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Es zeigte sich allerdings, dass die Ballons hervorragend funktionierten: Swan und ihre Teamkameraden entdeckten keine Notfälle. Stattdessen waren die Tiere in Bewegung; manche rannten wie wild umher. Doch schon bald ermüdeten sie in ihrer Panik, hielten an und blickten sich um. Die Landschaft, die sie sahen, war hoffentlich nicht allzu unvertraut. Die meisten Terrarien hatte man in Hinblick auf genau diesen Augenblick auf 1 g eingestellt und so gestaltet, dass sie den Orten ähnelten, an die die Tiere nun heimkehrten.

Die großen Karibus hatten keine Schwierigkeiten zueinanderzufinden. Die kleinen Tiere verbargen sich im Weizen und machten sich auf den Weg zu den Hügeln im Westen oder zu den kleinen Bäumen des Nadelwalds, die am südlichen Horizont zu sehen waren. Keines der Geschöpfe schien Hilfe zu brauchen. Alle waren auf festem Boden und stellten sich ihrem neuen Schicksal.

Die Tiere waren einzeln markiert, sodass sie auf den Bildschirmen als Muster von bunten Punkten erschienen. Swans Team wandte sich dem nächsten Teil ihres Plans zu, der darin bestand, den Karibus zu folgen und sie notfalls vor sich her zu treiben wie Schäferhunde Vieh, bis sie ans Ostufer des Thelon River gelangten. Diese erste Wanderung der neu gebildeten Herde würde instinktiv, aber ohne Vorgaben vonstattengehen – es sei denn, sie trafen auf alte Spuren der verlorenen Herden von Beverly, Bathurst und Ahiak. Doch auf ihrem Weg würden sie Duftspuren und andere Markierungen für künftige Wanderrouten hinterlassen. Dadurch würde ihr Weg de facto zu einem Habitatkorridor durch das neue Weizengebiet werden, einem Korridor, den sie möglicherweise vor den zuständigen Gerichten verteidigen mussten, aber darum würden sie sich kümmern, wenn es so weit war. Zunächst mussten die Karibus über den Fluss gelangen. Dass sie die Tiere bei ihren Wanderungsbewegungen über wirtschaftlich genutzte Ländereien leiteten, war der größte Akt zivilen Ungehorsams, den Raumer jemals auf der Erde begangen hatten, aber sie hofften, dass die Tiere den Weg beim nächsten Versuch alleine bewältigen würden, und dass die Einheimischen sie ins Herz schließen würden – selbst die Bauern, die hier ohnehin keine besonders großen Erfolge mit ihrer Arbeit erzielten. Die Eskorten würden vielleicht festgenommen werden, bevor sie mit ihrer Arbeit fertig waren, aber die Leute erkannten hoffentlich schnell, dass die Habitatkorridore das Land, das sie in Anspruch nahmen, wert waren.

Wie meistens, wenn sie mit einer Gruppe von Menschen unterwegs war, fiel Swan bald zurück. Es gab einfach zu viel zu sehen; die Dinge um sie herum waren so interessant, dass sie ihre eigentliche Aufgabe vergaß, sogar jetzt. Seit einem Jahrhundert forschte man an den Grundlagen für die Pläne, auf der Erde verloren gegangene Arten wieder auszuwildern, und obwohl sie jetzt hier war und Teil dieses Projekts, taumelte sie umher und betrachtete die Blumen, die hier und dort aus dem felsigen Untergrund schauten, kleine, erstaunlich bunte Samtkissen. Hoch über ihnen stand ein blassblauer Himmel mit einem Band von Kumuluswolken, die ostwärts jagten. Vor ihrem inneren Auge sah Swan noch immer Tiere, die wie Saatkörner in der Sonne herabrieselten. Der Anblick hatte sie in einen Traum gestürzt, aus dem sie noch nicht wieder erwacht war, weshalb sie natürlich nicht so schnell machen konnte. Sie stand ohnehin in Funkkontakt mit ihren Mitarbeitern. Tatsächlich war das Geplapper in ihren Ohren schlimmer als das von Pauline, weshalb sie den Ton ausdrehte. Sie würde reinhören, sobald die Notwendigkeit bestand. Fürs Erste wollte sie sich wieder auf den Boden unter ihren Füßen konzentrieren. Bei der Arbeit, die sie das Jahr zuvor in Afrika geleistet hatte, hatte sie begonnen, bestimmte Dinge für selbstverständlich zu erachten. Sie hatte schlicht und einfach vergessen, wo sie sich befand. Sie hatte sich tief in ihr Problem gestürzt, während die ganze Welt auf einem gewaltigen Wind durch den Himmel flog. Und jetzt dieses offene Land, diese Taiga. Ein paar vereinzelte Zwergkiefern auf der Südseite der nächsten Anhöhe. Ein trunkener Wald auf einem schmelzenden Permafrostboden. Im Osten, unter dem Wolkenband, seichte Hügel. Ein ungeheuer hoher Himmel, das Blau leicht pastellfarben über den tief hängenden Wolken, die noch immer ostwärts zogen. Die Luft schien ein wenig nach Feuer zu riechen. Hohe Nachmittagssonne, 5. August 2312. Ein neuer Tag. Warm, aber nicht heiß. Leicht schwüle Luft, voller Insekten. Sie trug einen Ganzkörperanzug, der sie trocken hielt und der zum Glück sehr effektiv die Mücken und Fliegen fernhielt, die in dichten schwarzen Wolken umhertrieben und zuweilen wie wirbelnder Rauch aussahen. Die anderen Angehörigen ihres Teams waren nirgendwo in Sicht. Das gedehnte Auf und Ab der Landschaft wurde von niedrigen Kämmen zerhackt, bei denen es sich um eiszeitliche Wallberge handeln mochte. In jedem Fall konnte sie in Richtung Osten nur begrenzt weit sehen. Sie kletterte auf einen Pingo und schaute sich um. Ah, dort war Chris, nur ein paar Hundert Meter vor ihr. Anscheinend winkte er jemandem zu, der noch weiter im Osten war. Schön für die beiden.

Schwammiges Taigagras und -moos bedeckte alle Senken. Nur einen Meter darüber erhoben sich längliche Teile des Felsfundaments, die von Norden nach Süden durchs Moor verliefen. Am besten wäre es gewesen, auf diesen natürlichen Straßen zu bleiben, aber ihr Team war nach Osten gegangen, um der Karibuherde zu folgen.

Sie ging nach Norden und hielt auf eine Anhöhe zu, die mit Krüppelholzbüschen bewachsen war, welche ihr bis zur Hüfte reichten. Oben angekommen verharrte sie, als sie ein Rudel Wölfe auf der anderen Seite sah. Sie waren gerade erst gelandet, liefen umher und beschnüffelten und beknabberten einander, wobei sie dann und wann innehielten, um zu heulen, und dann weiterliefen. Die Landung hatte sie offensichtlich aufgekratzt zurückgelassen. Swan wusste ganz genau, wie sie sich fühlten. Sie brauchten ein Weilchen, um sich zu sammeln und Richtung Osten davonzutraben. Ihr Fell war grau, mit schwarzen oder hellbraunen Flecken, und sie wirkten anmutig in ihrem Sommerpelz. Zwar hatten sie breitere Schultern und kantigere Köpfe als die meisten Hunde, waren ihnen aber doch in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich. Wilde Hunde, selbst organisiert: Das war immer eine leicht verstörende Vorstellung. Dass es eine so glückliche Entwicklung mit ihnen genommen hatte, dass sie so gutartig und verspielt waren, überraschte Swan ein wenig und erinnerte sie daran, dass die Wölfe zuerst da gewesen waren, und dass sie weiser waren als Hunde.

Nun lag es an Swan, mit ihnen mitzuhalten, und schon bald, nachdem sie die Verfolgung aufgenommen hatte, ächzte und schnaufte sie. Kein Mensch konnte mit Wölfen Schritt halten, die mit voller Kraft rannten, aber wenn man hartnäckig blieb, dann hielten sie oft an, um sich umzuschauen und zu schnüffeln, sodass man sie im Blick behalten oder sie einholen und erneut zum Weiterlaufen veranlassen konnte. Ein Rüde heulte, und andere antworteten ihm, darunter auch Swan. Sie musste sich etwas mehr anstrengen, wenn sie am Ball bleiben wollte. Wenn sie nicht auf der Erde war, hielt sie sich besser in Form als hier, eine kleine Ironie – sie verzog das Gesicht und gelobte Besserung.

Die Wölfe waren neun an der Zahl. Es handelte sich um große Tiere, der Pelz überwiegend schwarz, die langen Strähnen wippten wie Menschenhaar, wenn sie rannten. Mit ihren Wolfssätzen fraßen sie die Kilometer, obwohl es nur nach einem leichten Trab aussah. Bei ihrem Anblick heulte Swan auf, ein ganzer Ozean in ihrer Brust; hier auf der Erde waren sie frei. Es war ein so tiefes Glück, dass es einem Schmerzen verursachen konnte; eine weitere Lektion, die einem die Welt erteilte.

In dem Gelände vor ihr verschwanden die Pingos und Kessel, Weizen bedeckte das flachere Land. Der Anblick ließ die Wölfe zögern, und Swan gelang es, sich um sie herum nach Süden zu schleichen, hinter den am weitesten östlich gelegenen Pingo. Das Weizenfeld dahinter war mit einem Laser zu einer Ebene geglättet worden, die pro Kilometer etwa fünf Meter nach Westen abfiel. Das war nun wirklich Flachland – es kam ihr unwirklich vor, ein Artefakt. In gewisser Weise ein Kunstwerk. Aber das würde sich schon bald wieder ändern. Acht Kilometer Richtung Osten sah man einen neuen Pingo, der durch die Oberfläche brach, und daneben ein weiteres Stück unentwickelter Taiga – nicht trockengelegt, zur Bewirtschaftung zu sumpfig, mehr See als Land.