Ein Geräusch ließ sie erstarren. Im ersten Moment sah sie nichts, aber es gab einen kleinen Teich ganz oben auf dem Pingo, einen Kessel wie den Krater eines Miniaturvulkans. Von dort kam das Geräusch – ein Winseln. Swan ging an die Kante und blickte hinab. Ein junger Wolf mit nassem, schlammverschmiertem Fell drückte sich auf einem schmalen Lehmvorsprung herum, der um das Wasser in vier oder fünf Meter Tiefe verlief. Die Wände des Lochs waren senkrecht und sogar leicht unterhöhlt von dem Wasser am Grund, in dessen schlammiges Blau sich ein türkisfarbener Schimmer mischte. Vielleicht befand sich darunter Eis, im Zentrum des Pingos. Der Wolf kratzte mit den Pfoten über den zerfurchten Lehm. Ein junger Rüde. Er blickte zu ihr auf, und sie streckte den Arm halb nach ihm aus, worauf der Boden unter ihr nachgab und sie, obwohl sie sich umdrehte und einen Satz zurückmachte, zusammen mit einer Ladung Schlamm in den Teich stürzte.
Der Wolf bellte einmal und zuckte vor Swan zurück. Sie schwamm; obwohl sie tief eingetaucht war, hatte sie bei ihrem Sturz nicht den Grund des Teichs berührt. Am anderen Ende kletterte sie auf einen schmalen Ring aus freiliegendem Schlamm, der einmal um das Loch herum verlief. Sie kam sich vor wie im Innern einer Vase. Die Bresche, die sie bei ihrem Sturz gerissen hatte, bildete eine Tülle.
Swan vermied es, den Wolf anzuschauen. Sie pfiff und gurrte wie eine Taube und dann wie eine Nachtigall. Sie hatte noch nie gesehen, dass ein Wolf einen Vogel gleich welcher Art aß, aber nur damit er nicht auf dumme Gedanken kam, fügte sie einen kurzen Falkenschrei hinzu. Der Wolf versuchte noch immer, aus dem Loch zu klettern; er hatte Angst vor ihr. Als der Schlamm des nassen Überhangs unter seinen Vorderpfoten nachgab, rutschte er zurück. Er traf mit dem Rücken zuerst aufs Wasser, und Swan streckte instinktiv die Arme aus, um ihm zu helfen, aber natürlich war er voll und ganz in der Lage, sich selbst herumzudrehen und zurück zu dem Lehmvorsprung zu schwimmen. Als er ihre Berührung spürte, wirbelte er herum und biss sie in die rechte Hand, bevor er hektisch von ihr fortpaddelte. Sie schrie vor Schmerz und Überraschung. Ihr Blut war im Wasser, in seinem Maul. Der Biss brannte, und auf dem Handrücken hatte sie eine Wunde, aus der noch eine ganze Weile das Blut hervorquellen würde.
In der Schenkeltasche ihres Ganzkörperanzugs, der sie bis auf ihren Kopf trocken hielt, steckte eine Erste-Hilfe-Ausrüstung. Sie zog sie heraus und überlegte, ob Hautkleber bei der Stichwunde, die der Wolfszahn hinterlassen hatte, funktionieren würde. Nun, sie musste es eben ausprobieren. Sie stach die Tube an, quetschte eine ganze Menge Kleber in das dunkle rote Loch und drückte dann fest eine Mullbinde darauf. Der Mull würde in dem Loch kleben bleiben, aber sie konnte alles Überstehende abschneiden und den Rest drinlassen, das würde nicht schaden.
Die Innenwände des Kessels waren mit Ausnahme einiger horizontaler Rillen glatt. Wie in aller Welt sollte sie hier nur herauskommen? Sie griff nach ihrem Telefon in der Anzugtasche und stellte fest, dass sie leer war. Die Tasche war offen gewesen, weil sie ziemlich oft bei ihren Kollegen angerufen hatte. Nun, sie würden bemerken, dass Swan fehlte, und sie per GPS orten. Vielleicht konnte sie auf den Grund des Teichs hinabtauchen und das Telefon bergen, und vielleicht würde es sogar noch funktionieren, nachdem es im Wasser gelegen hatte.
Aber eigentlich kam ihr weder das eine noch das andere besonders wahrscheinlich vor. »Pauline, kannst du mein Telefon orten?«
»Nein.«
»Kannst du für mich Kontakt zu meinem Team aufnehmen?«
»Nein. Ich bin darauf ausgelegt, einzig und allein mit dir in Kontakt zu stehen.«
»Kein Funk?«
»Kein Langstreckenfunk, wie du weißt.«
»Wie ich es mir hätte denken können. Du nutzloses Stück Schrott.«
Der Wolf knurrte, und Swan verstummte. Sie krähte kurz. »Hork!«, krächzte sie in der Hoffnung, dass der Wolf einem Geschöpf, das die Krähensprache beherrschte, vielleicht etwas Platz einräumen würde. Sie wusste wirklich nicht, was sie tun sollte.
»Pauline, wie komme ich hier raus?«
»Ich weiß es nicht.« Die Art, wie sie ohne jede Verzögerung antwortete, klang ein wenig missbilligend.
Swan bewegte sich auf dem ringförmigen Band aus Schlamm, und der Wolf bewegte sich mit, um auf der gegenüberliegenden Seite zu bleiben. Wenn die höheren Vorsprünge auf dieser Seite ihr Gewicht hielten, dann konnte sie vielleicht rausklettern. Sie unternahm einen Versuch, wobei sie den Wolf aus dem Augenwinkel beobachtete. Sein Kopf war ihr zugewandt, doch er blickte ein wenig zur Seite. Schnell wurde klar, dass der Schlamm an den Wänden ihr keinen Halt bieten konnte. Sie brauchte Stöcke, um sich Stufen zu graben, oder um sie tief genug in den Schlamm zu stecken, damit sie hielten. Aber in dem Kessel gab es keine Stöcke. Einmal mehr überlegte sie, ob sie am Grunde des Beckens vielleicht etwas finden würde. Aber das Wasser war eiskalt, und der Ganzkörperanzug bedeckte nicht ihren Kopf. Außerdem ließ sich unmöglich sagen, wie tief das Becken war, und ob es dort unten überhaupt etwas gab.
»Pauline, ich glaube, wir sitzen hier fest.«
»Ja.«
Auszüge (16)
Es handelte sich dabei nie um die offizielle Politik irgendeiner Einheit, die größer war als ein einzelnes Terrarium, und selbst diese ließen nur selten etwas Explizites über ihre Tiere verlautbaren – wo sie sie hinschickten, wie viele, wie man sie transportierte – nichts. Man geht davon aus, dass die Koordinierung, die es offensichtlich gegeben haben muss, vollständig offline stattgefunden hat, und sie ist bis heute nicht hinreichend dokumentiert. Im Rückblick scheint dieses Fehlen einer öffentlichen Stellungnahme nicht weiter überraschend, da wir inzwischen an Derartiges gewöhnt sind; doch damals handelte es sich um ein vergleichsweise neues Phänomen, und viele klagten, dass das Leben ohne öffentliche Bekanntmachungen im blanken Chaos enden würde. Da es keine Ordnung mehr im Sonnensystem gab, war die Balkanisierung nun vollkommen; die Geschichte der Menschheit war vorübergehend verschwunden, wie ein Strom von Schmelzwasser, der in eine Gletschermühle fällt und anschließend unter dem Eis weiterfließt. Niemand kontrollierte sie; niemand wusste, wohin sie unterwegs war; niemand wusste auch nur, was vorging
von Anfang an gab es Leute, die das Ganze in vieler Hinsicht für falsch hielten; für eine ökologische Katastrophe, bei der die meisten der Tiere sterben würden; dass Landstriche verwüstet und die Lebensräume vieler Pflanzen dem Erdboden gleichgemacht werden würden, dass man Menschenleben in Gefahr bringen und ihre Äcker ruinieren würde. Die Bilder von der Rückkehr der Tiere erinnerten manche an Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg oder an Alien-Invasionsfilme, und die Angst vor vergleichbaren Verlusten erzeugten mancherorts Traumata. Während des Sinkflugs wurden einige Tiere aus dem Himmel geschossen wie Tontauben. Und trotzdem landeten sie größtenteils, überlebten und fanden sich zurecht. Ein paar Wochen oder Monate hatte es den Anschein, als ob die Leute über nichts anderes redeten, und zwar aus vollem Halse brüllend. Die massive Bilderflut war ambivalent, um es vorsichtig auszudrücken. Manche riefen »Invasion«, andere »Wiedervereinigung«, Auswilderung, Migrationshilfe, der Aufstand der Tiere; schließlich bezeichnete man es als die Reanimierung, und dieser Begriff wurde kanonisiert, setzte sich durch, breitete sich aus und verdrängte all die anderen. Und letztlich kam es ohnehin nicht darauf an, welchen Namen die Menschen der Sache gaben: Die Tiere waren da
viele warfen den Terrarien vor, dass sie die Revolution auf der Erde anfachten. Andere bezeichneten es als eine Inokulation, und es gab Mikrobiologen, die von einer umgekehrten Transkription sprachen. Die Einführung neuer Populationen in eine leere ökologische Nische führt tatsächlich zur revolutionären Umwälzung in einem Biom. Schneller Wandel kann chaotisch, traumatisch sein. In diesem Fall starben die Tiere oft; irgendwann war die Nahrung aufgebraucht, worauf die Populationen kollabierten; Aasfresser hatten es gut, die Anzahl der Raub- und Beutetiere unterlag enormen Schwankungen, und das Pflanzenleben nahm unter dem Einfluss der Tiere ganz neue Formen an. Felder veränderten sich, Wälder veränderten sich, Vorstädte und Städte veränderten sich. Kampagnen zur Eliminierung mancher Arten fanden tatkräftige Unterstützung, trafen aber genauso auch auf Widerstand. Zuweilen kam es zu einer Art Krieg der Tiere, bei dem allerdings auf beiden Seiten immer Menschen die Speerspitze bildeten