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»Aber dieser Programmierfehler, der erklären könnte, warum der Einschlag sich westlich der Stadt ereignet hat – der war menschlich.«

»Ja. Nun ja, den unterwürfigen Willen gibt es zuallererst bei den Menschen. Ein Teil von ihnen weiß, dass die Taten, die sie begehen, falsch sind, aber sie begehen sie trotzdem, weil sie einem anderen Teil ihres Selbst Erleichterung verschaffen.«

»Aber die meisten Menschen versuchen doch, Gutes zu tun«, wandte Swan ein. »Das ist doch ersichtlich.«

»Bei meiner Arbeit nicht.«

Swan betrachtete die kleine, so ordentliche und flinke Gestalt. »Das verändert wahrscheinlich die Sicht, die man auf die Dinge hat …«, sagte sie nach einer Weile.

»Allerdings. Und … man bekommt es immer wieder mit denselben Rechtfertigungen zu tun. Es ist sogar bekannt, welche Bereiche des Gehirns für diese Rechtfertigungen zuständig sind. Wie zu erwarten, liegen sie dicht bei den Regionen, die mit dem religiösen Empfinden zu tun haben. Nicht weit von den Epilepsie-Triggern und dem Gefühl für Sinnhaftigkeit. In diesen Bereichen gibt es ein wahres Feuerwerk, wenn man etwas Böses tut oder sich dafür rechtfertigt. Überleg dir mal, was das bedeutet!«

»Aber alles, was wir tun, findet irgendwo im Gehirn statt«, sagte Swan. »Es kommt nicht darauf an, wo im Gehirn.«

Genette war anderer Meinung. »Dort drin gibt es Muster. Verstärkungen. Schlimme Erlebnisse sorgen dafür, dass sich gewisse Bereiche im Gehirn stärker ausbilden. Das Gehirn baut sich so um, dass sich die schrecklichen Gefühle immer weiter hochschrauben. Worauf wieder Handeln folgt.«

»Was sollen wir denn dann machen?«, rief Swan. »Man kann keine perfekte Welt erschaffen und sich dann die anständigen Leute dazu kaufen, das ist falsch herum, das kann nicht funktionieren.«

Genette zuckte mit den Schultern. »Egal wie rum, die Sache kommt mir nicht besonders Erfolg versprechend vor.« Ein kurzes Zögern. »Es kann alles derart danebengehen. Vielleicht können wir das Leben im All nicht bewältigen. In diesen beschränkten Umgebungen. Ich habe Kinder gesehen, die man in Skinner-Boxen großgezogen hat … Menschenopfer …«

»Du musst dringend ein Sabbatjahr einlegen«, warf Swan ein, die nicht noch mehr hören wollte.

Mit einem Mal erkannte sie, wie erschöpft Genette aussah. Normalerweise waren die Gefühle von Kleinen schwer zu erraten; auf den ersten Blick sahen sie praktisch makellos wie Puppen oder unschuldig wie Kinder aus. Doch jetzt bemerkte Swan die geröteten Augen, den leicht fettigen Glanz des blonden Haars, die Strähnen, die sich aus dem Haargummi des schlichten Pferdeschwanzes gelöst hatten und in alle Richtungen abstanden.

Und einen Gesichtsausdruck, der kein bisschen an das übliche ironische Lächeln auf Genettes Lippen erinnerte. »Ich muss tatsächlich mal ein Sabbatjahr einlegen. Genau genommen bin ich spät dran, und ich hoffe, dass unsere Ermittlungen mich bald ohnehin zur Erde führen werden. Ich bin nämlich ein bisschen erschöpft. Der Mondragon ist eine wunderbare Sache, aber es gibt viele Terrarien, die ihm nicht angehören, und einige davon sind ernsthaft gestört. Da wir kein allgemeingültiges Recht durchsetzen, kommt es letztlich zu einer Art libertärer Selbstbedienung für alle, nach dem Zufallsprinzip. Und das bedeutet Ärger. So sehe ich das. Es ist vielleicht einfach zu viel – die politischen Unzulänglichkeiten in Kombination mit den physischen Problemen, die der Aufenthalt im Weltraum mit sich bringt. Möglicherweise versuchen wir hier draußen, uns an Umstände anzupassen, an die wir uns nicht anpassen können.«

»Und was sollen wir dann machen?«, fragte Swan einmal mehr.

Genette zuckte mit den Schultern. »Durchhalten, nicht aufgeben. Vielleicht müssen wir hier draußen einsehen, dass ein Leben ohne Not Himmel und Hölle zugleich bedeutet. Beides überlagert sich, wie die Potenziale eines Qubits, bevor seine Wellenfunktion kollabiert. Gut und Böse, Kunst und Krieg. Alles potenziell vorhanden.«

»Aber was sollen wir machen?«

Genette lächelte leise, wechselte die Haltung und setzte sich im Schneidersitz Swan gegenüber auf den Tisch, wie ein Garten-Buddha oder eine Tara, glatt und stilisiert. »Ich möchte mit Wang reden. Ich lasse mir etwas dafür einfallen. Und mit deinem Freund Wahram. Das wird sehr viel unkomplizierter. Alles Weitere … hängt davon ab, was ich in Erfahrung bringe. Hat Alex dir zufällig auch einen Brief für mich oder für sonst jemanden hinterlassen?«

»Nein!«

Genette hob die Hand, nun ein diamantener Buddha: »Kein Grund zur Verärgerung. Ich wünschte nur, sie hätte es getan, weiter nichts. Für sie war es nur ein Notfallplan, eine Sicherheitsmaßnahme für eine Situation, mit deren Eintreten sie nicht gerechnet hatte. Wahrscheinlich hat sie sich gedacht, dass Wang dem Rest der Gruppe von ihren Plänen erzählen wird. Und ich hoffe, dass sie damit recht hatte.«

Am darauffolgenden Tag brachten die Ermittler des Inspektors Neuigkeiten, und nach einer Unterredung kehrte Genette zu Swan zurück und erklärte: »Wangs Qube hat einen Asteroiden auf einer Umlaufbahn zwischen Jupiter und Saturn identifiziert, der genau so weit nach außen von seiner Bahn abgekommen ist, wie es der Fall sein müsste, wenn man von dort aus auf Terminator geschossen hätte. Die Veränderung hat sich vor drei Jahren über einen Zeitraum von sechs Monaten zugetragen. Wang hat die Aufzeichnungen der Saturn-Liga über Schiffsbewegungen im Raum um den Saturn durchgesehen und darin Signale entdeckt, die aussehen, als hätte ein kleines Schiff den Asteroiden verlassen und wäre von dort aus in die äußere Atmosphäre des Saturn eingetreten. Vielleicht ist es zur Oberfläche abgesunken, aber der Winkel, in dem es in die obere Wolkenschicht eingetreten ist, lässt vermuten, dass es sich dort oben eingenistet hat. Nicht wenige Schiffe tun das. Wenn dem so ist, können wir es vielleicht aufspüren.«

»Das ist gut«, sagte Swan. »Aber … du hast diese Spur von Wangs Qube, stimmt’s?«

Genette zuckte mit den Achseln. »Ich weiß. Aber es war die Saturn-Liga, die den Kurs des Schiffs verfolgt hat, und während seines Sinkflugs haben sie es mit einem Sender markiert. Außerdem haben sie den Sender, den es bereits hatte, identifiziert und wissen daher, dass es einem Konsortium von der Erde gehört.«

»Von der Erde!«

»Ja. Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, aber du weißt ja, dass man einen Steinchen-Mob nicht aus einer Atmosphäre abschießen kann, und auch nicht aus einer Kuppel oder einem Zelt heraus. Der Abschuss muss auf einer Freifläche im Vakuum stattfinden. Wenn man sich also auf der Erde befindet und etwas Derartiges bewerkstelligen will, muss man erst ins All hinaus.«

»Das ist mir klar. Aber … die Erde? Ich meine, wer auf der Erde …?«

Genette bedachte sie mit einem so durchdringenden Blick, dass sie verstummte. »Es gibt über fünfhundert Organisationen auf der Erde, die sich gegen die Besiedelung des Weltraums durch Menschen aussprechen.«

»Aber warum?«

»Meistens weisen sie darauf hin, dass die Probleme der Erde nach wie vor ungelöst sind und behaupten, dass die Raumer einfach nur versuchen, vor ihnen davonzulaufen. Die körperlichen Veränderungen bei Raumern werden oft als Beginn einer forcierten Ausdifferenzierung der Art gesehen. Man hat die Bezeichnung Homo sapiens celestis für uns vorgeschlagen. Manche sprechen auch von einer Ausdifferenzierung nach Klassen. Viele Terraner unterziehen sich keiner Langlebigkeitsbehandlung. Entsprechend wird behauptet, dass die Raumzivilisation pervers, böse, dekadent und grausam sei. Dass sie den Lauf der menschlichen Geschichte aus dem Lot brächte.«

»Verdammt«, sagte Swan. »Ich dachte, den Leuten auf der Erde wäre klar, wie viel Gutes wir für sie tun.«

»Also bitte«, erwiderte Genette. »Dann verbringst du deine Sabbatjahre offenbar an sehr behüteten Orten.«