«Sir Hugo kann mit seinem Agenten, wie es scheint, irgendwo an der Küste Kontakt aufnehmen«, erläuterte Broughton müde.
«Genau. «Draffen wurde langsam lockerer.»Ich habe mit einem mächtigen Scheich geschäftlich zu tun gehabt. Dabei habe ich sogar persönlich mit ihm verhandelt. Habib Messadi hat an diesem Küstenstrich großen Einfluß und liebt die spanischen Invasoren gar nicht.»
Gelassen erwiderte Bolitho:»Aber wenn die spanische Garnison vertrieben wird, dann sind wir die Invasoren. Wo ist da der Unterschied für ihn?»
«Herrgott im Himmel, Bolitho«, fuhr Broughton ärgerlich dazwischen,»Ihnen kann man anscheinend überhaupt nichts recht machen!»
Bolitho behielt Draffen im Auge.»Dieser Messadi ist, nehme ich an, eine Art Räuberhauptmann; sonst könnte er doch an so einer Küste nicht so viel Macht haben?»
Draffens Lächeln schwand.»Er ist nicht der Mann, den ich in Westminster Abbey frei herumlaufen lassen würde, das muß ich zugeben«, entgegnete er achselzuckend.»Aber um diese Mission erfolgreich auszuführen, würde ich auch Hilfe aus dem Zuchthaus von Newgate oder der Irrenanstalt von Bedlam akzeptieren, wenn sie uns nützen könnte.»
«Nun, Bolitho?«Mit deutlicher Ungeduld blickte Broughton von einem zum anderen.
Draffen sprach zuerst.»Wie ich schon gesagt habe, werden wir Dja-fou eines Tages aufgeben, wenn wir etwas Besseres haben, etwa entsprechend dem Vorschlag, den Sie Sir Lucius soeben gemacht haben. Messadi hat Djafou lange Jahre beherrscht und weder für die Franzosen noch für die Dons etwas übrig. Es wäre bestimmt besser, wenn wir ihn zum Verbündeten hätten: einen weiteren Dorn im Fleische des Feindes.»
«Genau meine Meinung«, warf Broughton ein.
Bolitho wandte sich ab. Ihm standen sofort die brüllenden Gestalten wieder vor Augen, die über das blutige Deck der Navarra schwärmten, und die schreckverzerrten Gesichter der Mannschaft beim Anblick der Schebecken. Und jetzt wollte Broughton sich mit diesen Menschen verbünden, bloß weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, mit leeren Händen nach Gibraltar zurückzukehren.
«Ich bin dagegen«, sagte er.
Broughton ließ sich in seinen Sessel sinken.»Ich habe große Achtung vor Ihrer dienstlichen Vergangenheit, Bolitho. Ich weiß, daß Sie ein loyaler Offizier sind, aber ich weiß auch, daß Sie oftmals von zu großem Idealismus geplagt werden. Keinen anderen Offizier meines Geschwaders möchte ich lieber als Flaggkapitän haben. «Sein Ton wurde härter.»Aber Insubordination dulde ich nicht. Und nötigenfalls lasse ich Sie ablösen.»
Ein Gefühl der Hilflosigkeit überkam Bolitho, und widersprechende Gefühle rissen ihn hin und her. Einerseits verlangte es ihn, Broughton zu sagen, dann solle er ihn doch ablösen; andererseits konnte er die Vorstellung nicht ertragen, daß Fourneaux die geringen Reserven dieses Geschwaders kommandieren sollte.
«Meine Pflicht als Flaggkapitän ist es nicht nur, Ihren Befehlen zu gehorchen, Sir, sondern auch, Sie zu beraten. «Ihm war, als spräche er aus weiter Ferne.
Draffen strahlte.»Na also, meine Herren! Da sind wir uns ja endlich einig!»
«Was haben Sie also vor?«fragte Bolitho bitter.»Mit Sir Lucius' Erlaubnis werde ich nochmals die Korvette benützen. Ich bin überzeugt, daß mein Agent auf Nachricht von mir wartet;
das erleichtert uns die Sache. «Er blickte verschmitzt in Bolithos ernstes Gesicht.»Wie Sie selbst sagten, ist das Geschwader eher für den Kampf auf offener See geeignet als für sinnlose Attacken auf die Küste. Ich werde gut zwei Tage brauchen, in dieser Zeit müßten wir zum entscheidenden Angriff bereit sein. «Er lächelte, und Bolitho sah ein neuartiges Licht in seinen Augen funkeln. Sekundenlang war nur brutale Grausamkeit darin.»Wenn ein Unterhändler mit weißer Flagge die spanische Garnison aufsucht und dort erklärt, was ihnen bestimmt passieren wird, sobald Messadis Krieger die Festung erobern — den Verteidigern und ihren Frauen. «Er schwieg bedeutsam.
«Um Gottes willen, Sir Hugo«, murmelte Broughton bestürzt,»dazu wird es doch nicht kommen?»
«Natürlich nicht, Sir Lucius. «Draffen war offensichtlich wieder bester Laune.
Broughton schien plötzlich das Bedürfnis zu haben, diese Unterredung zu beenden.»Signalisieren Sie also der Restless, Bolitho. Die Coquette kann die Bewachung der Bucht übernehmen.»
Als Bolitho die Kajüte verließ, kam Draffen hinterher.»Nehmen Sie es nicht zu schwer, Captain«, murmelte er fast freundschaftlich.»Ich habe Ihre Qualitäten als Seeoffizier nie bezweifelt. Also könnten Sie meinen Fähigkeiten in gewissen Affären ebenfalls vertrauen, eh?»
Bolitho blieb stehen und sah ihn an.»Wenn Sie damit sagen wollen, daß ich von Ihren Machenschaften nichts verstehe, Sir Hugo, so haben Sie recht. Und ich will auch nichts damit zu tun haben — nie!»
Draffens Gesicht wurde hart.»Treiben Sie es nicht zu weit, mein Freund! Sie könnten eines Tages einen hohen Rang in der Flotte einnehmen, vorausgesetzt. «Das Wort blieb in der Luft hängen.
«Vorausgesetzt, daß ich den Mund halte?»
Ärgerlich fuhr Draffen herum.»Ausgerechnet Sie können es sich kaum leisten, sich zu exponieren, wenn Sie vorwärtskommen wollen! Vergessen Sie nicht: ich kannte Ihren Bruder. Höherenorts gibt es Leute, die es sich sehr überlegen würden, einen Offizier zu befördern, von dem sie erfahren, daß sein familiärer Hintergrund nicht ganz sauber ist — also benehmen Sie sich, Captain!»
Bolitho wurde auf einmal eiskalt. Ihm war, als schwebe er in der Luft.»Vielen Dank, daß Sie mich daran erinnern, Sir Hugo. «Er wunderte sich darüber, wie seine Stimme klang. Vollkommen fremd.»Von jetzt an brauchen wir einander wenigstens nichts mehr vorzumachen. «Er drehte sich um und schritt rasch zur Kampanjeleiter.
Unten auf dem Achterdeck ging Keverne gedankenversunken auf und ab.
«Signalisieren Sie der Valorous zur Weitergabe an die Restless: >Anker lichten und sofort zum Flaggschiff. Sir Hugo Draffen an Bord nehmen und nach dessen Instruktionen handeln.««Kevernes erstaunten Blick ignorierte er.»Dann können Sie alle Geschütze festmachen lassen, und die Leute können essen. Nun? Was ist noch?»
«Ziehen wir uns zurück, Sir?»
«Kümmern Sie sich um das Signal, Mr. Keverne. «Er blickte auf die fernen Berge.»Ich muß nachdenken.»
Er wandte sich um, denn unter dem Achterdeck erschien Leutnant Sawle mit Witrand.»Wo wollen Sie mit dem Gefangenen hin, Mr. Sawle?»
Der Leutnant sah ihn verständnislos an.»Er soll doch auf die Korvette überstellt werden, Sir«, antwortete er, anscheinend völlig verwirrt.»Leutnant Calvert sagt, der Admiral hätte es befohlen.»
Der Franzose kam leichtfüßig die Leiter herauf, und Bolitho vergaß für den Augenblick seine Wut über Draffens Drohung.
«Ich will Ihnen Lebewohl sagen, capitaine. «Witrand reckte sich und sog die warme Seeluft ein.»Wer weiß, ob wir uns wiedersehen?»
«Ich hatte keine Ahnung davon, Witrand.»
«Das glaube ich Ihnen, capitaine. Anscheinend denkt man, ich könnte von Nutzen sein. Spaßhaft, wie?»
Bolitho dachte an Broughtons desperate Stimmung. Vielleicht hatte er Draffens Vorschlag zugestimmt, Witrand auf die Korvette zu überstellen, weil sie hofften, der Franzose würde etwas über seine Mission verraten.»Spaßhaft? Ja, vielleicht«, antwortete er nachdenklich.
Er beschattete die Augen und beobachtete, wie die Valorous Broughtons Signal hißte. Irgendwo hinter der vorspringenden Landzunge versteckt, würde die vor Anker liegende Korvette es sehen und eiligst dem Befehl folgen. Witrand würde vermutlich an Bord der Restless bleiben und später mit irgendwelchen Depeschen nach Gibraltar überstellt werden.