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Swan holte ihren Wolfspelz – die Haut eines großen, alten Rüden, an der noch Kopf und Pfoten hingen – aus dem Rucksack an ihrem Anzug. Sie zog ihn sich über den Kopf, sodass er ihr wie ein Umhang auf den Rücken hing. Sie hatte ihm goldene Ringe durch die Ohrspitzen gezogen.

Swan umrundete das Rudel, bis sie davor war, und stimmte in ihr Geheul ein. Dann rannte sie, so schnell sie konnte, Richtung Osten. Sie lief zwischen den Reihen von Weizenhalmen hindurch, die ihr bis zur Brust gingen. Voraus im Osten führten ihre Kollegen eine Herde Karibus mithilfe von Duftmarken und abgeworfenen Geweihen. Dort, wo die Herde vorbeigekommen war, war der Weizen niedergetrampelt. Swan erkannte, dass sie dem seichten Bett eines Bachs folgten, der beinahe der Laserbegradigung des Bodens zum Opfer gefallen wäre. Das halb zugeschüttete Bachbett war noch immer schlammig, und ihre Teammitglieder führten die Herde aus diesem Bereich, indem sie sich parallel zu ihr Richtung Süden bewegten. Schon bald würde die Witterung der Wölfe sie erreichen, und dann würde es kein Problem sein, sie auf einem Kurs Richtung Osten zu halten, über eine niedrige Anhöhe nach der anderen. Sie würden dorthin gehen, wo sie am weitesten von den Wölfen entfernt waren, zumindest für eine Weile. Irgendwann würden die beiden Spezies zu einer Art Abkommen zwischen Jäger und Beute gelangen, aber derzeit waren die großen Beutetiere zweifellos noch verängstigt und geneigt, in Panik zu verfallen. Sie sah Spuren von einer kleinen Stampede. Inmitten des entsprechenden Bereichs lagen die zertrampelten Leiber mehrerer Kälber. Swan drehte sich zu den Wölfen um, die ihr nun folgten. Sie stand auf einer Anhöhe, den Wolfskopf über ihren eigenen gezogen, und heulte eine Warnung. Das Rudel hielt inne und schaute mit aufgestellten Ohren und gesträubtem Fell zu ihr auf – auch die Wölfe waren verängstigt. Ihr Blick war nun nicht mehr stet und eindringlich, fand Swan, sondern wirkte wie angestrengtes Spähen.

Trotzdem waren sie nach wie vor auf der Jagd, weshalb sie ihren Weg schließlich fortsetzten. Swan gab den Weg frei, drehte ab und zog sich eilig zurück. Sie hatte den Karibus etwas mehr Zeit verschafft, um die kleine Senke zu durchqueren, und sie ging so schnell wie möglich aus der Bahn. Im Laufe der nächsten paar Stunden trieb sie die Wölfe dann und wann aus nördlicher Richtung an, aber meistens hielt sie nur mit Mühe und Not mit, und letztlich konnte sie nur noch ihren Spuren folgen. Lange Zeit stapfte sie hinter den Karibus her durch den Weizen. Einmal sah sie eine Reihe riesiger roter Erntemaschinen am südlichen Horizont.

In jener Nacht waren die meisten Karibus weit voraus und hatten eine Herde gebildet, die ostwärts zog. Es trieb sie zum Wandern, zum Weiterziehen. Hinzu kamen die Wölfe und Menschen und anderen Raubtiere, die wie Treiber bei der Jagd waren. Die Menschen setzten manchmal Sirenen oder Gerüche ein und immer ihre persönliche, verstörende Gegenwart. Menschen standen ganz oben in der Nahrungskette, selbst wenn es Wölfe und Löwen und Bären gab – solange sie im Rudel blieben, wie die Wölfe es ihnen vor so langer Zeit beigebracht hatten –, und sie hatten ihre Werkzeuge bereit, falls es hart auf hart kommen würde.

Swan, die am Ende eines sehr langen Tages dahintaumelte, spürte, wie der Geist der Jagd sie durchdrang und sie emporhob wie ein Leibhalter. Sie war Diana auf der Jagd. Das war es, was sie als Tiere taten. Swan hatte so oft in Terrarien gejagt, dass sie kaum glauben konnte, nun endlich draußen zu sein, doch dort über ihnen war der Himmel, und der Wind rauschte an ihr vorbei.

Wenn sie die Karibu-Wanderroute fest etablieren und den gesamten Bereich zu einem Habitatkorridor machen wollten, dann mussten sie das Land selbst verändern, wie es schon zuvor verändert worden war. Einmal mehr wäre diese Veränderung Menschenwerk. Die gesamte Erde war inzwischen ein Park, ein Kunstwerk, von Künstlern geschaffen. Diese neue Änderung war nur ein weiterer Pinselstrich.

Für die Verwandlung von Taiga in Ackerland hatte man die Anhöhen abrasieren und die Senken füllen und mithilfe genmanipulierter Bakterien das Wachstum neuen Erdbodens beschleunigen müssen. Dadurch war das Gelände nun ziemlich flach, wie eine Meeresoberfläche mit leichter Dünung. Doch durch den Tauwetterzyklus und die Permafrostschmelze war alles wieder unebener geworden. Der Zug der Karibus genügte, um das Erdreich aufzuwühlen; wo sie entlanggekommen waren, sah es aus, als wäre eine Front von Traktoren mit Dornenkugeln im Schlepptau durch den Weizen gerumpelt. Aus eben diesem Grund mied Swan die Spuren, mit Ausnahme kurzer Ausflüge in den Schlamm, bei denen sie Sender vergrub und das Erdreich mit Duftmarken und mit Herbiziden gegen Weizen versah. Gleichzeitig säten sie Nadelhölzer. Hier und da legten sie Sprengsätze in den Boden, um die Decke aus neu eingeführtem Erdreich emporzuschleudern und die ursprünglichen Taiga-Bakterien wieder an die Oberfläche zu bringen. All das musste geschehen, solange die Karibus noch weit genug weg waren, um nicht verschreckt zu werden. Und weil es eine Menge zu tun gab, legten sie so schnell wie möglich los.

Nachts schlief Swan in ihrem Ganzkörperanzug, in dessen Taschen sich nebst ausreichend Nahrung für zwei Tage auch eine Aerogel-Matratze und eine wärmende Decke befanden. Das eine oder andere Mal meldete sie sich bei ihrem Team, aber eigentlich verfolgte sie die Wölfe lieber allein, mochte das auch noch so unwölfisch sein. Inzwischen war das Rudel nur noch selten zu sehen, aber sie konnte seiner Spur folgen: Der Boden war weich, sodass häufig Fußabdrücke der neun Tiere zu sehen waren. Ihre eigene Gruppe der Neun.

Am dritten Morgen, eine ganze Weile vor der Dämmerung, nach einer Nacht mit wenig Schlaf, beschloss sie, aufzustehen und wenn möglich zu dem Rudel aufzuschließen. In Dunkelheit und Kälte wanderte sie mit eingeschalteter Stirnlampe. Die Spuren sah sie am besten, wenn sie die Lampe abnahm und vor sich auf den Boden richtete.

Etwa eine Stunde vor der Morgendämmerung hörte sie von vorne ihr Geheul. Der Frühchor. Die Wölfe heulten beim Anblick der aufgehenden Venus, weil sie wussten, dass die Sonne bald folgen würde. Swan sah, welchen Himmelskörper sie anheulten, aber an seiner Position im Verhältnis zum Sternbild des Orion erkannte sie, dass es sich nicht um die Venus handelte, sondern um Sirius. Einmal mehr waren die Wölfe auf ihn hereingefallen. Die Pawnee hatten Sirius aufgrund dieses Irrtums sogar den Namen Der-die-Wölfe-narrt gegeben. Als etwa eine halbe Stunde später die Venus selbst aufging, meldete sich nur ein einziger wölfischer Astronom voll Unbehagen zu Wort und verkündete heulend, dass etwas nicht stimmte. Swan lachte, als sie es hörte. Jetzt würden andere Wölfe weiter westlich das Dämmerungsgeheul aufnehmen. Lange Zeiten hatte es eine quer über ganz Nordamerika verlaufende Terminatorzone heulender Wölfe gegeben, die mit der aufgehenden Sonne nach Westen wanderte. Jetzt würde es vielleicht bald wieder so sein.

Als es hell wurde, arbeitete sie sich langsam näher an die Wölfe heran, indem sie dem Geheul des verstörten Astronomen folgte. Anscheinend hatten die Wölfe die Nacht auf einem Pingo verbracht, und jetzt jaulten und knurrten sie abweisend, als Swan sich näherte. Sie wollten nicht weg, und sie wollten auch nicht, dass Swan näher herankam. Irgendetwas ging dort oben vor, dachte sie; vielleicht bekam eine der Wölfinnen Junge oder etwas Ähnliches. Sie wartete in einiger Entfernung, und erst, als die Wölfe Richtung Osten davongeschlichen waren, stieg sie an der flachen Hangseite auf den Pingo, um ihn sich näher anzusehen.