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die Balkanisierung ist natürlich Gegenstand erheblicher Meinungsverschiedenheiten, wobei sie von manchen als neue Vorhölle betrachtet wird und von andern als Ausdruck der erfreulichen und fruchtbaren Diversifizierung des Lebens in unseren Zeiten

Erfolg ist ein Scheitern. Das Accelerando hat all die dem terranischen System jener Zeiten innewohnenden Schwächen, Krankheiten und Verbrechen ins All hinausgetragen, und sobald sie sich erst einmal verbreitet hatten, ließen sie sich nicht wieder einfangen. Die Büchse der Pandora war damit

Zu Beginn des 24. Jahrhunderts hatte sich mit dem Mondragon-Bund eine dritte Kraft organisiert, um sich der Erde-Mars-Dyade hinzuzugesellen, und die Jupiter- und Saturn-Liga stellten ebenfalls deutliche Gegengewichte dar. Eine diplomatisch derart komplexe Situation ließ einmal mehr die Rede von »Machtgleichgewichten«, vom »großen Spiel« oder von einem »Kalten Krieg« und derlei mehr aufkommen: alles Konzepte aus früheren Zeiten, die uns wie schon so oft heimsuchen, hungrige Geister, die uns mit ihren falschen Analogien täuschen und uns mit ihren toten Händen die lebenden Augen zuhalten! Letztlich war die Balkanisierung aufgrund ihres Ausmaßes und ihres besonderen Charakters etwas ganz Neues

In jenen Jahren munkelte man, dass sich überall im System marsianische Spione aufhielten, die allerdings immer nur ins Hauptquartier zurückmeldeten, dass kein Grund zur Sorge bestünde – die Balkanisierung bedeutete, dass der Mars es mit nichts weiter als einem stochastischen Chaos menschlichen Gezappels zu tun hatte

Wahram auf der Erde

Dass er seine Pläne ändern würde, ganz zu schweigen davon sein ganzes Leben, nur um einer Person zu helfen und zu gefallen, einem Menschen, den er nicht besonders gut kannte und dem er nicht unbedingt vertraute, der oft wütend auf ihn war und ihm ebenso gut einen Schlag vor die Brust versetzen wie ihn anlächeln mochte; eine Person, die ihn, wann immer es ihr passte, mit bösen Blicken bedachte und ihn verächtlich anknurrte, sodass all seine Bemühungen um sie eher als Feigheit denn als Zuneigung bezeichnet werden mussten – das überraschte ihn. Und doch kam es genau so. Er hatte bereits einen Großteil des vergangenen Jahres mit diplomatischen Reisen durch das System verbracht, um materielle Unterstützung für Alex’ Pläne einzuwerben, um die Erde neu zu beleben und sich des Qube-Problems anzunehmen. Und zusätzlich zu diesem Unterfangen verbrachte er nun auch noch eine Menge Zeit damit, über Swans Idee nachzudenken, wie sich die Bedingungen für die Vergessenen der Erde radikal verbessern ließen. Er bezweifelte zwar, ob Swan sich seiner Bemühungen bewusst war, aber er hatte das Gefühl, dass sie von ihnen erfahren konnte, wenn sie wollte, da sein Leben ein offenes Buch war, mit Ausnahme der Teile, die er vor ihr verborgen hielt. Auf gar keinen Fall würde er ihr selbst sagen, was er getan hatte. Nach seinem Eindruck bedeutete die Intensität bei ihrer letzten Begegnung – wie sie auf ihn eingeprügelt und ihn angeschrien hatte –, dass sie sehr wohl darauf geachtet hatte, was er so trieb, und es auch weiterhin tun würde. Und schließlich kam es darauf an, was man tat.

Es lag in der Natur dieser Arbeit, dass sie seinem pseudoiterativen Lebensstil schwer zusetzte, der schon bald so viel mehr pseudo als iterativ war, dass ihm Tage wie Schalen erschienen, die er eine nach der anderen abwarf, ein beständiger Wandel, in dem sich keine Muster festhalten ließen. Es war nicht leicht für ihn. Die Tage, Wochen und Monate folgten aufeinander, und er begann sich Gedanken zu machen, nicht über die Gründe für sein Handeln, sondern über die Frage, warum Swan keinen Kontakt zu ihm aufnahm, um ihre Kräfte zu bündeln. Als Team hätten sie mehr erreicht. Wenn sie die Kräfte der innersten und der äußersten Gesellschaften des Sonnensystems vereinten, konnten sie gute Ergebnisse erzielen, weshalb Merkur und Saturn eigentlich natürliche Bündnispartner hätten sein sollen. Ein solches Bündnis hätte sie zu einer Kraft gemacht, die mit den großen Tieren in der Mitte des Systems gleichziehen konnte.

Also setzte er seine Arbeit fort. In manchen Ländern bezeichnete man ihre Kampagne als Rasche-Nichtkonforme-Soforthilfe (RNS). Nichtkonform wegen zahlreicher Verstöße gegen die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen, zumeist gegen Artikel 17, 23 und 25, wobei man ab und an mit dem 28. Artikel herumwedelte, um störrische Regierungen zur Räson zu bringen. In anderen Ländern legten sie ihren Programmen eine altehrwürdige indische Regierungseinrichtung zugrunde, die Gesellschaft zur Beseitigung von Armut auf dem Lande (SERP). Diese Organisation hatte bei ihrem erklärten Ziel nie große Fortschritte gemacht, aber es handelte sich um eine bereits existierende Behörde, und solche waren vom Mondragon als beste der bestehenden schlechten Möglichkeiten zur Bündelung von Hilfsleistungen identifiziert worden. Wahram hatte es für allgemein anerkannt gehalten, dass sich das gesamte Entwicklungshilfe-Modell als ein Beweis für Jevons’ Paradoxon erwiesen hatte, laut dem eine Effizienzsteigerung den Bedarf nicht verringert, sondern vergrößert; zusätzliche Hilfeleistungen hatten in einer Art Rückkopplungsschleife immer nur weiteres Elend herbeigeführt. Auf einer theoretischen Ebene ließ sich dieser Effekt bislang nicht besonders gut erklären – oder vielleicht auch doch, wenn man in Kauf nahm, dass die Erklärung das gesamte System als einen Fall von Vampirismus erscheinen ließ, bei dem blutsaugende Reiche auf der Erde umherzogen und eine Art komplizierten Kleptoparasitismus an den Armen praktizierten. Das hörte niemand gern, also wiederholten sie die Fehler, die man bereits vor hundert Jahren als solche erkannt hatte, in einem immer größeren Maßstab. Deshalb also war die Erde der Planet der Trauer.

Natürlich gab es auf der Erde starke Kräfte, die streng dagegen waren, von oben an den Verhältnissen herumzubasteln, und insbesondere gegen die Herbeiführung von Vollbeschäftigung. Eine tatsächliche Vollbeschäftigung würde den »Lohndruck« beseitigen – ein Begriff, der seit jeher nichts anderes bedeutete als den Armen eine Heidenangst einjagen, und auch allen, die Angst davor hatten, arm zu werden, was praktisch jeden Menschen auf der Erde einschloss. Diese Angst war ein wichtiges Werkzeug zur sozialen Kontrolle, tatsächlich handelte es sich bei ihr um das, was die gegenwärtige Ordnung trotz ihrer offenkundigen Mängel am Leben erhielt. Obwohl das System so schlecht war, dass alle Menschen darin in Angst lebten, sei es vor dem Hungertod oder vor der Guillotine, hielten sie umso verkrampfter daran fest. Es tat einem schon vom Zusehen weh.

Dennoch waren die Verelendeten bereit, alles zu versuchen. Also musste sich wohl etwas machen lassen.

So reiste Wahram kreuz und quer über die Alte Welt wie ein moderner Ibn Battuta und sprach mit Regierungsbehörden, die in der Position waren, etwas zu unternehmen. Es handelte sich um eine vertrackte Arbeit, bei der man echtes diplomatisches Fingerspitzengefühl brauchte, um nicht auf die eine oder andere Art jemanden zu beleidigen. Es war interessant. Doch von Swan hörte Wahram nichts. Und die Erde war groß. Es gab 457 Länder, viele davon miteinander assoziiert, und es gab innerhalb von Ländern Einheiten von beträchtlicher Macht. Wahram würde Swan nicht einfach nur deshalb über den Weg laufen, weil sie ebenfalls auf der Erde zugange war.

Also schaute er nach, wo sie war. Anscheinend arbeitete sie gerade in der Nähe von Nord-Harare, einem kleinen Staat, der sich vom ehemaligen Zimbabwe abgelöst hatte.

Auf dem Flug las er mehr über das Land. Zimbabwe, reich an Rohstoffen; mit einer besonders abgründigen postkolonialen Geschichte; in ein Dutzend Restländer aufgesplittert, von denen viele nach wie vor tief in Problemen steckten; die großen Dürren, die die Lage nicht gerade verbesserten; in letzter Zeit ein Bevölkerungsanstieg und damit einhergehend mehr Probleme. Nord-Harare war ein halbmondförmiger Slum. Die anderen kleinen Länder darum herum waren besser dran.