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»Ich bin Arzt«, sagte der Arzt. »Lassen Sie mich den Patienten sehen.«

»Seethwright! Wo stecken Sie, verdammt noch mal!«

»Hmmmmmmmm, ich sehe«, sagte der Doktor. »Dieser Mann zeigt alle Anzeichen akuten Halluzinationsentzuges. Hmm. Ja, wenn man seinen Kopf abtastet, fühlt man deutlich, daß er hart ist und rundlich. Das ist normal für dieses Alter. Aber wenn man dann weiter fühlt . . . hmm, erstaunlich. Dieser arme Kerl ist gerade dabei, vom Mangel an Illusionen zu verhungern. Er ist wirklich ausgehungert nach Illusionen.«

»Können Sie ihm helfen, Doc?« erkundigte Marundi sich besorgt.

»Sie haben mich gerade noch rechtzeitig gerufen«, erklärte der Arzt. »Der Zustand ist noch nicht irreversibel. Ich habe hier die göttliche Nadel.«

»Seethwright!«

Der Arzt nahm eine Schachtel aus dem kleinen schwarzen Koffer, und aus der Schachtel eine Spritze und eine Ampulle, worauf er begann die Spritze aufzuziehen. »Das ist der Standard-Frischmacher«, sagte er zu Carmody. »Nichts, worüber Sie sich Gedanken machen brauchen. Ein Kind könnte das schon nehmen. Es enthält nur ein wenig Barbiturate, Amphetamine, Tranquillizer, Halluzinogene und andere gute Sachen. Dazu eine Prise Arsen, die Ihr Haar schön seidig macht. Halten Sie jetzt bitte einmal still . . .«

»Verdammt, Seethwright! Hol mich hier raus!«

»Es tut nur im ersten Augenblick weh«, versicherte der Arzt, zielte und stieß mit der Spritze zu.

Im gleichen Augenblick, oder fast im gleichen Augenblick, war Carmody verschwunden.

Auf Schloß Müll herrschte über dieses Verschwinden eine Weile konsternierte Verwirrung, die sich aber legte, nachdem jeder eine Spritze bekommen hatte. Danach wurde die Sache mit olympischer Ruhe zu Ende gebracht. Ein Priester wurde gerufen und sprach für Carmody die letzten Worte: »Überflüssiger Mensch, du gehest nun hinauf zu den herrlichen Gefilden des Unwesentlichen im Himmel, wo alle unnötigen Dinge ihren Platz finden werden.«

Aber Carmody wanderte, angetrieben von den Transitionen des getreuen Seethwright, weiter durch die endlosen Möglichkeitswelten. Er bewegte sich in eine Richtung, die man am besten als nach >unten< bezeichnen kann, hindurch durch die Myriaden potentiellen Erden, zu den möglichen Welten, danach zu den unwahrscheinlichen und schließlich in die merkwürdigen Bereiche der konstruierten Unmöglichkeiten.

Der Preis schimpfte mit ihm und sagte: »Das war deine eigene Welt, die du verlassen hast! Deine Heimat, Carmody! Bist du dir dessen bewußt?«

»Ja, ich bin mir dessen bewußt«, sagte Carmody.

»Und jetzt gibt es keine Rückkehr mehr.«

»Ich bin mir auch dessen bewußt.«

»Ich nehme an, du denkst, du könntest irgendwo ein gemütliches Utopia finden in den Welten, die vor uns liegen?« meinte der Preis mit einem verächtlichen Schnauben.

»Nein, nicht genau.«

»Was denn?«

Carmody schüttelte den Kopf und weigerte sich zu antworten.

»Was immer es auch sein sollte, du kannst es vergessen«, sagte ihm der Preis bitter. »Dein Jäger ist uns dicht auf den Fersen und wird dein unentrinnbares Verderben sein.«

»Das bezweifle ich nicht«, sagte Carmody, den eine seltsame Ruhe überkommen hatte. »Aber wenn man es langfristiger betrachtet, hatte ich sowieso nie angenommen, lebend aus diesem Universum davonzukommen.«

»Das ist doch bedeutungslos«, schnaubte der Preis. »Die traurige Tatsache ist, du hast alles verloren, Carmody.«

»Da stimme ich dir nicht zu«, erklärte Carmody. »Erlaube mir bitte, darauf hinzuweisen, daß ich im Augenblick noch am Leben bin.«

»Einverstanden. Aber nur im Augenblick.«

»Ich bin schon immer nur im Augenblick am Leben gewesen«, erklärte Carmody weiter. »Ich konnte nie mehr, als diesen einen Augenblick leben. Es war mein Irrtum, daß ich mehr erwartet habe. Und das gilt, glaube ich jetzt, für alle meine möglichen und potentiellen Lebensumstände.«

»Und was willst du nun mit deinem Augenblick erreichen?«

»Nichts«, sagte Carmody. »Alles.«

»Ich verstehe dich nicht mehr länger«, meinte der Preis. »Etwas an dir hat sich verändert, Carmody. Was ist das?«

»Eine Kleinigkeit nur«, erzählte Carmody seinem Preis. »Ich habe einfach eine Langlebigkeit aufgegeben, die ich mir sowieso immer nur eingebildet habe. Ich habe mich von dem Garderobenklatsch abgewandt, den die Götter sich ständig hinter ihren Provinzbühnen erzählen. Es ist mir egal geworden, unter welcher Schale die Perle der Allmächtigkeit nun zu finden ist. Ich brauche sie nicht. Ich brauche auch keine Unsterblichkeit. Ich habe meinen Augenblick, und der genügt mir.«

»Sankt Carmody!« rief der Preis voll triefendem Sarkasmus. »Nicht mehr als ein Atemzug trennen dich von deinem Tod! Was willst du nun mit deinem armseligen Augenblick anfangen?«

»Ich werde damit weitermachen, ihn zu leben«, sagte Carmody. »Dafür sind Augenblicke schließlich da.«

ENDE