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Der Verlust von Dione im selben Jahr war jedoch keiner, von dem sich behaupten ließ, dass den Saturnianern dadurch irgendwie geholfen gewesen wäre. Im Anschluss an den Vorfall erklärte die Saturn-Liga, dass die Marsianer keinen Zutritt mehr zu ihrem System hätten, ebenso wenig die Terraner (insbesondere die Chinesen) – dass genau genommen niemand außer den Saturnianern selbst hier willkommen sei. Es handelte sich um die erste post-marsianische Revolution, die sich gegen die großen Revolutionäre selbst richtete und der mit der Drohung eines Bombardements Nachdruck verliehen wurde. Einmal mehr änderte sich alles, aufgrund einiger weniger Menschen auf dem Titan.

Das neue Licht von den Vulkanoiden, das nun am Himmel des Titan funkelte, hatte bereits begonnen, die verbleibende Atmosphäre aufzuheizen, weshalb die Oberfläche schneller sublimierte als zuvor. Die Stadtzelte in den Hochlanden erlebten einige der heftigsten Stürme überhaupt. Aus dem Innern der Zelte schauten die Titanen dabei zu, wie die Wolken sich bis zu einer Höhe von fünf Kilometern auftürmten, wo schnelle Luftströmungen sie kappten. Zuvor hatte die Menge an Sonnenlicht, die den Titan erreichte, einem Hundertstel von dem auf der Erde entsprochen, wodurch der ganze Mond etwa so gut ausgeleuchtet war wie ein normales Wohnzimmer; jetzt, wo so viel reflektiertes und herübergesandtes Licht hinzukam, war der Titan fünfzigmal so hell wie zuvor, und die Lichtverhältnisse ähnelten anscheinend denen auf dem Mars, die nach Meinung der Marsianer ideal waren. Eigentlich konnte sich das menschliche Auge auf höchst unterschiedliche Lichtstärken einstellen, schon sehr wenig Licht genügte, um sehen zu können – wie es vor dem Eintreffen des gespiegelten Lichts auf dem Titan der Fall gewesen war. Doch jetzt schien die titanische Landschaft förmlich zu erstrahlen, und da sowohl die Umlaufbahn um den Saturn als auch die Eigenrotation des Titan eine Länge von sechzehn Tagen hatte, erfüllten die Sonnenuntergänge den Himmel manchmal für bis zu achtzehn Stunden und tränkten die Wolken in allen nur denkbaren Farben.

Sie konnten das Methan und Ethan einfangen und exportieren; aus geschäumtem Gestein Inseln auf dem Eis errichten; die Atmosphäre mithilfe der Wärme des Ozeans unter der Eisschicht erhitzen; Eis schmelzen und damit Seen auf ihren Inseln aus Stein und Erde etablieren; die Landschaft auf den Inseln gestalten, Bakterien, Pflanzen und Tiere einführen; die Luft so weit erwärmen, dass geschmolzene Seen auf den Gletscherflächen entstehen würden; die Atmosphäre in einer superdünnen Blase einfangen; und all das mit dem Sonnenlicht erhellen, das man ihnen von den Vulkanoiden schickte. Gespannt und voller Erwartungen spähten die Titanen in ihren Zelten nach draußen. Nicht übel, sagten sie. Wenn wir nur die Nerven behalten, dann können wir hier wirklich ein hübsches Plätzchen draus machen.

Swan und Genette und Wahram

Es war während einem der berühmten titanischen Sonnenuntergänge, als Swan Wahram erblickte, der ihr und Genette auf der Empore entgegenkam, um sie zu begrüßen. Sie rannte auf ihn zu und schloss ihn in die Arme. Dann löste sie sich von ihm und sah ihn an, plötzlich befangen. Aber dann zeigte er sein kleines Lächeln, und sie wusste, alles war gut zwischen ihnen. Trennung ließ die Zuneigung wachsen – insbesondere, wenn man von ihr getrennt war, dachte Swan.

»Willkommen bei unserem laufenden Projekt«, sagte er. »Ihr seht ja, wie sehr das Vulkanoiden-Licht uns hilft.«

»Es ist wunderschön«, sagte sie. »Aber spendet es genug Wärme für euch? Könnt ihr damit Temperaturen erzeugen, die für Biosphären geeignet sind? Müsste es dazu nicht beinahe 200 Grad Kelvin wärmer sein?«

»Durch das Licht allein ist das nicht möglich. Aber wir haben einen unterirdischen Ozean mit einer Durchschnittstemperatur von etwa 280 Grad Kelvin, weshalb Wärme an und für sich kein Problem ist. Einen Teil dieser Wärme werden wir nach draußen an unsere Luft bringen. Zusammen mit dem zusätzlichen Licht ist das dann sogar mehr als genug. Wir werden Probleme mit der Gasmischung bekommen, aber die können wir lösen.«

»Das freut mich für euch.« Sie blickte zu den gewaltigen, orange-, lachs- und bronzefarben flackernden Wolkentürmen über dem Zelt empor. Darüber glitzerten strahlende Lichter in einem königsblauen Himmel, die größer und heller waren als Sterne: Sie vermutete, dass es sich um einige der lichtsammelnden Solettas handelte, die die Strahlen von den Vulkanoiden auf Titans Nachtseite lenkten. Die riesigen Wolkenmassen, die auf der einen Seite von der Sonne angestrahlt wurden und auf der anderen von Spiegeln, sahen aus wie Marmorskulpturen. Man hatte ihr gesagt, dass der Sonnenuntergang etwa zwei Tage dauern würde.

»Wunderschön«, sagte Swan.

»Danke«, antwortete Wahram. »Dies hier ist meine wirkliche Heimat, ob du es glaubst oder nicht. Jetzt lass uns einen Spaziergang mit Genette machen. Wir möchten vertraulich mit dir reden.«

»Sind alle anderen da?«, fragte Genette, als sie sich näherten.

Wahram nickte. »Kommt mit.«

Die drei zogen sich Raumanzüge an und verließen die Raumhafenstadt namens Shangri-La durch ein Tor an der Nordseite des Zelts. Ein paar Kilometer gingen sie auf einem breiten Weg Richtung Norden, der eine sacht ansteigende Eisebene emporführte und an einem Aussichtspunkt endete. Hier markierte ein weiter, gekachelter Bereich eine Art Versammlungsplatz unter freiem Himmel, von dem aus man einen Blick über einen Ethansee hatte. In dem metallisch glänzenden See spiegelten sich die Wolken und der Himmel, sodass er wie ein atemberaubend buntes Tableau vor ihnen lag, golden und rosa, kirsch- und bronzefarben, jeder Ton für sich wie in einem fauvistischen Gemälde. Die Natur scheute sich wahrhaftig nicht, die ganze Farbpalette auszunutzen. Dort, wo sich die neuen Spiegel selbst in der Oberfläche des Sees spiegelten, sah es aus, als schwämmen Silberbrocken in flüssigem Kupfer und Kobalt. Echtes Sonnenlicht und gespiegeltes Sonnenlicht überlagerten einander und erzeugten das Bild einer Landschaft, in der es keine Schatten oder nur ganz blasse Doppelschatten gab – in Swans Augen wirkte das sonderbar, irreal, wie ein Bühnenbild in einem Theater, das so riesig war, dass man die Wände nicht sehen konnte. Der pralle Saturn flog durch die Wolken, seine Ringe in der Seitenansicht ein weißer Riss im Himmel. Ein durchsichtiger, rechteckiger Pavillon stand an einer Ecke des Platzes. Darin befand sich ein kleineres Stoffzelt, das wie eine Jurte oder ein platter Fußball aussah. Wahram führte Swan und Genette durch die Luftschleuse des äußeren Zelts und dann in die Jurte im Innern. Dort trafen sie auf eine kleine Gruppe von Menschen, die in einem unregelmäßigen Kreis auf Kissen am Boden saßen.

Alle standen auf, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Es waren etwa zwölf bis fünfzehn Leute. Anscheinend kannten die meisten von ihnen Wahram und Genette bereits, und Swan wurde so vielen Leuten vorgestellt, dass sie sich die Namen nicht merken konnte.

Als sich alle miteinander bekannt gemacht hatten und wieder auf dem Boden saßen, wandte Wahram sich Swan zu. »Swan, wir würden uns gerne mit dir unterhalten, ohne dass Pauline dabei ist. Wir hoffen, dass du damit einverstanden bist, sie abzuschalten.«