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»Wir können nur unser Bestes versuchen«, sagte er. »Das muss doch etwas wert sein.«

»Ja, natürlich.« Swan schaffte es gerade so, nicht loszulachen. Sie spürte, wie sich ein Lächeln auf ihren Lippen breitmachte; wahrscheinlich würde sie gleich losweinen. Wie kaputt war sie eigentlich im Kopf, wenn sie immer alles auf einmal verspürte, wenn jede Freude von Kummer durchtränkt war? Waren in jedem Gefühl auch immer alle anderen mit enthalten? »Alles klar«, sagte sie, »wir versuchen unser Bestes. Aber wenn irgendwelche Verrückten Terminator zerstören können, oder jeden beliebigen anderen Ort, dann sollte das ja wohl Grund genug sein, um etwas zu ändern.«

Über diese Worte dachte Wahram so lange nach, dass es aussah, als wäre er eingeschlafen.

Sie versetzte ihm einen Stoß, und er warf ihr einen Blick zu. »Was denn?«

»Was denn!«, rief sie.

Er zuckte nur mit den Schultern. »Dann versuchen wir eben, sie aufzuhalten. Wir versuchen, mit der Situation, in der wir uns befinden, klarzukommen.«

»Damit klarzukommen«, sagte sie mit finsterer Miene. »Komm halt damit klar!«

Er nickte und bedachte sie mit einem liebevollen Blick. Sie stand kurz davor, ihm einen weiteren Stoß zu versetzen; aber dann fiel ihr wieder ein, dass sie ihn eben noch ausgelacht hatte; und dass sie durch ihr Gespräch mit Pauline ihr Versprechen ihm gegenüber gebrochen hatte. Diese überstürzte Handlung, so sehr sie ihm auch missfallen hätte, war vielleicht ihr eigener Versuch, mit der Situation klarzukommen. Vielleicht konnte sie sich damit rausreden, falls er sie ertappte. Auf jeden Fall war die Sache ein bisschen zu kompliziert, um ihm jetzt einfach einen Stoß zu versetzen.

Man hatte die ETH Mobile zum Abbremsen umgedreht, und es würde nur noch einige wenige Tage dauern, bis sie die Sonnenumlaufbahn der Erde passieren und sich der Venus nähern würden. Ihr Leben an Bord dieses Schiffes, mit seinem Park und seiner Musik und seiner französischen Küche, würde sein Ende finden. Niemand tut etwas bewusst zum letzten Mal, ohne dabei ein wenig traurig zu sein, hatte Dr. Johnson einmal Boswell gegenüber bemerkt, und auf Swan traf diese Aussage jedenfalls zu. Sie sehnte sich oft danach, in der Gegenwart zu verweilen, weil sie merkte, dass ihr Leben schneller an ihr vorbeirauschte, als sie es aufnehmen konnte. Sie lebte es, sie spürte es; sie machte keine Zugeständnisse an ihr Alter, sie wollte nach wie vor alles; aber sie konnte es nicht zu einem Ganzen zusammenfügen, sodass eins ins andere griff. Da saßen sie und aßen auf dem obersten Balkon eines Restaurants, von dem aus man auf die Baumwipfel hinabblicken konnte, zu Mittag, und Swan war traurig, weil sie später nicht mehr hier sein würde. Eine Welt ging verloren, eine Welt, an die sich niemand erinnern würde. Und da saß sie nun mit Wahram, als ein Paar; aber was war, wenn sie dieses Raumschiff verließen und ihre Wege durch Raum und Zeit fortsetzen? Was würde in einem Jahr sein, was in den vielen Jahrzehnten, die vielleicht noch folgen würden?

Ein paar Tage später näherten sie sich der Venus, als Pauline sich in ihrem Ohr zu Wort meldete. »Swan, ich habe mich mit Wangs Qube in Verbindung gesetzt, und mit der KI dieses Schiffs, und ich muss dir etwas mitteilen. Vielleicht möchtest du lieber allein sein, während du es dir anhörst.«

Das war so ungewöhnlich, dass Swan sich entschuldigte und schnell auf eine Toilette ein Deck tiefer ging. »Was ist?«

Pauline antwortete: »Wangs Qube und einige andere, die sich mit Sicherheitsproblemen befassen, haben ein System entwickelt, mit dem sich vielleicht der Grenzwert für die Erfassung von Steinchenattacken wie die auf Terminators Schienen herabsetzen lässt.«

»Wie geht das?«

»Sie haben ein Netzwerk von Mikroobservatorien hergestellt und auf der Ebene der Ekliptik verteilt, von der Umlaufbahn des Saturn bis zur Sonne. Unter Verwendung der Gravitations- und Radardaten dieser Observatorien haben sie den Grenzwert auf die Größe der Steinchen gesenkt, die man auf Terminator abgeschossen hat, und sogar noch etwas darunter. Wangs Qube hat jetzt eine ständig aktualisierte Karte von allem, was sich auf der Ebene der Ekliptik befindet und einen Durchmesser von mehr als einem Zentimeter hat.«

»Puh«, sagte Swan. »Ich wusste nicht, dass so etwas möglich ist.«

»Niemand wusste das, aber bis vor Kurzem hat es auch noch niemand versucht. Man hat keinen Bedarf dafür gesehen. Auf jeden Fall hat das System eine bereits laufende Attacke entdeckt.«

»O nein!«, sagte Swan. »Worauf?«

»Auf den Sonnenschild der Venus.«

»O nein!«

Die anderen Personen auf der Toilette fingen langsam an, ihr komische Blicke zuzuwerfen. Sie trat auf den Flur hinaus und hätte instinktiv beinahe den Aufzug hinunter zum Park genommen. Aber sie hatte Wahram ja am Restauranttisch zurückgelassen, und außerdem konnte sie vor dieser Sache nicht davonlaufen. »Verdammt«, sagte sie. »Ich muss es Wahram sagen.«

»Ja.«

»Wie viel Zeit bleibt uns bis zu dem Einschlag?«

»Ungefähr fünf Stunden.«

»Verdammt noch mal.« Swan dachte an die Venus – die Trockeneismeere unter der Felsdecke, die Städte an den Küsten und in den Kratern. Sie rannte die Treppe wieder hoch zu dem Restaurant bei den Bildfenstern und setzte sich Wahram gegenüber hin. Er musterte sie neugierig. Ihm war nicht entgangen, wie verstört sie war.

»Also gut, ich muss dir erst einmal etwas gestehen«, sagte Swan. »Ich habe Pauline von dem Problem mit den seltsamen Qubes erzählt, weil ich wissen wollte, was sie davon hält, und ich dachte mir, dass sie in mir drin von der Außenwelt abgeschnitten ist und das schon in Ordnung sein würde.« Er riss erschreckt die Augen auf, und sofort hob sie die Hand, um ihm das Wort abzuschneiden. »Tut mir leid, ich hätte dich wohl fragen sollen, aber jetzt ist es passiert, und Pauline hat sich inzwischen mit Wangs Qube in Verbindung gesetzt, und der hat ihr gesagt, dass es ein neues Qube-Sicherheitssystem mit einem niedrigeren Grenzwert der Messungen gibt. Und das hat eine neue Steinchenattacke gemeldet, die sich gerade zusammenzieht und die sich gegen den Sonnenschild der Venus richtet.«

»Scheiße«, sagte Wahram. Er schluckte schwer und starrte sie glupschäugiger denn je an. »Pauline, stimmt das?«

»Ja«, antwortete Pauline.

»Wie lange dauert es noch, bis diese Steinchen ihr Ziel erreichen?«

Pauline sagte: »Noch knapp fünf Stunden.«

»Fünf Stunden!«, entfuhr es Wahram. »Warum erfahren wir das denn erst so kurz vorher!«

»Der Angriff zieht sich so zusammen, dass er den Sonnenschild von der Seite treffen wird, weshalb die meisten der Steinchen sich bis vor Kurzem außerhalb der Ebene der Ekliptik befunden haben. Außerhalb der Ebene sind bislang noch keine der neuen Detektoren verteilt, weshalb die Steinchen erst jetzt zu sehen sind. Wangs Qube wollte gerade eben Wang warnen.«

»Kannst du dein Datenmaterial in einem 3D-Modell anzeigen?«, fragte Wahram. Swan legte die rechte Hand auf den Tischbildschirm, und auf der Oberfläche des Tischs erschien ein leuchtendes Abbild des Sonnenschilds der Venus – eine große, kreisförmige Scheibe, die sich um die Achse in ihrer Mitte drehte, ein bisschen wie die Ringe des Saturn um den Planeten. Rote Linien zeigten die Steinchen, die aus vielen verschiedenen Richtungen kamen und wie Magnetfeldlinien auf einen gemeinsamen Pol zuliefen. Zusammengenommen würden die Steinchen die dünnen, konzentrischen Schildplatten durchschlagen, und wenn die Zusammenballung groß genug war, würden sie sogar die Achse erreichen und das Kontrollsystem zerstören. Die Überreste der riesigen Konstruktion würden wie ein Feuerrad durch die Nacht davontrudeln, spiegelnde Banner, die im schwarzen Vakuum flatterten und sich verknoteten. Und die Venus würde gebraten werden.