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Als sie sich Yggdrasil näherten, stellte Swan fest, dass es sich um einen weiteren Kartoffelasteroiden handelte, der diesmal dunkel war und sich nicht drehte. »Es ist verlassen«, erklärte Genette. »Eine kalte Hülle.«

In der Luftschleuse des Hoppers schwebte Swan mit einer eleganten kleinen Plié-Figur zum Anzughalter, stieg in einen Raumanzug und folgte Genette und mehreren Interplan-Ermittlern zur Luftschleuse hinaus in die Leere.

Yggdrasil war eine ganz gewöhnliche Innenwelt von vielleicht dreißig Kilometern Länge gewesen. Sie drangen durch ein großes Loch im Heck ein; dort hatte man den Antrieb entfernt. Langsam flogen sie hinein und hielten sich mit ihren Anzugdüsen aufrecht. Wie sie so Seite an Seite flogen, sahen sie aus wie die umgekehrte Version jener Pharaonenstatuen, bei denen die Schwester-Frau des Monarchen so dargestellt ist, dass sie ihm nur bis zu den Knien geht.

Im Innern des Terrariums kamen sie zum Stillstand. Abgesehen von den entfernten Reflexionen des Lichts ihrer Helmlampen herrschte absolute Finsternis. Swan war schon in vielen Terrarien gewesen, die sich noch im Bau befunden hatten, aber das hier war etwas anderes. Genette warf eine helle Lampe nach vorne und aktivierte kurz eine Düse, um den Rückstoß des Wurfes auszugleichen. Das winzige Licht trieb durch den leeren Raum vor ihnen und ließ die Wände des Zylinders deutlich hervortreten.

Swan blickte sich um, und die Bewegung versetzte sie in eine leichte Drehung. Hier war es so düster, so verlassen. Eine emotionale Aufwallung brachte sie ins Trudeln. Vielleicht lag es am Schicksal ihrer armen Heimat Terminator: Sie drückte sich die Faust ans Visier und hörte sich selbst Wehklagen.

»Ja«, sagte die kleine, silberne Gestalt, die neben ihr schwebte. »Hier ist es zu einem Druckverlust gekommen, ohne Vorwarnung. Yggdrasil war ein ganz gewöhnliches Konglomerat aus Chondrit und Wasser-Eis. Bei den Ermittlungen über den Unfall kam heraus, dass ein kleiner Meteorit zufällig eine unentdeckt gebliebene Nahtstelle in der Zylinderwand getroffen und vaporisiert hat, worauf es zu einem katastrophalen Druckverlust im Innern kam. Es war nicht das erste Mal, dass so etwas geschehen ist, aber in diesem Fall war der Asteroid als A++ eingestuft worden. In den bisherigen Fällen, bei denen es zu Rissen kam, waren die Asteroiden als B oder C eingestuft gewesen, und man hat sie leichtsinnigerweise besiedelt. Ich habe mir also einige ältere Unfälle angesehen und dabei auf bestimmte Auffälligkeiten geachtet und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich diesen Asteroiden noch einmal genauer in Augenschein nehmen muss. Vor allem von außen, aber erst wollte ich einen Blick ins Innere werfen.«

»Sind viele Menschen gestorben?«

»Ja, etwa dreitausend. Es ging sehr schnell. Einige Leute konnten sich in Gebäuden mit Schutzräumen retten und andere hatten Raumanzüge oder Luftschleusen in der Nähe. Alle übrigen Bewohner des Stadtstaats sind ums Leben gekommen. Die Überlebenden beschlossen, das Terrarium als Mahnmal leer treiben zu lassen.«

»Also ist das hier jetzt eine Art Friedhof.«

»Ja. Irgendwo hier drin gibt es eine Gedenkstätte, ich glaube, am anderen Ende. Ich möchte mir den Riss von innen ansehen.«

Genette besprach sich mit Passepartout und führte Swan dann durch den Innenraum zu einem Spazierweg an der gegenüberliegenden Zylinderseite. Das Stadtbild hier erinnerte an Paris, mit breiten Straßen zwischen trapezförmigen, fünf Stockwerken hohen Häuserblocks.

Sie schwebten über einen Bereich, in dem der Asphalt zusammengestaucht war und die Gebäude schräg standen. Es sah aus wie auf alten Erdbebenfotos von Terra. Die Stille war befremdlich.

»Warum mussten sich die Leute ein Konglomerat aushöhlen? Gibt es nicht genug Nickel-Eisen-Asteroiden in der Gegend?«, fragte Swan.

»Das sollte man meinen. Aber man hat ein paar von diesen Dingern ausgehöhlt und festgestellt, dass es ganz wunderbar funktionierte. Wenn man die Wände dick genug lässt, dann werden sie durch die Rotation und den inneren Luftdruck nicht ernsthaft beansprucht. Normalerweise müssten sie halten, und das tun sie auch. Aber der hier ist eingerissen. Ein kleiner Meteor hat ihn an genau der falschen Stelle erwischt.«

Sie schwebten über einen Bereich, in dem die heftigen Erschütterungen einige der weißen Betonplatten fortgeschleudert hatten, sodass sich ein langer Riss durchs Pflaster zog. Dahinter war das Alclass="underline" Swan sah die Sterne.

Sie ließen die verwüstete Straße hinter sich und schwebten wieder aus dem Asteroiden hinaus. Draußen bewegten sie sich mit behutsamen Hüpfern und Düsenstößen über den Fels, auf die Art, auf die man in der Mikrogravitation von Asteroiden am besten vorankommt. Swan hatte in ihrer Zeit als Terrarien-Designerin einige Zeit bei solch niedriger Schwerkraft verbracht, und wie man sah, hatte Genette die entsprechende Fortbewegungsweise perfektioniert, was bei einer Person, die hauptsächlich im Asteroidengürtel lebte, nur logisch war.

Als sie den Spalt auf der Außenseite erreichten, waren dort bereits mehrere Interplan-Mitarbeiter am Werk. Mit einigen Ballettsprüngen und einer Drehung flog Genette kopfüber abwärts und machte dabei Fotos von der Innenseite der Bruchstelle. Einige kleine Höhlungen in den Seiten untersuchte Genette auf einer Hand stehend, das Visier wenige Zentimeter vom Gestein entfernt.

»Ich glaube, ich habe alles, was ich brauche«, hieß es dann nach einer Weile.

Schwebend sahen sie den anderen beim Weiterarbeiten zu. Genette sagte: »Du hast doch einen Qube im Schädel, stimmt’s?«

»Ja. Pauline, sag Hallo zu Inspektor Genette.«

»Hallo zu Inspektor Genette.«

»Kannst du ihn abschalten?«, fragte Genette.

»Ja, natürlich. Schaltest du deinen auch ab?«

»Ja. Falls es tatsächlich das ist, was geschieht, wenn wir sie abschalten.« Durch das Visier konnte Swan Genettes ironisches Lächeln erkennen. »Alles klar. Passepartout schläft. Und Pauline?«

Auch Swan hatte den Knopf unter der Haut an ihrer rechten Halsseite gedrückt. »Ja.«

»Sehr gut. Also, jetzt können wir etwas offener miteinander reden. Sag mal, wenn dein Qube an ist, nimmt er dann alles auf, was du hörst und siehst?«

»Normalerweise schon. Natürlich.«

»Und steht er in direkter Verbindung mit irgendwelchen anderen Qubes?«

»In direkter Verbindung? Du meinst durch Quantenverschränkung?«

»Nein, nein. Angeblich macht die Dekohärenz das ja unmöglich. Ich meinte bloß Funkkontakt.«

»Tja, Pauline hat einen Funkempfänger und -sender, aber ich entscheide über Aus- und Eingang.«

»Kannst du dir da sicher sein?«

»Ja, ich glaube schon. Ich stelle die Aufgaben, und sie erfüllt sie. Ich kann all ihre Tätigkeiten anhand ihrer Logbücher überprüfen.«

Die kleine silberne Gestalt schüttelte zweifelnd den Kopf.

»Ist es bei dir nicht genauso?«, fragte Swan.

»Ich glaube schon«, antwortete Genette. »Bloß bin ich mir bei all den Qubes, bei denen es sich nicht um Passepartout handelt, unsicher.«

»Warum? Meinst du, dass Qubes etwas mit den Ereignissen hier zu tun haben könnten? Oder mit denen auf dem Merkur?«

»Ja.«

Swan starrte überrascht das neben ihr schwebende Wesen an, das wie eine große Puppe in einem Raumanzug aussah. Es machte ihr ein bisschen Angst. Die Stimme dieses Wesens erklang durch ihr Helmmikrofon in ihrem Ohr, ganz ähnlich wie die von Pauline. Ein heller, hoher Alt, angenehm und belustigt.

»Hier gibt es auf beiden Seiten der Bruchstelle eine ganze Menge kleiner Krater. Der hier zum Beispiel …« Genette streckte den Zeigefinger aus, und ein grüner Laserpunkt erschien an der Wand einer kleinen Höhlung, zeichnete ihre Kreisform in einer schnellen Bewegung nach und verharrte dann in ihrer Mitte. »Siehst du das? Und das?« Der Laserpunkt zog einen weiteren Krater nach. Alle Einschlagstellen waren sehr klein. »Die sind frisch genug, um zum selben Zeitpunkt wie der Riss aufgetreten zu sein.«