langsam, man kann nie wissen, nie …

»Frau Steinfeld!« sagt Arnold, da er von der starr dasitzenden Valerie keine Antwort erhalten hat.

»Ich …«, beginnt sie nun, als sich neben ihr Forster zu seiner ganzen Größe erhebt. Er spricht betont gleichmütig: »Ich setze das Gericht davon in Kenntnis, daß meine Mandantin mich nach Erhalt der Blutgruppenbescheide aufsuchte und mir die Mitteilung machte, sie hätte in der fraglichen Zeit vor der Geburt ihres Sohnes auch noch Beziehungen zu einem andern Mann unterhalten.«

Der Landgerichtsdirektor Arnold denkt: Natürlich eine Lüge. Aber etwas Neues. Das hatte ich noch nicht. Vorsicht, Vorsicht. Nicht hinreißen lassen. Korrekt und sachlich bleiben. Was hat der Klever, dieser Piefke, gesagt? Im Reichssippenhauptamt legen sie auf solche Prozesse den größten Wert.

Der Kurator Kummer denkt: Ich habe ja gewußt, dieser Forster führt noch etwas im Schilde. Trick natürlich. Aber ein gerissener Kerl. Was mir das persönlich scheißegal ist, ob der Bub ein Arier ist oder nicht, oder ob er durch einen Trick einer wird oder auf ehrliche Weise! Es sieht scheußlich aus an den Fronten. Das geht schief, es muß schiefgehen. Und wenn ich jetzt noch sehr das Maul aufreiße – was wird nachher aus mir? Immer mit der Ruhe. Wegen einem kleinen Halbjuden werde ich mir nicht die Zukunft vermasseln.

Der rosige Vorsitzende erkundigt sich höflich: »Um welchen zweiten Mann handelt es sich, Herr Rechtsanwalt?«

»Um Herrn Ludwig Orwin, Herr Vorsitzender.«

»Orwin? Orwin? Da war doch ein Bildhauer, der hieß …«

»Das ist der Mann, Herr Vorsitzender.«

»Aber der ist lange tot!«

Forster sieht Arnold unbewegt an.

»Er kam 1934 bei einem Eisenbahnunglück vor Hamburg ums Leben, am vierundzwanzigsten August.«

Püh! denkt der Vorsitzende. Wenn das nicht die Wahrheit ist, dann ist es eine prima Erfindung.

Donnerwetter, denkt der Kurator, ein Einfall, muß man zugeben.

»Herr Orwin wurde am fünften Januar 1894 geboren«, sagt Forster, ein Blatt konsultierend. »Er lernte meine Mandantin später als Herr Landau kennen – nur einige Monate später –, ebenfalls, als sie ein Museum besuchte, und auch er wurde anschließend ein sehr guter Freund von ihr, der häufig bei dem Ehepaar Steinfeld eingeladen war.«

»Frau Steinfeld, wollen Sie einmal vortreten, bitte?« (Immer an den Ministerialrat Klever, diesen Piefke, denken. Sie loben mich und meine Verhandlungsführung über den grünen Klee in Berlin. Also Ruhe und Höflichkeit. Ein Oberlandesgerichtsrat steht ins Haus, Herrschaften!)

Valerie ist vor den Richtertisch getreten. Diesmal hat sie nicht so viele Beruhigungsmittel genommen. Sie sieht blaß aus. Tiefe Schatten liegen unter den Augen, die so glanzlos sind wie die hellen Haare. Hielt man Valerie früher stets für jünger, als sie war – nun schätzte jeder sie im Gegenteil älter ein, als sie ist. Eine verblühte, verhärmte und traurige Frau, die sich mit großer Kraftanstrengung um Haltung bemüht …

In der linken Hand hält Valerie das kleine bleierne Glücks-Reh aus dem Knallbonbon, das schon zweimal die Strecke Wien–Madrid–Lissabon–London geflogen war.

»Frau Steinfeld«, sagt der Vorsitzende, väterlich geradezu, findet er selber, »das wäre also Ihre neue Einlassung?«

»Ja, Herr Direktor.«

»Sie wissen, daß Sie uns hier die Wahrheit und nur die Wahrheit sagen müssen.«

»Ich weiß es.«

»Warum haben Sie dann bisher nichts von Ihren intimen Beziehungen zu diesem Herrn Orwin berichtet?«

»Ich war der festen Überzeugung, daß Herr Landau der Vater meines Sohnes ist!«

»Aber Sie hatten doch, nach eigener Angabe, auch mit Herrn Orwin Kontakte.«

Unheimlich, wie ruhig ich bin, denkt Valerie und sagt: »Das stimmt. Einige Monate lang, sehr intensiv, 1924 war das, im Herbst. Dann, als mein Mann – ich meine Paul Steinfeld – 1925 so lange verreist war, kam es im August 1925 noch einmal zu Intimitäten …«

»Einmal?« ruft der Kurator dazwischen. Etwas muß man schließlich tun, sonst heißt es wieder, man vernachlässigt seine Pflicht.

»Dreimal«, antwortet Valerie. »Mit Herrn Landau war der Verkehr viel häufiger. Wir waren auch nicht vorsichtig. Das war Orwin allerdings auch nicht immer. Deshalb hatte ich fest geglaubt, meinen Sohn mit Martin Landau gezeugt zu haben, und deshalb …« Sie bricht ab und starrt den Richter Arnold an, bis der tatsächlich rot wird.

Forster steht auf.

»Herr Vorsitzender, ich bitte zu bedenken, wie furchtbar beschämend das alles für meine Mandantin ist!«