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»Zu welcher Eröffnung?«

Marundi sah ihn mit offenem Erstaunen an. »Mann, du bist nicht nur weg gewesen, du mußt hinter dem Mond gewesen sein. Heute ist die Eröffnung von dem, was jenseits allen Zweifels die wichtigste Kunstausstellung unserer Zeit, wenn nicht überhaupt aller Zeiten, ist.«

»Und was ist dieser Gipfelpunkt der Ästhetik?« wollte Carmody wissen.

»Ich gehe gerade hin«, erklärte Marundi. »Komm mit mir, und sieh es dir selbst an.«

Trotz des leisen Murrens des Preises schloß Carmody sich spontan dem Freund an. Sie gingen uptown, und Marundi erzählte unterwegs, was in der letzten Zeit so los gewesen war. Wie sich herausstellte, dasselbe wie sonst auch. Schließlich gelangten sie in die 106ste Straße, wo mehrere Gebäude abgerissen worden waren, um Platz für einen neuen Bau zu schaffen. Dieser Bau schien eine Art Schloß zu sein, aber eines, wie Carmody es noch nie zuvor gesehen hatte. Und deshalb fragte er seinen Begleiter, diesen hochgebildeten Menschen, um eine Erklärung.

»Dieses massive Gebäude, das du da vor dir siehst«, erklärte Marundi bereitwillig, »wurde von dem berühmten Architekten Delvanuey erbaut, dem wir unter anderem die legendäre Todesfalle 66 verdanken, die berühmte New Yorker Hochstraße, die noch keiner vom Anfang bis zum Ende ohne Unfall befahren hat. Es ist der selbe Delvanuey, der, wie du dich vielleicht erinnern kannst, auch das Flash-Point-Towers entwarf, Chikagos neuesten Slum; der einzige Slum der Welt, der nach dem Prinzip Funktion ist Form so gebaut wurde, daß er bereits stolz und zweckmäßig als Slum designed wirkt, und der von der >Präsidentenkommission zur Erhaltung urbaner Kunst des modernen Amerika< das Prädikat >unsanierbar< erhielt.«

»Das ist wirklich eine einzigartige Errungenschaft«, sagte Carmody ergriffen. »Wie nennt er denn dieses besondere Gebäude hier vor uns?«

»Das ist sein opus magnus«, erläuterte Marundi. »Dies, mein Freund, ist Schloß Müll!«

Die Zufahrt zu Schloß Müll, bemerkte Carmody, war sehr geschickt aus Eierschalen, Orangenschalen, Avacadokernen und Apfelkitschen aufgeschüttet. Sie führte zu einem großen Eingang, der völlig mit rostigen Bettfedern verkleidet war. Über dem Tor stand mit aufgeklebten Fischgräten geschrieben das Motto: Verschwendung zur Verteidigung des Luxus ist keine Sünde - Mäßigung zur Minderung der Exzesse ist keine Tugend<.

Sie traten ein und wanderten durch Gänge von zerknüllten Kartons in einen offenen Hof, in dem ein Napalm-Springbrunnen lustig gen Himmel flackerte. Sie umgingen ihn vorsichtig und gelangten in einen Saal aus Aluminium, Stahl, Polyethe-lene, Asbest, Styrene, imitiertem Nußbaum, Acrilan und Vinyl. Von dort zweigte eine Reihe von Gängen ab.

»Gefällt es dir?« fragte Marundi.

»Ich weiß noch nicht recht«, gestand Carmody ein. »Was, zum Teufel, soll das alles ein?«

»Ein Museum«, erklärte Marundi. »Es ist das erste Museum für menschlichen Abfall.«

»Ich verstehe«, sagte Carmody. »Und wie kommt es so an beim Publikum?«

»Zu meiner Verwunderung, muß ich gestehen, ist die Aufnahme geradezu enthusiastisch. Ich meine, wir Intellektuellen wußten schon das es gut war, doch wir haben uns nicht vorzustellen gewagt, daß die breite Öffentlichkeit auch so schnell darauf abfährt. Aber das ist sie. In dieser Beziehung haben die Massen wirklich einmal Geschmack gezeigt und bewiesen, daß sie durchaus in der Lage sind zu erkennen, was die einzig wahre Kunst dieses Jahrhunderts ist.«

»Hat sie das erkannt, die Masse, meine ich? Ich ganz persönlich finde das alles doch ein wenig schwer zu verdauen.«

Marundi sah ihn voller Mitgefühl an, aber auch mit einer gewissen Verachtung. »Von allen Leuten hätte ich erwartet, daß sie ästhetische Reaktionäre sind, aber nicht von dir. Was hättest du denn gerne? Griechische Statuen und byzantinische Ikonen vielleicht?«

»Sicher nicht. Aber warum gerade sowas hier?«

»Weil sowas hier, lieber Carmody, die Essenz unserer Gegenwart ist, auf der alle Kunst begründet werden muß. Wir konsumieren, also sind wir! Aber der Mensch hat sich bisher noch dagegen gesträubt diese vitale Tatsache anzuerkennen. Der Mensch hat sich vom Müll abgewandt, diesem einzigen nicht weiter reduzierbaren Überbleibsel der Freuden unserer Zivilisation. Und doch - was ist Abfall? Ist es nicht nur eine Mahnung, unsere Bedürfnisse nie zu vergessen, eine Erinnerung an alles, Was wir zum Leben brauchen? Wirf nichts weg, und du lebst nicht! Wer nicht verschwendet, hat nie wirklich existiert! Vergeude nichts, wünsche dir nichts. Das ist der böse alte Lehrsatz unserer gesellschaftlichen Analfixierung, die es endlich zu überwinden gilt. Warum über Müll reden? Nun, warum reden wir über Sex, über Tugend, über Schönheit oder über sonst irgendeine wichtige Sache?«

»Es klingt vernünftig«, gab Carmody zu, »wenn du es so darstellst. Trotzdem . . .«

»Komm mit mir, beobachte, lerne, erfahre dich selbst«, rief Marundi. »Das Konzept wird in dir wachsen, fast genau wie der Abfall um dich herum.«

Sie besuchten die Sammlung Alltagslärm. Hier konnte sich Carmody das Brausen wassergespülter Toiletten anhören, das Brausen des Feierabendverkehrs, das schrille Kreischen eines Unfalls, das kreischende Gebrüll eines Mob. Daneben gab es auch eine Lärmretrospektive mit dem Brausen von Stukas, dem Knattern von Repetiergewehren und dem mächtigen Dröhnen eines Dampfhammers. Gleich dahinter lag der ÜberschallknallRaum, aus dem Carmody schnell wieder draußen war.

»Puh!« sagte Carmody.

»Vielleicht«, sagte Marundi. »Der Raum ist nicht ganz ungefährlich, aber manche bleiben stundenlang da drinnen. Gleich da vorne haben wir dann das Leitmotiv der ganzen Ausstellung: das geliebte Malmen der müllfressenden Müllvernichtungsanlagen. Schön, nicht? Und da hinten rechts gibt es die weltgrößte Sammlung leerer 1-Liter-Weinflaschen. Es gibt hier auch das originalgroße Modell einer U-Bahn mit einer Berau-chungsanlage von Westingshaus.«

»Was ist denn dieses Geschrei?« erkundigte sich Carmody.

»Das sind die Bänder mit den heroischen Stimmen«, erklärte Marundi. »Das hohe, schrille Jammern ist unser neuester New Yorker Bürgermeister. Und dazu hörst du -«

»Gehen wir weiter!« verlangte Carmody.

»Sicher. Rechts geht es in die Graffiti-Abteilung. Daran anschließend kommen wir in die Fernsehantennen-Sammlung. Da sind schon die schönsten Modelle! Dies ist eine englische, anno 1960. Beachte die schwere, strenge Form, gedrungen, aber doch nicht schmucklos. Vergleiche sie einmal mit dem Kambodschanischen Typ von 1959. Siehst du die luxuriöse Orientale Verspieltheit dieses asiatischen Modells? Das ist wahre Volkskunst, wie sie sich durch das Leben selbst ausdrückt.«

Marundi wandte sich zu Carmody und erklärte überzeugt: »Sehe und glaube, mein Freund. Dies ist die Welle der Zukunft. Einstmals verschloß der Mensch sich den Freuden der ewigen Aktualität. Diese Tage sind vergangen. Wir wissen heute, daß Kunst das Ding an sich ist, zusammen mit seiner Verwertung bis hin zum Müll. Keine Pop-Art, muß ich hier schnell einfügen, die nur höhnen und übertreiben will. Nein, das hier ist Volkskunst, die Kunst, die einfach existiert, weil das Volk sie sich selbst so geschaffen hat. Dies ist das neue Zeitalter, in dem wir endlich bedingungslos das Unakzeptierbare akzeptieren werden, und so dazu kommen zu verkünden, daß unsere Künstlichkeit natürlich - die Epoche der Natürlichkeit des Künstlichen.«

»Mir gefällt das alles nicht!« rief Carmody. »Ich mag das nicht. Seethwright!«

»Nach wem schreist du da?« wollte Marundi wissen.

»Seethwright! Seethwright! Komm und hol mich raus hier, zum Teufel!«

»Er ist ausgeflippt«, sagte Marundi. »Gibt es hier irgendwo einen, Arzt?«

Sofort erschien ein kurzer, feuchthändiger Mann in einem einteiligen Latzhosenanzug. Der Mann trug einen kleinen schwarzen Koffer bei sich, an dem eine kleine silberne Plakette angebracht war, auf der stand: >Kleiner schwarzer Koffer<.