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»Wann, glaubst du, wird der Krieg zu Ende sein?«

»In zwei, drei Monaten – höchstens.«

»Dann sind wir im Mai schon dort! Schon im Mai! Ach, Jack! Und wir haben genügend Geld! Du heiratest eine reiche Frau! Mein ganzer Schmuck, meine Goldstücke, die Pelzmäntel, die Steine – ich habe all das hierhergeschafft! Um Geld brauchen wir uns keine Gedanken zu machen! Und wenn es zwei Jahre dauert, bis unser Gasthof etwas abwirft, und wenn es drei Jahre dauert …«

»Nora …« Es entging ihr, daß seine Stimme heiser war.

»Ja?«

»Ich muß dir etwas sagen.«

»Na, dann sag es doch!«

»Ich hätte es dir längst sagen müssen … sofort … Ich … ich bin ein Schwein, Nora.«

»Ist das ein Witz?«

»Leider nein.«

»Aber dann …«

»Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt.« Cardiff sprach mühsam. »Ich habe dich belogen – von Anfang an.«

»Belogen – aber wie?« Sie stellte ihr Glas in den Sand.

»Ich kann nicht mit dir nach England gehen und dich heiraten.«

»Du … aber warum nicht? Bitte, rede nicht so! Du machst doch deine Witze!«

»Nora, ich … bin verheiratet, seit neun Jahren, und ich habe zwei Kinder«, sagte Cardiff. Danach trank er sein Glas aus und füllte es wieder. Nora sah ihm dabei zu. Das war jetzt purer Whisky.

»Mir auch«, sagte sie. »Auch pur.«

»Es ist unverzeihlich, was ich getan habe … Aber als ich dich sah, da war ich völlig verrückt nach dir … Ich wollte es dir immer sagen, wirklich, Nora … Immer wieder wollte ich es dir sagen … und immer wieder hatte ich nicht den Mut … Es war eine so schöne Zeit …«

»Ja, nicht wahr«, sagte Nora. »Eine wunderschöne Zeit. Mud in your eye, Darling.«

»Sprich nicht so, bitte! Und trink nicht so schnell!«

»Ich bin aber durstig. Los, gib mir noch etwas! Mehr! Viel mehr! Mach das Glas voll! Geizig warst du doch wenigstens nie!«

»Nora, bitte!«

»Kein Geizhals. Nur ein Lügner. Ein Lügner aus Liebe. Das muß man anerkennen.« Nora trank kleine Schlucke des reinen Whiskys, während sie sprach. »Das muß man dir hoch anrechnen. Und auch, daß du mir jetzt doch noch die Wahrheit sagst. Es muß ja wohl sein, aber du hättest dich auch einfach aus dem Staub machen können … Nein, nein, du benimmst dich wie ein Gentleman.«

»Nora, wirklich, du trinkst zuviel …«

»Ich werde noch viel mehr trinken. Auf eine so frohe Botschaft hin! Das will doch begossen werden. Deine Frau, die weiß nichts von mir, was?«

»Nein. Schau mal, Nora, ich …«

»Ist sie hübsch?«

»Ich … bitte …«

»Also ja.«

»Sie sieht ganz anders aus als du!« rief er.

»Natürlich sieht sie anders aus. Das war ja gerade das Reizvolle. Eine Blondine, wie? Deine Augen! Ich habe es erraten! Wie aufregend. Eine Blonde in London, eine Schwarze in Lissabon.«

»Nora, laß das endlich! Glaub mir doch, ich habe den Kopf verloren. Ich schwöre dir, daß ich dich aufrichtig …«

»Wenn du das sagst, dann zerschlage ich das Glas auf deinem Kopf, Jack. Und es ist ein schweres Glas. Das wir noch einmal füllen wollen …«

»Nein!«

»Aber ja!«

Sie kämpften kurz um die Flasche, dann hatte Nora wieder ein volles Glas Whisky.

»Süße Kinder, sicherlich«, sagte sie. »Ich trinke auf die süßen Kinder … und auf die süße blonde Frau … und auf eure süße, glückliche Zukunft!«

Cardiff sah sie hilflos an. »Mach nicht solche Kuhaugen, Jack. Ich veranstalte keine Szene. Es ist schon alles wieder okay. Kleiner Schreck in der Abendstunde. Mit einer beschissenen Deutschen kann man so was doch jederzeit machen. Schließlich führt ihr Krieg gegen uns! C’est la guerre, voilà!«

»Nora, bitte, bitte! Wir können doch Freunde bleiben …«

»Aber ja, süße Freunde …«

»… und ich bin immer da … Wenn ich etwas für dich tun kann …«

»Das kannst du.«

»Was kann ich?«

»Etwas für mich tun!«

»Was?«

»Jetzt mit mir noch einmal schwimmen gehen«, rief sie, aufspringend. »Nein! Laß das! Du hast zuviel getrunken!«

»Ich will schwimmen! Und du, du tust alles für mich, also schwimmst du auch mit mir!«

Er versuchte, sie an einem Bein festzuhalten, aber sie entkam ihm und lief schon auf den Bohlensteg zu und diesen entlang.

»Nora!« schrie er, ihr nachrennend.

Sie hatte das Ende des langen Stegs erreicht. Kopfüber sprang sie in das dort schon tiefe Wasser. Sekunden später sprang Cardiff ihr nach. Er versuchte, sie zu erreichen.

»Komm zurück!« schrie er. »Komm aus dem Wasser! Nora, sei vernünftig, verflucht!«

Ihr Lachen schallte zu ihm. Sie kraulte jetzt, so schnell sie konnte, wobei sie sich dauernd nach Cardiff umsah und weiterlachte. Sie schwamm in einem großen Kreis. Er war knapp hinter ihr. Sie hatte tatsächlich zu schnell und zuviel getrunken, jetzt fühlte sie es plötzlich heftig. Sie verlor die Orientierung, ihr Atem wurde kurz, Wasser und Himmel drehten sich vor ihren Augen. Aber sie kraulte wild weiter, direkt auf den Steg zu. »Nora!« brüllte Cardiff. »Paß auf!«

Sie blickte geradeaus und sah die schwarzen, massigen Pfosten und die Bretter des Stegs unmittelbar vor sich. Indem sie die Hände hochriß, erreichte sie die Bohlenenden. Mit der Kraft ihrer Trunkenheit zog sie sich empor, erhob sich und begann, schwankend, über die glatten Hölzer davonzulaufen.

»Nora! Nora, bleib stehen!«

Cardiff hatte gleichfalls den Steg erklommen. Sie hörte, wie er ihr nachrannte. Sie drehte sich um. Dabei verlor sie das Gleichgewicht und stürzte. Mit voller Wucht schlug ihr Rücken auf den Steg. Nora fühlte einen wütenden Schmerz in der Wirbelsäule, dann verlor sie das Bewußtsein.

Die Sterne und der Mond waren das erste, was sie sah, als sie wieder zu sich kam. Dann sah sie, neben sich, Jack Cardiff und merkte, daß sie auf dem Bohlensteg lag.

»Hallo«, sagte Nora schwach.

»Ist etwas? Hast du dich verletzt?«

Sie drehte sich jäh zur Seite um und spie eine Menge Wasser aus, das nach Whisky schmeckte. Dann bewegte sie ihre Glieder und tastete den Körper ab.

»Nichts«, sagte sie. »Alles in Ordnung.« Sie berührte den Rücken und schrie leise. »Jesus, da tut es weh!« Cardiff neigte sich über sie. »Eine Wunde?«

»Ich sehe nichts …«

»Na also«, sagte Nora. »Glück gehabt. Wieder Glück. Donnerwetter, ist das ein Abend. Ich habe Glück, Glück, Glück …«

48

Am nächsten Morgen wurde Nora Hill mit dem Frühstück ein Brief auf ihr Zimmer im Hotel ›Aviz‹ gebracht. Der Brief stammte von Jack Cardiff. Er schrieb, wenn Nora diese Zeilen läse, sei er schon in einem Flugzeug auf dem Weg nach London, er müsse dringendst heim zu seiner Dienststelle und darum die erste Frühmaschine nehmen. Er glaube nicht, schrieb Jack Cardiff, daß er noch einmal nach Lissabon zurückkehren könne. Er bat Nora herzlich, ihm zu verzeihen. Nie werde er sie vergessen können. Nora las den Brief zweimal, dann zerriß sie ihn in kleine Stücke. Ihr Rücken schmerzte kaum noch. Sie dachte, daß sie sich umbringen wollte, aber sie hatte sehr großen Hunger, und so frühstückte sie zuerst. Nach dem Frühstück wollte sie sich nicht mehr umbringen. Es erschien ihr plötzlich sinnlos, so etwas zu tun. Alles erschien Nora Hill von diesem Tage an sinnlos.

In den wenigen Monaten, die noch bis zum Kriegsende verstrichen, wurde Nora Hill eine stadtbekannte Erscheinung. Sie hatte zahlreiche, hemmungslose, hektische Affären, die ebenso abrupt begannen wie endeten. Sie war auf jeder Party zu sehen. Sie tanzte und trank bis in den Morgen. Wenn ein Mann ihr gefiel, ging sie mit ihm. Es geschah, daß sie, neben einem solchen Mann in einem fremden Bett aufwachend, den Namen ihres neuesten Geliebten nicht kannte. Sinnlos, sinnlos war alles geworden. Sinnlos erschien Nora auch die hohe britische Auszeichnung, die der Botschafter Seiner Majestät ihr für Verdienste um die Vereinigten Königreiche dann Ende Mai überreichte. Sinnlos erschien es Nora, länger in Lissabon zu bleiben. Der britische Botschafter, ein älterer Herr, der sie verehrte, brachte es umgehend fertig, daß man ihr einen Platz in einem Kurierflugzeug der ›Royal Air Force‹ reservierte, das nach Wien flog, denn Nora wollte nach Wien. Offiziere, die von dort kamen, berichteten ihr, daß die Sowjets Carl Flemming verhaftet und in die Sowjetunion gebracht hätten. Nach menschlichem Ermessen kehrte er nie mehr zurück. Um so besser! Nora wollte allein sein, allein in einer Stadt, in der sie nichts an Jack Cardiff erinnerte.