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»Damals muß es angefangen haben«, erzählte Christiansen weiter. »Die nächste Spur der Familie findet sich 1801 in Oaxca, Mexiko. Thomas Maddoxxe (wie er sich selbst schrieb) heiratet dort die schöne und mächtige Teresita de Valdez, Gräfin von Arragon und Besitzerin der größten Hazienda im südlichen Mexiko. Thomas war auf den Weiden unterwegs, als am Morgen des 6. April 1801 der Estrella Roja de Muerto - der rote Stern des Todes (inzwischen als großer radioaktiver Meteor identifiziert) - im Abstand zweier Meilen von der Ranch nieder-gihg. Thomas und Theresita gehörten zu den wenigen Überlebenden.«

»Danach müssen wir in die dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts springen«, übernahm Aviva wieder den Erzählfaden. »Eine der nächsten Generationen, der inzwischen verarmten Maddox-Familie war nach Los Angeles gezogen. Dort tat sich Ernest Maddox, der Großvater unseres Doktors, damit hervor, daß er Ärzten und ZahnärzteA eine Maschine verkaufte, die er Röntgenapparat nannte. Maddox demonstrierte die Maschine über zwanzig Jahre lang mindestens zweimal täglich am eigenen Leib. Trotz der Überdosis an Strahlung, die er dabei abbekommen haben muß, oder vielleicht gerade deswegen, erreichte er ein respektables Alter.«

»Sein Sohn«, sagte Lars, »reiste aus uns unerforschlichen Gründen plötzlich halsüberkopf nach Japan und wurde fort 1935 Zen-Mönch. Er lebte in einem tsuktsuri, einer Kellerecke, die ganzen Kriegsjahre hindurch, ohne jemals ein einziges Wort zu sagen. Die Leute ließen ihn in Ruhe, weil sie ihn für einen exzentrischen Pakistan! hielten. Maddox' Keller lag bei Hiroshima, genau 7,9 Kilometer vom Epizentrum des ersten Atombombenabwurfs entfernt. Direkt nach der Explosion verließ Maddox Japan und reiste zum Kloster von Hui-Shen, das auf einem der unzugänglichsten Berge des nördlichen Tibet liegt. Wenn man der Geschichte des englischen Touristen glaubt, der sich zur gleichen Zeit dort aufhielt, wurde Maddox von den Lamas erwartet! Er ließ sich dort nieder und verschrieb sich ganz dem Studium gewisser Tantras. Er heiratete eine Frau aus dem kaschmirischen Königshaus, von der er einen Sohn bekam: Owen, unseren Doktor Maddox. Die Familie reiste aus Tibet in die Vereinigten Staaten ab, einen Monat bevor die Chinesen einmarschierten. Owen wurde in Havard, Yale, UCLA, Oxford, Cambridge, an der Sorbonne und in Heidelberg ausgebildet. Wie er mit uns zusammenkam ist eine fast noch seltsamere Geschichte, die Sie bei einer etwas passenderen Gelegenheit hören sollen. Denn jetzt sind wir gleich beim Schiff, und ich glaube, wir sollten keine weitere Zeit verquatschen.«

Carmody sah auf einer kleinen Lichtung ein majestätisches Raumschiff vor sich, daß sich wie ein gigantischer Wolkenkratzer hoch über die Bäume in den Himmel reckte. Es besaß Antennen, Düsen, Schleusen, Teleskope und jede Menge anderer hochtechnischer Verzierungen. Vor dem Schiff saß auf einem Klappstuhl ein Mann mittleren Alters mit gutmütigem, faltenreichem Gesicht. Er konnte kein anderer als Maddox der Mutant sein, wie sich sofort zeigte, denn er besaß sieben Finger an jeder Hand und seine Stirn wölbte sich gewaltig vor, um Platz zu schaffen für sein Extrahirn.

Maddox erhob sich elegant (auf fünf Beinen!) und nickte ihnen zur Begrüßung zu. »Ihr seid gerade noch rechtzeitig gekommen«, sagte er. »Die Projektionslinien der zukünftigen Wahrscheinlichkeiten stehen dicht vor einem unausweichlichen Kreuzungspunkt höchster Gefahr. Kommt alle schnell ins Schiff! Wir müssen ohne jede weitere Verzögerung unseren Schutzschirm errichten und den Notstart vorbereiten!«

Lars Christiansen schritt schneller aus, offenbar zu stolz, einfach loszurennen. Aviva ergriff Carmodys Arm, und Carmody bemerkte, daß sie zitterte und daß der formlose graue Raumanzug die mädchenhaften Formen dem genaueren Blick nicht verbergen konnte/ Formen, die sich jetzt schutzsuchend an Carmody drängten.

»Eine widerwärtige Situation, in die wir da geraten sind«, murmelte Maddox, faltete den Stuhl zusammen und trug ihn zur Schleuse. »Meine Kalkulationen haben diesen Krisenpunkt natürlich berücksichtigt, aber die Natur der Krise besteht eben gerade darin, daß sich von diesem Augenblick an nicht mehr genau sagen läßt, was weiter passieren wird. Nun, wir werden unser Bestes tun.«

Vor der weit offenen Hauptschleuse zögerte Carmody kurz. »Ich glaube wirklich, daß ich mich noch bei Mr. Maudsley verabschieden sollte«, erzählte er Maddox. »Vielleicht sollte ich ihn sogar um Rat fragen. Er ist sehr hilfsbereit, wissen Sie. Und er arbeitet gerade an einer Maschine, die mich zurück zur Erde bringen sollte.«

»Maudsley!« rief Maddox und tauschte mit Christiansen einen bezeichnenden Blick aus. »Ich habe bereits vermutet, daß er dahinter steckt.«

»Es sah ganz nach seiner verdammten Handschrift aus«, knurrte Christiansen.

»Was soll das heißen?« fragte Carmody.

»Das soll heißen«, sagte Maddox, »daß Sie zum Opfer und zur Schachfigur in einer gigantischen Verschwörung geworden sind, bei der es um nicht weniger als siebzehn Sonnensysteme geht. Ich kann jetzt nicht alles erklären. Aber Sie müssen mir glauben, es geht hier nicht nur um Ihres und unsere Leben, nein, das Leben von mehreren Dutzend Milliarden Humanoi-den steht auf dem Spiel, die meisten davon blauäugig und hellhäutig.«

»Oh, Tom, schnell, schnell!« schrie Aviva und zog ihn am Arm.

»Nun gut«, sagte Carmody, »aber ich will eine vollständige und befriedigende Erklärung für das alles.«

»Die sollen Sie haben«, sagte Maddox, als Carmody in die Schleuse trat. »Und zwar gleich jetzt und hier.«

Carmody wandte sich blitzschnell um, denn er hörte einen drohenden Unterton aus Maddox Stimme heraus. Er sah den Mutanten scharf an und erlebte einen plötzlichen Schock. Er sah noch einmal hin, besah sich seine drei Retter, und sah sie zum ersten Mal wirklich.

Der menschliche Geist ist so konstruiert, daß er optische Wahrnehmungen in seinem Gehirn zu einer Gestalt des beobachteten Objektes umsetzt. Ein paar Kurven ergeben in der Umsetzung das Bild eines Berges mit allen dazu gehörenden Assoziationen, ein halbes Dutzend gebrochener Linien produzieren eine passable Welle, lehrt uns die Gestaltpsychologie.

Unter Carmodys forschendem, mißtrauischem Blick brach die Gestalt nun zusammen. Er erkannte, daß Avivas wunderschöne Augen nur stilisiert wären wie die eines Schmetterlingsflügels. Lars hatte ein dunkelrotes Oval im unteren Drittel seines Gesichtes, von einer dunkleren Querlinie unterbrochen. Das sollte der Mund sein. Maddox Finger, alle sieben, waren in Hüfthöhe auf den Körper aufgemalt.

Die Gestaltwahrnehmung löste sich jetzt vollständig auf. Carmody entdeckte die dünnen schwarzen Linien, die jede der Figuren mit dem Schiff verband - wie Risse im Boden. Er stand völlig erstarrt da und sah, wie die drei auf ihn zukamen. Sie hatten keine Hände, die sie heben konnten, keine Füße, sich zu bewegen, keine Münder, damit zu erklären. Sie waren nichts anderes als halbrunde, glatte Zylinder, kunstvoll, aber nur oberflächlich als menschliche Wesen verkleidet. Sie hatten keine Glieder, mit denen sie irgend etwas tun konnten, sie waren selber Glieder, und diese Glieder taten jetzt das einzige, was sie zu tun hatten. Sie waren die Fingerglieder einer riesigen Hand. Und die Hand näherte sich mit knochenloser Geschmeidigkeit, um ihn tiefer in den dunklen Schlund des Schiffes hinein zu stoßen.

Das Schiff? Carmody wich den dreien aus und rannte um sie herum dorthin zurück, woher er gekommen war. Aber die Schleuse fuhr spitze Zähne aus, reckte sich ein wenig auseinander und begann sich dann zu schließen. Wie konnte er das nur für Metall gehalten haben? Die dunklen, schimmernden Wände des Schiffes wellten sich und begannen sich zusammenzuziehen. Carmody s Füße verfingen sich in einem schwammigen, klebrigen Dreck, und die drei Finger legten sich vor ihn, um ihn von dem kleiner werdenden Spalt des Tageslichts abzuschneiden.

Carmody kämpfte mit der zappelnden Verzweiflung einer Fliege, die in ein Spinnennetz geraten ist (der Vergleich paßte recht genau, aber diese Einsicht kam zu spät). Er wehrte sich wie ein Wahnsinniger, aber ohne Erfolg. Der Lichtspalt war kaum noch größer als ein Fußball, die Öffnung schimmerte nun rot und feucht. Die drei Zylinder hielten ihn fest, und Carmody konnte keinen mehr vom anderen unterscheiden.