Aber zugleich nahmen die terranischen Nachrichtensendungen zur Kenntnis, dass die Tiere immer in ihren ursprünglichen Lebensräumen landeten, gegebenenfalls leicht verschoben, wo die Klimaveränderungen seit ihrem Verschwinden es nötig machten; und dass es sich bei ihnen zwar nicht um gentechnisch veränderte Organismen handelte, dass die Zuchtbemühungen in den Terrarien allerdings eine größere genetische Vielfalt an Tieren erzeugt hatte, als es bei den verbliebenen Erdpopulationen der Fall gewesen war. Der letztere Hinweis gehörte zu Wahrams Werbe-Informationspaket, weshalb er sich besonders darüber freute, dass die Medien ihn aufgriffen. Darüber hinaus wurde in den Berichten erwähnt, dass die Tiere größtenteils in Naturschutzgebieten niedergegangen waren, und in Hügel-, Wüsten- und Weideland und ähnlichen Bereichen, in denen die Menschheit geringe Spuren hinterlassen hatte – niemals in Städten, und in nur ein oder zwei Fällen in Dörfern. Ein kolumbianisches Dorf, das eine Luftinvasion von Faultieren und Jaguaren erlitten hatte, hatte sich bereits in Macondo umbenannt und würde die Sache ganz offensichtlich gut überstehen.
Swan schlief ein bisschen auf einem Sofa in ihrem improvisierten Konferenzzentrum. Wahram stellte fest, dass er sich nicht wohlfühlte, wenn er sie aus den Augen ließ. Sie verhielt sich ihm gegenüber nach wie vor ziemlich liebevoll. Ihre Nacht mit dem Wolf hatte sie in eine Art Verzückung versetzt. Sie schlief mit dem Kopf auf seinem Bein. Die Arme wirkte noch immer völlig ausgemergelt, ein bisschen wie in dem Tunnel.
»Ich will wieder raus«, sagte sie, als sie erwachte. »Komm mit mir. Ich möchte wieder den Karibus folgen, und sie brauchen Treiber. Vielleicht sehe ich ja auch meinen Wolf wieder.«
»In Ordnung.«
Er kümmerte sich um alles, und am nächsten Morgen gesellten sie sich zu den anderen, die an jenem Tag Richtung Norden unterwegs waren, und flogen in die frostdampfige Morgendämmerung. »Sieh«, sagte Swan, als die Sonne über den entfernten Horizont stieg, und beugte sich über ihn, um sie direkt anzusehen.
»Hier kann man sich auch die Augen verbrennen«, sagte er. »Du kannst dir selbst auf dem Saturn die Augen verbrennen.«
»Ich weiß, ich weiß. Ich schaue hin, ohne hinzuschauen.«
Das neue Licht des Tages zersplitterte auf den zahllosen Wasserpfützen, die über das Land verteilt waren. In der Nähe des Thelon River landeten sie und stiegen aus. Der Helikopter flog surrend davon, und mit einem Mal standen sie auf der weiten, windigen Tundra und gingen über abwechselnd knirschenden und matschigen Boden, der in mancher Hinsicht an den Eisboden des Titan erinnerte. Wahram stellte die Stützfunktion seines Leibhalters stärker ein und versuchte, sich an die Nachgiebigkeit des durchweichten Untergrunds zu gewöhnen. Für eine Weile kam er sich vor wie in einem Waldo, während er über den halbgefrorenen Karibupfad lief, und angesichts seines Leibhalters war der Vergleich auch durchaus zutreffend.
Er straffte sich und blickte sich um. Vom Wasser reflektierte Sonnenlichtflocken tanzten durch seinen Kopf, sodass er die Polarisierung seiner Brillengläser anpassen musste. Swan nahm ihre Brille immer wieder ab, um sich mit bloßem Auge umzusehen; manchmal begann sie zu taumeln, und die Tränen gefroren ihr auf den gesprungenen roten Wangen, aber sie lachte oder stöhnte orgasmisch. Wahram probierte es nur ein einziges Mal.
»Du wirst blind werden«, sagte er zu ihr.
»Das hat man früher dauernd gemacht! Früher haben die Leute ohne Brillen gelebt!«
»Ich glaube, die Inuit haben ihre Augen geschützt«, maulte er. »Mit Lederstreifen oder so. Wie dem auch sei, damals musste man das eben einfach ertragen. Das Leben hier oben hat dem Menschen schwer zu schaffen gemacht. Ihr eigener, rauer Planet hat sie daran gehindert, ihr Menschsein voll auszuleben.«
Sie johlte und warf einen Schneeball auf ihn. »Was du für ein Lügner bist! Wir sind Blasen aus Erde! Blasen aus Erde!«
»Ja, ja«, erwiderte er. »Mit den Vögeln aufstehen in Candleford. Uns hat man das auch beigebracht. ›Wenn sie allein auf den Feldern waren und niemand sie sah, hüpften, tanzten und sprangen sie umher, wobei sie versuchten, so wenig wie möglich den Boden zu berühren und riefen: ‚Wir sind Blasen aus Erde! Blasen aus Erde! Blasen aus Erde!‘‹«
»Genau! Man hat dich als Unitarier großgezogen?«
»Hat man uns das nicht alle? Aber nein, ich habe es bei Crowley gelesen. Und ich kann bei dieser Schwerkraft nicht hüpfen, tanzen und springen. Ich würde stolpern und stürzen.«
»Ach komm schon, stell dich nicht so an.« Sie musterte ihn. »Du wiegst hier sicher eine Menge. Aber du bist schon lange hier, eigentlich solltest du dich inzwischen daran gewöhnt haben.«
»Ich muss zugeben, dass ich nicht besonders viel zu Fuß unterwegs war. Meine Arbeit war eher gemütlich.«
»Die Neuerschaffung von Florida war gemütlich? Dann ist es ja gut, dass wir dich hier draußen haben.«
Sie war glücklich. Auch Wahram stapfte halbwegs zufrieden einher; er hatte die Auswirkungen der Schwerkraft übertrieben, um sie zu ärgern. Die kalte Luft und das Sonnenlicht verliehen dem Tag etwas Kristallenes. »Es ist gut«, gab er zu.
Und so gingen sie am Südrand der Karibuspur Richtung Osten, wobei Swan Sender hinterließ, Spuren fotografierte und Boden- und Kotproben nahm. Am Abend versammelten sie sich mit den anderen Spurenlesern in einem großen Esszelt, das täglich an anderer Stelle neu aufgeschlagen wurde. In den kurzen Nächten lagen sie im selben Zelt auf ihren Feldbetten und schliefen ein paar Stunden, bevor sie frühstückten und sich erneut auf den Weg machten. Nach dem dritten Tag auf Wanderschaft mussten sie sich mit den per Helikopter eintreffenden kanadischen Mounties herumschlagen, die sie festnahmen und nach Ottawa flogen.
»Das geht doch nicht!«, schrie Swan, während sie zusah, wie das Land sich unter ihnen entfaltete. »Wir waren doch nicht mal in Kanada.«
»Genau genommen waren wir das schon.«
Die riesigen Weizenfelder sahen mittags ganz anders aus als am Morgen, als sie losgegangen waren. »Jetzt schau dir das an!«, rief Swan einmal und deutete verächtlich hinab. »Das sieht aus wie wuchernde Algen auf einem Teich.«
Als man sie in Ottawa aus dem Polizeigewahrsam entließ, ging Swan mit Wahram zum Merkur-Haus, damit sie sich waschen und mehr über die Vorgänge in Erfahrung bringen konnten. Nach wie vor wurde überall über die Reanimierung berichtet. Es gab viel zu viel zu erzählen, weil alle Menschen gleichzeitig ihre Geschichten zum Besten geben wollten; wie immer also, nur extremer. Swan und Wahram fiel es deshalb auch schwer, ihre eigene Geschichte aufzutreiben – und insbesondere herauszufinden, warum man sie festgenommen hatte. Die Mounties hatten sie, ohne Anklage zu erheben, laufen gelassen, und niemand in Ottawa schien die geringste Ahnung zu haben, warum man sie überhaupt festgenommen hatte.
Die Nachrichten waren bereits gebündelt abrufbar, man konnte die Bilder alphabetisch nach Tierart oder Gebiet oder mehreren anderen Kategorien anordnen lassen – schlechteste Landung, schöne oder lustige Tierverhaltensweisen, menschliche Grausamkeiten gegen Tiere, Tieraggression gegen Menschen und so weiter. Beim Essen schauten sie auf die Monitore im Speisesaal und gingen anschließend die engen Straßen am schwärzlichen Fluss und am Kanalsystem entlang, wobei sie hier und da in einer Kneipe haltmachten, um etwas zu trinken und die neuesten Nachrichten zu sehen. Schon bald fing die betrunkene Swan Streitereien mit anderen Gästen an. Sie machte kein Geheimnis daraus, dass sie eine Raumerin war, was auch schwer gewesen wäre, angesichts ihres Aussehens und ihrer eleganten, aber gekünstelten Leibhalter-Bewegungen. Wahram hatte das Gefühl, dass die Leute mit einer Spur Angst im Blick zu ihr aufschauten. »Eine Runde auf das Merkur-Haus, da komme ich her«, verkündete sie, wenn die Leute kiebig wurden, was natürlich half, aber das Problem nicht vollständig löste.