Eine Frau, die ebenso klein war wie Inspektor Genette, stellte sich auf ihren Stuhl und sagte: »Ich bin nach wie vor nicht davon überzeugt, dass die Qubes überhaupt auf einer höheren Ebene denken, dass sie Absichten oder Emotionen haben, deren Voraussetzung ein Bewusstsein wäre. Trotz ihrer unglaublichen Rechengeschwindigkeiten operieren sie nach wie vor nach den Algorithmen, die wir ihnen eingegeben haben, oder vielleicht nach ableitbaren Folgealgorithmen. Rekursive Programmierung kann diese Algorithmen lediglich verfeinern, und sie sind einfacher Natur. Das Bewusstsein ist ein so viel komplexeres Feld. Sie können nicht von ein paar Algorithmen aus zu Bewusstsein gelangen …«
»Bist du dir da sicher?«, warf Genette ein.
Die kleine Frau legte den Kopf in genau der Weise auf die Seite, die Swan bereits bei Genette beobachtet hatte. »Ich glaube schon. Ich wüsste nicht, wie jemals eine höhere Ordnung der Komplexität aus den Algorithmen, die ihnen zur Verfügung stehen, hervorgehen sollte. Sie können sich keine Metaphern ausdenken; sie können sie kaum verstehen. Sie können keine Gesichtsausdrücke interpretieren. In Bezug auf solche Fähigkeiten ist ihnen jeder Vierjährige weit voraus, und ein erwachsener Mensch spielt einfach in einer ganz anderen Liga.«
»So hat es geheißen, als wir noch jung waren«, erwiderte Genette. »Und wichtiger noch, als die Qubes noch jung waren.«
»Aber wir haben diese Fragen auch unser ganzes Leben lang erforscht, es mit unseren eigenen Augen gesehen«, antwortete die kleine Frau mit einer gewissen Schärfe im Tonfall. »Und programmiert.«
Trotz dieser Wahrheiten wirkte keiner der Anwesenden besonders beruhigt.
»Was ist mit der Anlage, wo diese Humanoiden hergestellt werden, oder dekantiert oder was auch immer?«, fragte Wahram Genette. »Können wir die nicht stilllegen?«
»Wenn wir sie finden«, erwiderte Genette mürrisch.
»Könnt ihr nicht alle identifizierten Humanoiden festnehmen?«
»Ich denke schon«, antwortete Genette. »Wir haben uns ein bisschen schwer damit getan, weil Alex in dieser Angelegenheit eine zentrale Rolle gespielt hat und wir das Netzwerk ziemlich auf den Kopf stellen mussten, um unser Team wieder zusammenzubringen. Aber es ist uns gelungen, und das Team hat sich um die von ihr hinterlassene Lücke herum zusammengefunden. Wir haben wie gesagt etwa vierhundert von diesen Dingern identifiziert und verfolgen ihre Bewegungen. Und wir haben das System sorgfältig genug abgesucht, um davon auszugehen, dass sich in den menschlichen Ansiedelungen, zu denen wir Zugang haben, keine weiteren verstecken. Bei den Blockfreien kann ich mir nicht sicher sein, aber wir suchen überall. Dabei achten wir darauf, den von uns überwachten Humanoiden nicht zu nahe zu kommen, und sie scheinen auch tatsächlich nicht zu wissen, dass wir sie im Auge behalten. Nur wenige von ihnen verhalten sich so sonderbar wie die drei in der Inneren Mongolei oder wie der, der auf Io verbrannt ist. Eher versuchen sie, in der Masse unterzutauchen. Ich weiß nicht, wie ich das interpretieren soll. Es ist, als würden sie auf etwas warten. Ich habe das Gefühl, dass wir nur einen Teil des Ganzen sehen, weshalb ich so bald wie möglich handeln möchte, anstatt noch länger zu warten. Trotzdem wäre es schön, wenn wir wüssten, dass wir die Gesamtsituation verstehen, bevor wir etwas unternehmen.«
Genette war beim Reden auf dem Tisch auf und ab gegangen und blieb nun vor Swan stehen, wie um insbesondere an sie zu appellieren. »Diese Organismen, diese Qube-Menschen, existieren. Und in mancherlei Hinsicht würde ich ihre bisherigen Verhaltensmuster nicht unbedingt als vernünftig bezeichnen. Einige von ihnen haben uns angegriffen, und wir wissen nicht, warum.«
Nach kurzem Schweigen fügte Wahram hinzu: »Wir müssen also handeln.«
Listen (15)
Gesundheit, Sozialleben, Arbeit, Haus, Partner, Finanzen; Freizeitgestaltung, freie Zeit; Arbeitszeit, Ausbildung, Einkommen, Kinder; Nahrung, Wasser, Dach über dem Kopf, Kleidung, Sex, medizinische Versorgung; körperliche Unversehrtheit, soziale Sicherheit, sichere Arbeitsplätze, Ersparnisse, Versicherung, Schutz bei Arbeitsunfähigkeit, Elternzeit, Ferien; Kündigungsschutz, Gemeingüter; Zugang zur Wildnis, Berge, Meer; Frieden, politische Stabilität, politisches Mitspracherecht, politische Zufriedenheit; Luft, Wasser, Selbstwertgefühl; Status, Anerkennung; Zuhause, Gemeinde, Nachbarn, Zivilgesellschaft, Sport, Kunst; Langlebigkeitsbehandlungen, Geschlechterwahl; die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen
das ist alles, was man braucht
Mobile eidgenössische technische Hochschule
Der Raumkreuzer ETH Mobile war kein ausgehöhlter Asteroid, sondern vielmehr eines der sehr großen Schiffe, die man im vorangegangenen Jahrhundert in der Mondumlaufbahn gebaut hatte. Diese Konstruktionen aus Glasmetallen, Biokeramik, Aerogelen und gefrorenem und flüssigem Wasser waren von Schweizer Universitäten und Technologie-Partnern hergestellt worden, die sie auch weiterhin betrieben. Diese Kreuzer waren ungeheuer schnell; regelmäßige kleine Fusionsexplosionen hinter einer Prallplatte am Heck des Schiffes erzeugten eine Beschleunigung von einem Gequivalent. Diese starke Beschleunigung wurde normalerweise die ganze erste Hälfte der Reise über aufrechterhalten. Dann war das Schiff so schnell, dass es sich umdrehen und im gleichen Tempo abbremsen musste. Doch selbst wenn man die halbe Reise lang bremste, war die Durchschnittsgeschwindigkeit so hoch, dass man im gesamten Sonnensystem recht schnell von einem Ort zum anderen gelangte, und je länger die Reise, desto größer wurden die Höchstgeschwindigkeiten, weshalb Strecke und Reisedauer nicht in einem linearen Verhältnis standen: Von der Erde zum Merkur brauchte man dreieinhalb Tage; vom Saturn zum Merkur elf Tage; quer durch die Umlaufbahn des Neptun (»einmal durchs Sonnensystem«) sechzehn Tage.
Die Einrichtung der ETH Mobile war von typisch schweizerischer Eleganz, unaufdringlich und erlesen, und erinnerte an die Ozeankreuzer des klassischen Zeitalters, wenn sie auch ein ganz neues Reich menschlicher Annehmlichkeiten erschlossen: Die Böden waren warm, die Luft duftete würzig, und Essen und Getränke boten einen Höhepunkt nach dem anderen. Auf zahlreichen Decks gab es Fensterwände, die vom Boden bis zur Decke reichten und eine spektakuläre Aussicht auf die Sterne und die nahen Himmelskörper boten. Der Kreuzer konnte etwa zehntausend Personen aufnehmen, ohne dass es ihnen dabei an Annehmlichkeiten gefehlt hätte. Bei der Gestaltung des Hotelbereichs hatte man so unterschiedliche Elemente wie große Metallplatten, bunte Stempelmuster und Tapeten mit William-Morris-Ornamenten eingesetzt. Ein besonders hohes Deck des Schiffs bestand einzig und allein aus einem Park, einem Arboretum, dessen subtropischer Laubwald Teile verschiedener südamerikanischer Biome umfasste, mit Tieren, die ein paar Momente der Schwerelosigkeit ohne allzu großes Verletzungsrisiko überstehen konnten. Was die Tiere von diesen Augenblicken der Umkehr hielten, in denen 0 g herrschte, war ein Thema, zu dem man viel forschte und kaum etwas wusste. Offenbar blieb ihr Leben davon weitgehend unbeeinflusst. Faultiere schienen es nicht einmal zu bemerken. Affen, Jaguare und Tapire schwebten schnatternd und jaulend empor, Kojoten heulten mit der für sie üblichen Hingabe; und dann schwebten sie nach einem kurzen Moment im freien Fall allesamt wieder sanft zu Boden. Währenddessen wachten die Faultiere, die an ihren Ästen hingen – nach unten, zur Seite und dann wieder nach unten, wobei sie gelegentlich eine volle Drehung vollführten –, nicht einmal auf. Darin waren sie gewissen Menschen nicht unähnlich.
Swan und Pauline und Wahram und Genette
Swan verbrachte den Morgen immer in dem kleinen Nebelwald der ETH Mobile. Wahram und Genette befanden sich mit ihr an Bord des Schiffs, auf dem schnellsten Weg zur Venus, wo Genette einer Sache nachgehen würde, die Interplan als rückwärtige Konvergenz ungewöhnlicher Qube-Aktivitäten bezeichnete. Swan und Wahram hatten benachbarte Zimmer, und Swan stahl sich jeden Abend zu ihm hinüber. Trotzdem fühlte sie sich unbehaglich.