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Die Gläser klangen, und die Offiziere warteten darauf, daß Bo-litho weitersprach. Etwas schärfer fuhr er fort:»Da sich unsere Anzahl verringert hat, befördere ich Midshipman Gordon zum Vizeleutnant. Er wird Mr. Rooke bei der unteren Batterie assistieren.»

Er hielt inne, denn die anderen Midshipmen hieben Gordon auf die Schultern; dessen Gesicht, eine einzige Ansammlung von Sommersprossen, spaltete sich zu einem überraschten Grinsen. Bolitho warf Rooke einen schnellen Blick zu; der sagte nichts, nickte aber. Es war eine wohldurchdachte Entscheidung, denn Gordon war bei der Erstürmung des Leuchtfeuers von St. Clar anscheinend sehr gut mit Rooke ausgekommen; vermutlich weil sie beide aus alter, einflußreicher Familie stammten. Gordons Onkel war Konteradmiral, und wahrscheinlich hielt Rooke deswegen sein unangenehmes Temperament etwas im Zaum.

«Außerdem«, fuhr Bolitho fort, und das Stimmengewirr erstarb,

«meine ich, einer der Steuermannsmaaten könnte als Wachoffizier Dienst tun, bis Mr. Fowler wieder gesund ist.»

Inch sah auf.»Darf ich Bunce vorschlagen, Sir? Ein sehr verläßlicher Mann.»

«Sie dürfen, Mr. Inch. Sagen Sie es ihm gleich nachher. «Inch nickte und nahm einen Zug aus seinem Glas. Er hatte sich vielleicht am meisten von allen verändert. Vom Fünften und jüngsten Offizier war er zum Vierten aufgestiegen, aber was noch wichtiger war, er hatte auch das dazugehörige Selbstvertrauen gewonnen.

Plötzlich richteten sich aller Augen auf das Skylight, denn von dort erklang ein gedämpfter Ruf:»Halt! Mensch, was machst du denn, zum Teufel?«Es folgten das Geräusch rennender Füße und dann dieselbe Stimme, jedoch laut und schallend:»Achtung — Mann über Bord!»

Die Offiziere eilten an Deck, und Gossett brüllte:» Kreuzmarssegel back! Kutter zu Wasser!»

Das Achterdeck lag ganz im Finstern, kein Stern war durch die reglosen Wolken zu sehen. Dunkle Gestalten liefen die Decksgänge entlang, und achtern hörte Bolitho, wie die Männer der Kutterbesatzung, vom Alarmruf aufgeschreckt, sich gegenseitig umrannten.»Was ist los, Gossett?«rief Bolitho,»Wie war das möglich?»

Bunce, der untersetzte Steuermannsmaat, den Inch vorhin erwähnt hatte, schob sich durch die eilenden Männer.»Hab's gesehen, Sir«, erklärte er mit dienstlichem Gruß.»Ich stand am Ruder, weil einer meiner Leute gerade die Kompaßlampen auswechselte. «Er schauerte.»Als ich hochsehe, Sir, glotzt mich plötzlich sein Gesicht an! Herrgott, war das scheußlich — ich bete zu meinem Schöpfer, daß ich so was nicht noch mal sehen muß!»

Das backgestellte Segel schlug donnernd, das Schiff rollte wie betrunken, und irgendwo jenseits der Kampanje hörte Bolitho das Platschen von Riemen im Wasser und die Befehlsrufe des Bootsmanns im Kutter.»Mr. Fowler war's, Sir«, berichtete Bunce weiter.»Er hatte sich die Verbände abgerissen, hielt einen Spiegel in der Hand und weinte wie ein kleines Kind. Die ganze Zeit starrte er dabei sein Gesicht im Spiegel an!»

«Stimmt, Sir«, kam eine Stimme aus dem Dunkel.»Es war alles zerfetzt von den Augen bis zum Kinn, und überhaupt keine Nase mehr!»

Langsam schritt Bolitho zu den Netzen. Der arme Fowler… Er war ein schmucker Leutnant gewesen, bis er, von einem Degenhieb gefällt, mit zerfetztem Gesicht neben ihm auf die Planken gesunken war.

«Ich wollt' ihn noch aufhalten, Sir«, sagte Bunce zu Herrick,»aber er war ja wie verrückt. Und beinahe nackt; ich könnt' ihn einfach nich' zu fassen kriegen. «Wieder überlief ihn ein Schauer.»Rannte los und sprang über Bord, ehe wir ihn erwischten.»

Bolitho sah das Boot auf dem ebenholzschwarzen Wasser tanzen, die Riemen zogen phosphoreszierendes Meeresleuchten nach.

«Kann nichts sehn, Sir«, schrie der Bootsmaat herauf, der aufrecht im Kutter stand.

«Rufen Sie das Boot zurück, Mr. Herrick«, befahl Bolitho knapp.»Und nehmen Sie wieder Fahrt auf!»

Er ging an den stummen Gestalten vorbei, die ihn anstarrten, und sah noch, wie Inch den Midshipman Lory tröstete, der mit Fowler eng befreundet gewesen war.»Mr. Inch«, sagte er,»Sie sind jetzt Dritter Offizier. Hoffentlich ist das für einige Zeit die letzte Beförderung aus diesen Anlässen.»

Steifbeinig ging er in seine Kajüte und starrte auf die herumstehenden Weingläser. Er versuchte, den Stöpsel aus einer Karaffe zu ziehen, aber er stak zu fest; und da er sie mit seinem verwundeten Arm nicht entkorken konnte, knallte er die Karaffe wütend auf den Tisch.»Gimlett!«brüllte er. Angstvoll stürzte der Steward in die Kajüte.»Ein Glas Wein, aber schnell!«Als er es an die Lippen setzte, zitterte seine Hand heftig, aber er konnte sie nicht beherrschen. Diesmal war es nicht das Fieber — Wut und Verzweiflung stiegen wie eine Flutwelle so hoch in ihm, daß er das leere Glas fast an die Wand geworfen hätte. Hätte er Fowler auf der brennenden Fairfax gelassen, würde er jetzt als tapferer Seemann im Gedächtnis der Besatzung fortleben und nicht als armseliger, irrer Selbstmörder. Warum hatte er so ohne Würde sterben müssen? Wie konnte es sein, daß ein Mann, den er kannte, dessen Gewohnheiten ihm so geläufig waren wie seine eigenen, in Sekunden zu einer leeren Menschenhülle geworden war?

Er knallte das Glas auf den Tisch.»Nachfüllen!»

Und eben hatte er noch den Offizieren Vorträge darüber gehalten, wie gewisse Vorkommnisse der Moral schaden konnten! War Fow-ler schon kein Mensch mehr, sondern ein Vorkommnis?

Er dachte an Pomfret und daran, was dieser ihm antat, ihm und dem ganzen Schiff.»Hol dich der Teufel! Zur Hölle mit dir, du Elender!«Seine Stimme bebte so vor Wut, daß Gimlett sich wie ein geprügelter Hund in die Ecke drückte.

Schließlich riß sich Bolitho mit einem Ruck zusammen.»Ist schon gut, Gimlett. Keine Angst. «Er hob den Becher ans Licht der Lampe und wartete, bis der Wein still und blutrot im Glas stand.»Sie habe ich nicht gemeint, Gimlett. Sie können jetzt gehen.»

Als Bolitho wieder allein war, zog er Cheneys Brief aus der Brusttasche und begann zu lesen.

XV Zuerst die Menschen!

Gewiß war Bolitho darauf vorbereitet und gewillt, die Stimmung im Schiff trotz Pomfrets Winkelzügen nicht absinken zu lassen, doch die Wirklichkeit wurde viel schlimmer, als selbst er vorausgesehen hatte. Woche um Woche fuhr die Hyperion ihre anscheinend endlose Patrouille, ein riesiges, eintöniges Rechteck auf dem offenen Meer. Nur gelegentlich unterbrach die ferne Küste Frankreichs oder der lauernde Schatten der Insel Cozar die Leere.

Zweimal begegneten sie der Schaluppe Chanticleer; sie hatte wenig zu melden, was Bolithos wachsende Nervosität hätte beschwichtigen können. Die Situation der Schaluppe war genauso scheußlich wie seine eigene, denn die unberechenbaren Wetterverhältnisse des Mittelmeeres spielten einem so kleinen Fahrzeug besonders mit. Bellamy, der Kommandant, konnte sich das Ausbleiben jeglicher Nachrichten aus Pomfrets Hauptquartier ebensowenig erklären wie Bolitho selbst. Es gab nur Gerüchte. Angeblich bombardierten die Franzosen St. Clar mit Belagerungsgeschützen; im Weichbild der Stadt würde bereits gekämpft, so daß man kaum noch ohne Gefahr auf die Straßen könne.

Aber an Bord der Hyperion waren solche Spekulationen ebenso unnütz wie fernliegend, denn in ihren menschenwimmelnden Decks bedeutete Wirklichkeit: heute — und allenfalls morgen. Bolitho wußte, daß seine Leute sich alle Mühe gaben, ihre Enttäuschung, ihren Mißmut nicht zu zeigen. Sie verhielten sich wunschgemäß, einen ganzen Monat lang gab es ständig Wettkämpfe und freundschaftliche Konkurrenzen aller Art. Verschiedene Preise wurden ausgesetzt; für die beste Spleißarbeit, das schönste Schiffsmodell, für Hornpipe- und Jigtänzer, sogar für die zahllosen kleinen Gegenstände, welche die älteren Matrosen mit großer Liebe und Sorgfalt herstellten: winzige, zierliche Schnupftabaksdosen, aus steinhart getrocknetem Salzfleisch geschnitzt und dann poliert, oder Kämme und Broschen aus Knochen und Glasstückchen.