Doch weiter achteraus und auf Steuerbordbug lag ein Linienschiff. Wie die Fregatten fuhr es keine Flagge; aber der Bau des Vorschiffs, der elegante Schwung der Masten waren nicht zu verkennen: ein französischer Zweidecke r, wahrscheinlich aus einem der Mittelmeerstützpunkte ausgelaufen, um Hoods Blockade zu testen. Bolitho senkte das Glas und blickte zu den Transportern hinüber. Da haben die Franzosen gleich zu Anfang einen guten Happen, dachte er grimmig.
«Wir behalten diesen Kurs bei, Mr. Rooke«, sagte er.»Hat keinen Zweck, nach Süden auszuweichen. Der Gegner ist im Vorteil, wenn er in Luv bleibt, und südwärts«-, er lächelte flüchtig —,»liegt nur Afrika, weiter nichts.»
Rooke nickte.»Aye, Sir. Glauben Sie, daß sie angreifen werden?»
«In spätestens einer Stunde geht's los, Mr. Rooke. Der Wind könnte abflauen. Ich würde an ihrer Stelle bestimmt angreifen.»
Aus dem, was er im Teleskop gesehen hatte, versuchte er, sich ein Bild von dem französischen Zweidecker zu machen. Er war nur ein bißchen größer als die Hyperion; aber, und das schlug stark zu
Buche, er würde vermutlich schneller sein, denn er hatte ausgiebig im Hafen gelegen. Dockarbeiter und Takler hatten sich ausführlich mit ihm beschäftigen können.
Er faßte einen Entschluß.»Ruder zwei Strich Backbord. Wir beziehen Position dicht achteraus vom Geleit. Signal an die Harve-ster: >Gehen Sie sofort auf Station in Luv des Führerschiffs<.»
«Und die Snipe, Sir?«fragte Rooke gespannt.
«Die kann wohl ihre gegenwärtige Position beibehalten. «Er stellte sich das Unheil, die totale Zerstörung vor, welche die Breitseite einer Fregatte auf einem so zerbrechlichen Schiffchen anrichten mußte.
«Jetzt ist der Gegner am Zug — und das sehr bald.»
Mit rundgebraßten Rahen kreuzte die Hyperion langsam das Kielwasser der anderen Schiffe, während die Harvester, Bram- und Royalsegel wie in plötzlichem Kampfeseifer ballonartig gebläht, kühn am Heck die Justice vorbeirauschte und sich ebenso schwungvoll die Erebus, dem vordersten Transportschiff, näherte.
«Die feindlichen Fregatten sind über Stag gegangen, Sir«, rief Leutnant Dalby. Bolitho beschattete die Augen. Beide Schiffe schwangen herum und krängten stark im Wind. Nach dem Manöver mußten sie parallel zum Geleitzug laufen, mit etwa fünf Meilen Abstand. Selbst ohne Glas konnte Bolitho ausmachen, daß ihre Stückpforten noch geschlossen waren. Zweifellos konzentrierten sich die beiden Kommandanten vorerst darauf, in möglichst günstige Schußposition zu kommen.
Der Zweidecker hielt majestätisch seinen Kurs, als wolle er achteraus am Geleit vorbei, ohne es überhaupt zu beachten. Sein Kommandant tat genau das, was Bolitho ebenfalls getan hätte: er ließ die beiden Fregatten auf das Geleit los und entweder die Har-vester oder das Führerschiff angreifen — oder beide zugleich. Wollte die Hyperion näher heran, um der Harvester beizustehen, würde sie einige Zeit brauchen, um zurückzusetzen und das Geleit von achtern zu schützen; inzwischen konnte der Zweidecker bereits zugeschlagen haben. Es war die älteste Lektion in Kriegskunst: divide et impera- teile und siege.
«Kurs Nord zu Ost, Sir, voll und bei«, meldete Gossett.
«Recht so. «Er starrte zum Mastwimpel hoch.»Signal an Geleit: >Alle verfügbaren Segel setzen!<«Und Rooke befahl er scharfen
Tones:»Schnell wieder die Royals los, ich will sehen, was der Zweidecker darauf unternimmt.»
Unter Vollzeug schloß die Hyperion zu den Transportern auf, und augenblicklich reagierten die französischen Schiffe. Das Linienschiff hatte zweifellos erwartet, daß Bolitho zum Geleit aufschließen und es so gut wie möglich vor einem Zangenangriff schützen würde. Eine Flucht war unwahrscheinlich und auch nicht sinnvoll. Doch da die englischen Schiffe bereits außer Schußweite zu kommen drohten, hatten die Franzosen gar keine Wahl — sie mußten die Jagd aufnehmen.
Hauptmann Ashby atmete langsam aus.»Da — bei Gott!«Der hohe Zweidecker wendete bereits; wild flappten die Segel, als er durch den Wind ging. So schnell reagierte er auf Bolithos Taktik, daß er übermäßig krängte, als wolle seine Großrah die Wellenkämme streifen. Unter den Gischtbrettern, die das Manöver aufwarf, verschwanden die unteren Stückpforten völlig.
Der Segeldrill auf dem Franzosen war offenbar lange nicht so gut wie auf der Hyperion — wahrscheinlich weil jener mehr Zeit im Hafen als auf offener See verbracht hatte. Doch innerhalb einer Viertelstunde standen ihre Bram- und Royalsegel wie eine riesige Pyramide aus strahlend weißer Leinwand.
«Sie überholt uns, Sir«, sagte Rooke tonlos.»In einer halben Stunde ist sie gleichauf. «Doch Bolitho blickte unbewegt nach vorn und beobachtete die Justice. Sie war jetzt eine knappe Meile entfernt und konnte wie die anderen Transporter das Tempo nicht mithalten. Die beiden feindlichen Fregatten lagen näher an dem Führerschiff: angestrengt durch das Gewirr der Takelage spähend, sah er an der vordersten Fregatte eine Reihe kurzer Mündungsfeuer aufblitzen, begleitet von einer Rauchwolke.
Es schien Stunden zu dauern, bis das dumpfe Rumpeln der Kanonen an sein Ohr drang; und dann sagte Bolitho:»Sie können jetzt laden lassen, Mr. Rooke. Sorgen Sie dafür, daß die erste Breitseite ordentlich Schrapnell enthält, das bringt Glück!»
Gewöhnlich war die erste Salve auch die letzte, bei der man einigermaßen Zeit hatte, genau zu zielen. Danach war das Feuern mehr Routine — und Gefühlssache. Und im unteren Batteriedeck würde es noch schlimmer sein. Dort hatten sie kaum Platz genug zum Aufrechtstehen und feuerten in einem Inferno von Enge, erstickendem
Qualm, halber Finsternis und Grauen, das besser im Verborgenen blieb.
«Die Harvester schießt zurück, Sir!»
Bolitho nickte. Mit halbem Auge sah er, wie seine Kanoniere die mattglänzenden Kugeln von den Gestellen holten und sie in die gähnenden Rohre rammten. Erfahrenere Geschützführer prüften jede Kugel mit beinahe liebevoller Gründlichkeit. Manche waren besser gerundet als andere. Diese wählten sie für die erste Breitseite aus.
«Signal an Harvester: >Nach Belieben Feindberührung aufneh-men<. «Er mußte über die hohle Phrase beinahe lächeln. Als ob das irgend jemandem beliebte!
«Ausrennen, Sir?«fragte Rooke, der querab nach Backbord starrte: mühelos verkürzte der Franzose seinen Abstand zum Geleitzug. Der Kommandant war kaltblütig genug, um gerade noch in Luv der langsameren Hyperion zu bleiben. Brach Bolitho aus, mußte er sein verwundbares Heck der französischen Breitseite präsentieren. Auf diese kurze Entfernung reichte das aus, um aus den mittleren Decks ein Schlachthaus zu machen und die Hyperion wahrscheinlich obendrein noch zu entmasten. Behielt er seinen jetzigen Kurs bei, so würde es einen Kampf Schuß um Schuß geben, wobei der Franzose im Vorteil war und die Hyperion nach keiner Seite über Stag gehen konnte, ohne eine schwere Salve einstecken zu müssen.
«Noch nicht, Mr. Rooke. «Er hatte seine Stimme gut in der Gewalt; doch als er sah, wie sich der Schatten des anderen Schiffes über der glitzernden See hob und senkte, kam ihm die Idee, daß Rooke wahrscheinlich glaubte, er wolle kneifen — entweder aus Angst oder weil ihm einfach kein Plan einfiel, wie er sein Schiff retten konnte.
Wieder ein rascher Blick zum Masttopp. Er wagte kaum hinzusehen, weil er fürchtete, sein Auge könne ihn täuschen. Aber der Winkel des Wimpels hatte sich etwas verändert.
«Der Wind ist einen Strich ausgeschossen, nicht wahr, Mr. Gos-sett?«fragte er möglichst beiläufig.