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»Ja«, sagte Manuel. »Und Sie, Sie werden schon am Montag losziehen wollen und Ihre Abreise vorbereiten, denke ich.«

Forster lächelte.

»Was ich mich freue – Sie können es sich nicht vorstellen! Also sagen wir: Morgen um halb elf?«

»Sehr gut.«

»Dann erzähle ich Ihnen das Ende der Geschichte – soweit ich es erlebt habe. Ich erlebte es nicht ganz, denn im Juli 44 wurde ich ja verhaftet, und da lief der Prozeß immer noch.«

»Immer noch?«

»Das weiß ich bestimmt! Und noch etwas weiß ich: Er lief, obwohl das zweite anthropologische Gutachten verheerend, absolut negativ ausfiel …«

46

»Herr Aranda?«

»Ja?« Manuel saß im Salon seines Appartements. Er hatte gerade mit Nora Hill telefoniert und sie gebeten, ihn noch heute abend zu empfangen. Sobald er den Hörer in die Gabel gelegt hatte, klingelte das Telefon. »Hier spricht Ottilie Landau«, sagte die Stimme verlegen – bisher hatte Manuel sie stets nur befehlend, hart und aggressiv vernommen. »Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Herr Aranda. Für mein Benehmen gestern nachmittag auf dem Cobenzl. Für mein Benehmen überhaupt …« Er antwortete nicht. Was soll das? dachte er.

»… müssen doch verstehen, Herr Aranda! Ich habe Angst, große Angst. Das ist eine so unheimliche Geschichte! Aber nun habe ich lange mit Martin geredet und eingesehen, daß man Ihnen helfen muß, die Wahrheit herauszufinden. Sie sind doch unschuldig an dem allen. Sie können doch nichts dafür! Und da habe ich mich entschlossen, Ihnen zu erzählen, was noch geschah.«

»Sie?«

»Ja. Ich bin nicht so, wie die Leute sagen. Alle halten mich für eiskalt und herzlos. Das stimmt nicht, Herr Aranda! Ich muß nur auf meinen Bruder achtgeben. Er ist so hilflos, er wäre verloren ohne mich. Ich komme zu Ihnen und erzähle, was ich weiß.«

Manuel dachte: Alles dreht sich, dreht sich immer wieder in dieser Affäre. »Nein«, sagte er, »wir sollen uns lieber nicht hier im Hotel unterhalten. Ich bin auch heute abend verabredet.«

»Was ist dann mit morgen?«

»Das wollte ich vorschlagen. Morgen nachmittag – geht das? Sagen wir um vier Uhr? Wieder am Cobenzl, in der Espresso-Bar?«

»Ausgezeichnet«, sagte Ottilie Landau. »Ich werde da sein.«

Zwei Stunden später saß Manuel dann im Wohnzimmer von Nora Hills Appartement. Es schneite wieder heftig, Sturm war aufgekommen, und Noras Haus füllten an diesem Samstagabend laute, lärmende Gäste. Auf dem Parkplatz standen viele Wagen. Gelächter, Stimmen und Musik drangen bis in das Wohnzimmer. Nora saß in ihrem Sessel neben dem Kamin, Manuel saß ihr gegenüber, er sah sie halb durch die Flammen des knisternden Feuers, und sie tranken beide Whisky. Manuel dachte, daß er mit Nora Hill, seit er sie kannte, so gesprochen hatte, immer am gleichen Ort, immer vor dem Kamin, immer mit der kleinen Bar in der Nähe. Und immer hatten Noras Krücken an dem Kaminrand gelehnt …

»Ich weiß«, sagte die so erstaunlich jung gebliebene alternde Frau, »Flemmings Idee funktionierte. Der Prozeß wurde noch einmal begonnen. Das hat Frau Steinfeld mir erzählt, als ich wieder aus Lissabon nach Wien zurückkam.«

»Sie haben Ihrem Freund wirklich nicht die Wahrheit gesagt?«

»Niemals. Denn er hätte sich vielleicht vor Paul Steinfeld versprechen können, nicht wahr? Nein, nein, ich verhielt mich so, wie ich es mit Frau Steinfeld verabredet hatte. Jack glaubte mir, und Paul Steinfeld glaubte ihm auch.« Nora trug an diesem Abend ein bodenlanges Abendkleid aus schwarzer Seide, tief ausgeschnitten, und ihren Brillantschmuck. Während der ganzen Unterhaltung klangen von draußen Musik und Stimmen herein. »1944 gab es dann ja die Katastrophe mit dem vernichtenden anthropologischen Gutachten.«

»Davon habe ich gehört. Aber der Prozeß ging trotzdem weiter!«

»Trotzdem, ja.« Nora nickte. »Der Fall war praktisch bereits abgewiesen, da fand Forster einen neuen Dreh.«

»Was für einen Dreh?«

»Das habe ich nicht mehr in Erinnerung. Kann er es Ihnen nicht erzählen?«

»Ich bin morgen wieder bei ihm.«

»Gut. Der Prozeß lief noch, als die Invasion begann, immer weiter, immer weiter. Im August 1944 flog ich das letzte Mal nach Lissabon. Flemming – damals schon längst nicht mehr der tolle Kerl von einst –, Flemming sagte mir, er würde dafür sorgen, daß ich diesmal lange in Lissabon zu tun hätte.«

»Wie lange?«

»Bis der Krieg verloren war. Ich sollte nicht mehr zurückkommen. Er mußte ja in seinem ›Arbeitsstab‹ bleiben! Aber mich wollte er schützen. Seine Idee war: Ich sollte in Lissabon warten. Er hatte noch einer Menge Leute ähnlich geholfen wie Frau Steinfeld, er rechnete sich aus, daß alle für ihn sprechen würden, falls er nicht flüchten konnte und es zu einem Prozeß kam. Wenn er in Sicherheit war, wollte er endlich heiraten. Er liebte mich bis zuletzt wie ein Verrückter. Vielleicht war er ein Verrückter …«

»Was ist aus ihm geworden?« fragte Manuel.

»Die Russen nahmen ihn sofort hoch, 1945, im April. Er wurde aus Wien weggebracht – weit weg, in die Sowjetunion. Ich habe mich später bei meinen … meinen russischen Kunden hier erkundigt. Sie sagten, Flemming habe noch zwei Jahre in einem Lager gelebt, dann sei er erschossen worden. Er hatte also umsonst manch Gutes getan – Frau Steinfeld und alle die anderen kamen nie dazu, für ihn auszusagen.« Nora zuckte die Schultern. »Pech!« Von draußen klang lautes Gelächter in den stillen Raum. »Ein Italiener«, sagte Nora.

»Wie bitte?«

»Da ist ein Italiener unten, der hat ein neues Spiel mitgebracht. Jeder Gast schildert den komischsten Coitus seines Lebens. Ich habe ein Weilchen zugehört, bevor Sie kamen. Um weiterzuerzählen: In Lissabon hatte keiner von der deutschen Botschaft Lust, noch heimzukehren. Die ließen mich völlig in Ruhe. Auch dort ging schon alles drunter und drüber. Ich hatte eine herrliche Zeit mit Jack … monatelang … Zweimal mußte er dazwischen nach London. Er konnte Steinfeld beruhigen. Der Prozeß lief und lief, es war kein Ende abzusehen. Bald mußte der Krieg vorüber sein, und dann wollte ich zu Jack nach England ziehen. Darüber sprachen wir auch in jener Nacht … der zwölfte Februar 1945 war das … und warm, ganz warm war es am Strand von Estoril …«

47

Sterne funkelten, Vollmond leuchtete, die Schaumkronen der trägen Wellen schimmerten wie die Lichter in den Luxusvillen oberhalb des Strandes und die Kandelaber des Spielcasinos.

Sehr hell war der feine Sand des Ufers, schwarz glänzte der lange Steg, der, auf schweren Bohlen ruhend, weit in das Wasser hinausführte. Jack Cardiff und Nora Hill waren, wie so oft, wieder einmal nach Estoril gefahren. Sie hatten gegessen, ein wenig Roulett gespielt und waren dann zum Strand hinuntergegangen, wo sie sich umzogen und in dem bewegten Wasser schwammen.

Nun saßen sie am Ufer, Jack Cardiffs Lederköfferchen zwischen sich. Aus ihm hatten sie Gläser geholt, Eiswürfel aus einem Thermos, hatten Whisky bereitet, und Nora sprach leise und sehnsüchtig von dem gemeinsamen Leben, das vor ihnen lag.

»Weißt du, daß ich von dem alten Gasthof schon träume? Wirklich, Jack! Immer wieder! Er schaut gewiß ganz anders aus, aber ich sehe das Haus, die Bäume ringsherum, die großen Pappeln …«

»Ja, Darling«, sagte der braungebrannte, helläugige Jack Cardiff. Er blickte, von einer seltsamen Unruhe erfaßt, in die Runde, betrachtete die maurischen Villen in ihren Gärten, das Fischerdorf Cascais, alte Palmen, riesige Pinienwälder. Er machte zwei neue Drinks. Dann zündete er zwei Zigaretten an und reichte eine Nora. Sie nahm sie und lächelte ihn an.

»Wir werden es so einrichten, wie es uns gefällt, ja?«

»Ja, Darling.«

»Bei den Bauern in der Umgebung finden wir bestimmt wundervolle alte Möbel … Einen erstklassigen Koch brauchen wir natürlich! Wenn es sich erst einmal herumgesprochen hat, wie gut man bei uns essen kann, wie abgelegen der Gasthof liegt …«

»Mud in your eye, Darling«, sagte Jack Cardiff.

Sie tranken beide.