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Aber das konnte nicht von Dauer sein. Kleine Streitigkeiten wuchsen sich zu Schlägereien aus, Unzufriedenheit und Beschwerden zogen wie Giftschwaden durch das Gedränge an Bord; und einmal schlug ein wütender Matrose einen Unteroffizier ins Gesicht. Das brachte ihm selbstverständlich Prügelstrafe ein. Und diese blieb nicht die einzige.

Auch die Offiziere waren gegen die wachsende Unruhe und Unzufriedenheit nicht immun. Bei einem Kartenspiel in der Offiziersmesse hatte Rooke den Zahlmeister des Falschspiels bezichtigt. Hätte Herrick nicht mit fester Hand eingegriffen, hätte der Vorfall blutige Konsequenzen gehabt. Doch auch Herricks wachsames Auge konnte nicht alles sehen.

Der einzige Verbündete Bolithos war das Wetter. Im Verlauf der Wochen verschlechterte es sich beträchtlich, und häufig mußten die Matrosen in einer einzigen Stunde alle Segel setzen und wieder reffen; dann waren sie so müde, daß sie nicht einmal die Energie zum Essen aufbrachten. Allerdings gab es auch nichts Vernünftiges mehr zu essen. Was Bolitho in St. Clar an frischen Lebensmitteln hatte auftreiben können, war bald verbraucht, und jetzt lebte das ganze Schiff von den Grundrationen: Salzfleisch und Schiffszwieback — viel mehr gab es nicht.

In der elften Woche, als die Hyperion die südliche Strecke ihrer Patrouille absegelte, flaute die scharfe Brise ab, die sie tagelang begleitet hatte. Der Wind krimpte ein paar Strich, und dieser Wechsel brachte Regen.

Bolitho stand in Luv auf dem Achterdeck und sah den Regen wie einen eisernen Vorhang auf das Schiff zukommen. Er trug weder Rock noch Hut und ließ sich richtig durchweichen. Im Vergleich zu dem fauligen Trinkwasser schmeckte der Regen wie Wein; und als er mit zusammengekniffenen Augen in den Wind spähte, sah er mehrere der auf dem Oberdeck arbeitenden Matrosen gleich ihm in diesem Himmelsguß stehen, als wollten sie ihre Wut und Niedergeschlagenheit abwaschen lassen.

Tomlin, der Bootsmann, ließ im Vorschiff eiligst Segeltucheimer aufstellen; und Crane, der Küfer, trieb seine Maaten an, die leeren Fässer fertigzumachen, damit sie gefüllt werden konnten, ehe der Regen aufhörte. Und jetzt kann ich nicht einmal mehr sagen, daß ich den Hafen anlaufen muß, um Trinkwasser aufzunehmen, dachte Bolitho mißmutig. So schnell kann aus einem Freund ein Feind werden!

Herrick kam übers Deck. Sein triefendes Haar klebte auf der Stirn.»Wenn es jetzt aufklart, müssen wir Cozar Backbord voraus in Sicht bekommen, Sir. «Er verzog das Gesicht.»Ich sage ascheinend immer wieder dasselbe.»

Da hatte er recht. Wenn sie die Insel sichteten, bedeutete das nur, daß sie eine Seitenlänge ihres Patrouillenreviers absolviert hatten. Die Hyperion fuhr eine Wende und begab sich zum soundsovielten Male auf den langen und langweiligen Törn in Richtung Festland.

Bolitho lehnte sich über die Reling und achtete nicht darauf, daß Regen und Sprühwasser ihm Rücken und Hosenbeine durchnäßten. Kein Wunder, daß die Hyperion so langsam war, bei dem jahrealten Bewuchs an ihrem Unterwasserschiff! Jede Strähne Seegras, jeder Streifen Tang bedeutete eine Meile Ozean unter ihrem geteerten Kiel, jede Muschelkolonie hundert Drehungen des Ruderrades. Bolitho schmeckte Salz zwischen den Zähnen und sah beim Aufblicken, daß der Regen abgezogen war und nur noch im Osten die knüppeligen Wellen aufrauhte.

«An Deck!«Die Stimme des Ausgucks im Masttopp übertönte den Wind.»Segel Backbord voraus!»

Bolitho blickte Herrick an. Sie hatten beide gedacht, der Mann würde Cozar in Sicht melden. Ein Schiff — das war etwas Ungewöhnliches, ein Ereignis.»Lassen Sie das zweite Reff herausnehmen, Mr. Herrick«, sagte Bolitho.»Wir sehen uns das mal näher an.»

Aber das wäre gar nicht nötig gewesen; denn sobald die Brams egel des fremden Schiffes in einem breiten Streifen Sonnenlicht über der Kimm standen, halste es und nahm Kurs direkt auf die Hyperion.

Piper war bereits mit seinem Teleskop in den Besanwanten, als sich die ersten Flaggen an der Rah des Fremden entfalteten.

«Es ist die Harvester, Sir!«Er spuckte aus, denn ein plötzlicher Schwall Spritzwasser war in Luv übergekommen und hätte ihn beinahe von seinem unsicheren Platz gefegt. »Harvester an Hyperion«, keuchte er.»>Habe Depeschen für Sie<.»

Bolitho überlief es; er hätte kaum auf dergleichen zu hoffen gewagt.»Klar zum Beidrehen, Mr. Herrick!»

Kaum hatte die Hyperion mit ihren klatschnassen, laut schlagenden Segeln das Manöver beendet, da war die schnelle Fregatte schon so nahe, daß man die breiten Salzstreifen an ihrem Rumpf erkennen konnte und das nackte Holz, wo die ruhelose See die Farbe wie mit Messern weggekratzt hatte.

Unruhig bebten die Rahen der Fregatte, und das schmale Deck neigte sich, denn Leach drehte in den Wind, bis sein Schiff stampfend in Lee der Hyperion lag.

«Das ist seltsam, Sir«, sagte Herrick.»Er hätte die Depeschen doch an der Leine herüberdriften lassen können. Bei diesem Wind hat ein Boot mächtig zu pullen, bis es hier ist.»

Aber die Harvester ließ bereits ein Boot zu Wasser, und als es endlich von der Bordwand klargekommen war, sah Bolitho, daß nicht etwa ein Midshipman im Boot saß, sondern Captain Leach persönlich.

«Es muß wichtig sein. «Bolitho biß sich auf die Lippen, als das Boot auf einer mächtigen, weißbemähnten Welle beinahe querschlug.»Mr. Tomlin soll sich bereit halten, das Boot längsseit zu nehmen!»

Dann kletterte Leach das Fallreep der Hyperion herauf, nahm sich kaum Zeit zum Atemholen und eilte, den triefenden Dreispitz schief auf dem Kopf, die Augen rotgerändert vor Übermüdung, zum Achterdeck.

Bolitho ging ihm mit langen Schritten entgegen.»Willkommen an Bord! Es ist lange her, daß ich solch einen Beweis bester Seemannschaft gesehen habe!»

Leach starrte Bolithos nasses Hemd und sein zerrauftes Haar an, als erkenne er ihn erst jetzt. Doch er lächelte nicht.»Kann ich Sie allein sprechen, Sir?»

Bolitho wandte sich zur Kampanje; er merkte, daß seine Offiziere aufmerksam geworden waren und daß das Erscheinen der Fregatte gespannte Erregung hervorgerufen hatte. In der schwankenden Kajüte ließ er Leach zunächst ein volles Glas Brandy austrinken und fragte dann:»Nun, was machen Sie hier draußen?»

Leach nahm in einem der grünen Ledersessel Platz und schluckte.»Ich bin hier, weil ich Sie bitten möchte, nach St. Clar zurückzukommen, Sir. «Er wischte sich die salzwunden Lippen, die von dem starken Schnaps heftig brannten.

«Und die Depeschen?«fragte Bolitho.»Sind sie vom Admiral?»

Mit sorgengefurchter Miene blickte Leach auf die Tischplatte nieder.»Ich habe keine Depeschen, Sir. Aber ich mußte irgendeinen Grund angeben, wollte Ihre Männer nicht noch zusätzlich beunruhigen. Es gibt auch so Ärger genug.»

Bolitho setzte sich.»Lassen Sie sich Zeit, Leach. Kommen Sie aus St. Clar?»

Leach schüttelte den Kopf.»Von Cozar. Ich habe gerade die letzte Handvoll Soldaten abgeholt. «Verzweifelt hob er die Augen zur Decke.»Anschließend sollte ich Sie suchen, Sir. Zwei Tage bin ich hinter Ihnen her.»

Bolitho schenkte ihm nochmals ein.»Ich weiß nicht«, fuhr Leach fort,»ob ich richtig handele oder ob das Meuterei ist. Wie die Dinge liegen, kann ich meinem eigenen Urteil nicht mehr trauen.»

Ganz langsam atmete Bolitho aus und zwang seine verkrampften Muskeln, sich zu entspannen.»In St. Clar steht es also schlecht, nehme ich an?»

Leach nickte.»Seit Wochen hämmern die französischen Geschütze auf den Hafen ein. Ich habe Patrouille nach Südosten gefahren; aber jedesmal, wenn ich zum Hafen kam, war es schlimmer. Der Feind machte einen Scheinangriff und brachte es irgendwie fertig, die spanischen Truppen aus ihren Stellungen zu locken. «Er seufzte.»Die feindliche Kavallerie hat sie in Stücke gehauen. Es war ein Massaker. Anscheinend hat niemand gewußt, daß die Franzosen überhaupt Kavallerie hier haben. Und es waren Elitetruppen, Dragoner aus Toulouse.»