selbst im Moment der Balkanisierung war die Erde für den Fortgang der menschlichen Geschichte entscheidend. Geschätzte 12000 Terrarien hatten mehr als ein Jahrhundert lang Populationen bedrohter Tierarten aufgezogen und dabei die genetische Vielfalt gestärkt, wobei es vor allem darum gegangen war, eine Art dezentralen Zoo oder eine Samenbank bereitzuhalten und auf den richtigen Augenblick zu warten, um die Tiere wieder in ihre waidwunde Heimat einzuführen. Dass dieser Augenblick gekommen sein sollte, erschien einigen der Menschen aus den Terrarien als übermäßig optimistische Annahme, aber letztlich folgten fast alle bereitwillig dem Aufruf und stellten eine beeindruckende Flotte von
ein Großteil der organisatorischen Vorbereitung zur Reanimierung wurde später zu einer Arbeitsgruppe zurückverfolgt, die mit der siebten Löwin des Merkur in Verbindung stand, welche einige Jahre vor den Ereignissen gestorben war. Man hatte Kontakt zu einigen Erdenregierungen aufgenommen, und diejenigen, die der Idee wohlwollend gegenüberstanden, hatten Genehmigungen ausgestellt. Die Migrationshilfe war ein bereits bekanntes Konzept, und die Welt war ohnehin bereits von invasiven Spezies umgestaltet worden; die Menschen hatten ohne Erfolg gegen das Massensterben angekämpft, und die zähesten Gewächse und Aasfresser hatten mittlerweile einen Großteil der Erde für sich in Anspruch genommen. Man redete von einer neuen Welt der Möwen und Ameisen, Kakerlaken und Krähen, Kojoten und Kaninchen – eine Flockenblumenwelt, entvölkert und verarmt – ein großer, kaputter Industriehof. Deshalb hießen viele Terraner die Wiederkehr verlorener Arten willkommen. Unvermeidlich hatte das auch politische Konsequenzen, handelte es sich doch um ein gemeinschaftliches Projekt der ganzen Menschheit; solche Projekte haben immer Konsequenzen
die zwölftausend Terrarien und ein paar Dutzend terranische Staaten waren sich anscheinend darin einig, den Plan in der ersten Hälfte des Jahres 2312 umzusetzen, aber da die meisten der Abmachungen unter der Hand getroffen wurden, handelt es sich bei dieser Angabe letztlich um Hörensagen. Im Großen und Ganzen sind die mündlichen Berichte der Beteiligten, die Jahre später aufgezeichnet wurden, die einzige Quelle
Nach der Reanimierung nahmen die Probleme auf der Erde einen ökologischen und logistischen Charakter an und kreisten in erster Linie um Transportwesen, Verteilung, Schadensbegrenzung, Wiedergutmachung und rechtliche und physische Abwehrmaßnahmen. Mit der Reanimierung selbst war die Sache noch lange nicht zu Ende; tatsächlich sollten viele Jahrzehnte vergehen, bevor man sie als Schlüsselmoment bei der letztlich folgenden
Wahram und Swan
Als Wahram hörte, dass Swan vermisst wurde, verließ er Ottawa, wo er gerade in hitzige Verhandlungen mit der Regierung über das unautorisierte Eintreffen der Tiere verstrickt gewesen war, und flog Richtung Norden nach Churchill. Dort erwischte er gerade noch einen Nachtflug nach Yellowknife, dem Sammelpunkt für das Team, mit dem zusammen Swan an dem Habitatkorridor arbeitete.
Inzwischen war die kurze Sommernacht verstrichen, und die Sonne war schon längst aufgegangen, als ein Helikopter Wahram in die Gegend flog, in der Swan sich laut ihres Senders aufhielt. Als sie dort eintrafen, hatte ihr Team sie bereits gefunden. Trotzdem war es gut, dass sie nun einen Helikopter hatten, weil man nicht an das Loch in der Mitte des Pingos herankam, ohne auch dort unten bei Swan zu landen. Einer ihrer Retter hatte das bereits nachdrücklich unter Beweis gestellt, weshalb sie sich nun mit einer zweiten Person und anscheinend auch mit einem Wolf dort unten befand. Immerhin waren sie jetzt in der Überzahl, obwohl einige der Leute im Helikopter meinten, dass das umso schlimmer wäre. Jedenfalls konnten sie aus dem Helikopter eine Strickleiter mit einem Gurtgeschirr herablassen, und zwar von ziemlich weit oben, wenn auch nicht weit genug, um den Wolf nicht in Angst und Schrecken zu versetzen – das erkannte Wahram beim Runterschauen deutlich. Die zweite Person kam zuerst die Leiter hoch und wurde am Fuß des Pingos abgesetzt; dann folgte Swan. Ihre Augen waren gerötet, und sie sah völlig erledigt aus, aber sie winkte Wahram zu und bedeutete ihm, dass sie die Leiter noch einmal herunterlassen sollten. Wahram bezweifelte, dass der Wolf in der Lage sein würde, mit ihrer Hilfe aus dem Loch zu entkommen. Aber die Pilotin senkte sie trotzdem herab und flog, nachdem sie sich per Funk mit den Leuten am Boden beratschlagt hatte, ein Stück zur Seite, sodass die Leiter an der Wand auflag. Selbst das schien in Wahrams Augen nicht auszureichen, weshalb er erschreckt zusammenzuckte, als der Wolf tatsächlich einen Satz auf die Leiter machte und mit einem weiteren über die Kante sprang und den Hang hinabrannte.
Wahram sagte der Pilotin, dass sie ihn absetzen sollte. Sie landete auf dem Weizenfeld neben dem Pingo, wobei der Abwind der Rotoren einen Kornkreis erzeugte. Wahram stieg aus, während über ihm die Rotoren wirbelten, und rannte geduckt, bis er die Maschine ein gutes Stück hinter sich gelassen hatte. Gleich darauf erhob sie sich knatternd wieder in den Himmel.
Swan rannte auf ihn zu und nahm ihn in eine schlammverschmierte Umarmung. Nachdem er die Stöpsel aus seinen Ohren bekommen hatte, fragte er sie, wie es ihr ginge. Es ginge ihr gut, antwortete sie; es sei wunderbar gewesen, zusammen mit einem Wolf in diesem Loch zu sitzen, keiner von ihnen habe dadurch Schaden genommen, was man ja auch hätte voraussagen können, aber es sei doch schön, wenn die Theorie empirisch bestätigt wurde, in einem solchen Moment, in dem es hart auf hart ging und die Gefahr bestand, gefressen zu werden … er erkannte, dass sie ein bisschen überdreht war. Verdreckt, räumte sie ein, und hungrig, sie könne eine kleine Pause gebrauchen, bevor sie wieder an die Arbeit ginge. Wahram deutete auf den Helikopter, der nach wie vor über ihnen durch die Luft knatterte, und als sie zustimmte, bedeutete er der Pilotin, wieder herunterzukommen, sodass sie einsteigen konnten. In dem Helikopter war es zu laut zum Reden, und so warteten sie, bis sie wieder in Yellowknife waren. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und schlief trotz des Getöses lächelnd ein.
Es war zu erwarten gewesen, dass die Tiere, die ja an zehntausend verschiedenen Orten abgeworfen worden waren, hier und da auf Widerstand treffen würden; zumindest hatte man das angenommen, auch wenn es keine sicheren Vorhersagen gab. Jedenfalls arbeiteten sie, als hätten sie nur wenige Tage, an denen sie unbehelligt bleiben würden. Mit Helikoptern eilten sie von da nach dort und setzten sonnengetriebene Traktoren ab, welche Saatmaschinen hinter sich herzogen, die wie landwirtschaftliche Geräte von uralten Fotos aussahen. Einige davon pflanzten sechzig zwei Meter hohe Bäume pro Stunde, bis ihre Vorräte erschöpft waren. Insofern beinhaltete die Reanimation auch eine botanische Komponente, und die Traktoren ließen sich nur schwer aufhalten. Nur wenige Menschen unternahmen überhaupt den Versuch.
Trotzdem gab es Zwischenfälle, und beim Essen in Yellowknife gingen sie die Geschichten durch, die von überall auf der Welt eintrafen. Es gab alles von Lobpreisungen bis zu schwerem Geschützfeuer; man bejubelte und verurteilte sie, und alles dazwischen gab es auch, aus jeder erdenklichen Richtung, einschließlich des UN-Sicherheitsrats, der zu einer Notfallsitzung zusammengetreten war und trotzdem zu keinem Ergebnis gekommen war. Überall in Südostasien gab es wieder Orang-Utans, in allen möglichen Mündungsgebieten Flussdelfine, in Indien und Sibirien und auf Java Tiger, und die Grizzlybären waren wieder in ihren alten Jagdgründen in Nordamerika anzutreffen … War das etwa nicht die Invasion von Außerirdischen, vor der man sich seit Jahrhunderten fürchtete? Niemand hatte es gestattet; es störte das öffentliche Leben; unter den Tieren gab es Fleischfresser, die Menschen umbringen konnten; das konnte doch unmöglich gut sein! In jedem Fall war es verwirrend. Und Macht war immer gefährlich, wenn sie in den Händen von verwirrten Menschen lag.