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Bolitho biß sich auf die Lippen. Jetzt preßten sich Sawles Männer gegen das große eiserne Gitter, warteten auf den Abzug des Wachbootes und hörten das gleichmäßige Zischen der Lunte. Halb unbewußt murmelte er:»Los, Mann! Macht, daß ihr wegkommt!«Aber nichts rührte sich an jenem dunklen Fleck bei der Mauer.

Da — ein prasselndes Krachen, Bolitho sah die Augen des ihm zunächst sitzenden Ruderers gelbrot aufleuchten, als starre der Mann in einen gespenstischen Sonnenaufgang. Es war der Reflex des Mündungsfeuers von einem der Mörser jenseits der Landzunge; er fuhr herum und hörte ein scharfes, kurz abreißendes Pfeifen wie von einem aufgestörten Moorhuhn. Die Explosion war ohrenzerreißend. An der entferntesten Ecke des Forts leuchtete es hell auf, eine weißliche Rauchwolke stieg hoch, dann war wieder Finsternis, und er schloß geblendet die Augen. Aber so viel hatte er wenigstens feststellen können: Inchs erster Schuß lag fast genau im Ziel. Er hatte die gegenüberliegende Brustwehr des Kastells getroffen oder mindestens die untere Mauer. Mit berstendem Krachen stürzte das Mauerwerk zusammen; klatschend fielen große Brocken ins Wasser.

Wieder ein Krachen. Der nächste Schuß schlug etwa an derselben Stelle ein wie der erste. Stürzendes Mauerwerk, Rumpeln und Grollen; in dicken Bänken trieb der Rauch übers Meer.

Das Wachboot war in Qualm gehüllt, aber er hörte Geschrei in der Finsternis, und dann das plötzliche Gellen einer Trompete von der Festung her.

Der dritte Schuß der Hekla lag zu weit; er hörte splitterndes Krachen von Steinen und nahm an, daß er auf dem Fahrdamm oder auf dem Eiland unter den Mauern eingeschlagen hatte. Die MarineInfanteristen würden mit ihren Blendlaternen der Hekla signalisieren, wie die Einschläge lagen, und dann konnte Inch vor dem nächsten Schuß Seitenrichtung oder Erhöhung entsprechend ändern.

«Mr. Sawle zieht jetzt ab«, sagte Allday erleichtert.»Verdammt knapp war das.»

«Mr. Bickford!«rief Bolitho.»Sagen Sie durch: Fertig machen zum Angriff!»

Jetzt brauchten sie nicht mehr leise zu sein. Der Krach bei den Festungsmauern konnte Tote wecken. Die Spanier eilten auf Gefechtsstationen. Vielleicht ahnten manche von ihnen, womit sie es zu tun hatten; andere wieder mochten vor Schreck über die unter Inchs Granaten erzitternden und einstürzenden Festungsmauern keines klaren Gedankens mehr fähig sein.

In diesem Moment explodierte Sawles Sprengladung. In einer großen Feuerzunge flog der untere Eingang in die Luft, eine kleine Flutwelle brach unter der Mauer hervor und riß Sawles Kutter, Heck voraus, mit sich fort; Männer und Riemen wurden in wirbelndem Durcheinander in die See geworfen wie ein Fangboot, das ein verwundeter Wal angreift.

Bolitho zog den Degen und winkte damit zu Bickford hinüber. In diesem Augenblick stürzte ein Stück der oberen Brustwehr in die Flammen, dazu eine Kanone auf eisernen Rädern und eine lange schwere Kette — vermutlich von der Zugvorrichtung des Fallgatters.

«Und jetzt, Jungs, zu — gleich!«Er fiel beinahe um, so schoß das Boot vorwärts; heißer Rauch wirbelte ihm um den Kopf, ein Zeichen der Kraft dieser letzten Detonation.

Der gekenterte Kutter glitt in der Dunkelheit vorbei, hier und da sah er ein bleiches Gesicht, um sich schlagende Arme, stoßende Beine — sie mußten die Explosion überlebt haben.

Dann aber, als das zerrissene Fallgatter wie ein gähnendes Maul mit verfaulten Zähnen in der Mauer klaffte, direkt vor dem Bug seines Bootes, vergaß er alles außer dem, was er jetzt unmittelbar zu tun hatte.

Eine Musketenkugel schlug ins Dollbord, und irgendwo ertönte ein Schmerzensschrei.

Er schwang den Degen überm Kopf und brüllte:»Pullt, Jungs!«Mit höchster Geschwindigkeit schoß die Gig durch den Rauch. Verkohlte

Holzstücke trieben auf dem Wasser, und dann zwei grotesk geformte Heckpforten, wohl von alten Galeassen, mit denen das Kastell sich einst gegen Piraten verteidigt haben mochte. Riemen krachten gegen Holz und Stein; Bickfords Boot kam gefährlich dicht hinterher, ein Pistolenschuß von der Mauer über ihnen erhellte für den Bruchteil einer Sekunde die Ruderer.

«Auf Riemen!«Alldays Stimme ging fast im Krachen des Einschlags einer weiteren Granate unter.»Riemen ein!»

Jetzt trieb das Boot heftig kratzend an einem niedrigen Steg entlang und kam zum Stillstand. Ein Mann sprang ihnen aus der Dunkelheit entgegen, aber ein Matrose schoß auf kürzeste Entfernung seine Muskete auf ihn ab, er wurde herumgerissen und stürzte lautlos über die Kante des Steges ins Wasser.

Bolitho tastete sich auf nassem Stein vorwärts und versuchte dabei, sich den Grundriß dieses fremdartigen Ortes zu vergegenwärtigen, wie er ihn auf der Zeichnung gesehen hatte. Jetzt konnte er nicht mehr umdisponieren — zu spät, es sich anders zu überlegen.

Er deutete mit dem Degen auf die steinernen Stufen; brüllend wie Teufel rannten die Matrosen über den Steg. Was auch geschah, jetzt ging es nur noch vorwärts.

Er rannte die Stufen hinauf in den Rauch hinein; in seinem Hirn war nur wahnsinnige Kampfeswut, sonst Leere. Und Allday blieb an seiner Seite.

XIV Ein Ort des Grauens

Die gebo gene Steintreppe zur obersten Brustwehr kam Bolitho endlos vor. Atemlos stürmte er auf das offene Sims zu, wo der Rauch immer noch an den Sternen vorbeitrieb, und wo das Rufen und Schreien immer lauter wurde, einzelne Musketenschüsse krachten und über all dem Lärm mahnend ein Trompetensignal erscholl. Inchs Mörser schwiegen zur festgesetzten Minute, und wäre der Angriff nicht auch zeitlich so sorgfältig abgestimmt worden, hätte ein weiterer Schuß der Hekla die brüllend vorwärtsstürmenden Matrosen töten können, ehe sie auch nur ihr erstes Teilziel erreicht hatten.

Von unten, wo der Kutter am Steg auf Grund gelaufen war, hörte Bolitho ebenfalls Schreie und Kommandorufe, als die Boote eins nach dem anderen durch den zerstörten Eingang kamen und die Mannschaften sich in den Qualm stürzten, ehe die Fahrzeuge richtig festgemacht hatten.

Draußen, auf dem breiten Sims der Hauptbatterie, stand Allday an seiner Seite; er spürte die kühle Nachtluft im Gesicht. Er konnte den kleineren Mittelturm sehen, die eckigen, gedrungenen Formen der schweren Geschütze, hin und her laufende Gestalten, die aus allen Richtungen zu kommen schienen.

Die spanischen Soldaten hatten endlich erkannt, daß eine der betäubenden Detonationen, die sie aus dem Schlaf gerissen hatten, nicht von einem Mörser stammte. Jetzt strömten sie aus dem mittleren Turm, luden und schossen bereits im Laufen; ein Teil der Kugeln flog ohnmächtig in die Nacht hinaus, andere rissen vorwärtsstürmende Matrosen zu Boden. Auch aus dem Schatten unter der Brustwehr ertönten Schmerzensschreie.

Während Bolitho mit seinen Leuten die Stufen erstürmte und dabei fast über zwei ineinander verschlungene Tote gestolpert wäre, gab er Bickford ein Zeichen mit dem Degen.

«In den Turm! So schnell Sie können!»

Bickford antwortete nicht erst, sondern rannte blindlings über die offene Fläche.»Mir nach!«brüllte er seinen Männern zu, den Mund wie ein schwarzes Loch im kreideweißen Gesicht.

Bolitho blieb stehen und sah zu den Stufen hin. Wo blieb Lucey? Er hätte bereits hier sein müssen, um den Angriff zu unterstützen und den weiten Hof auf der anderen Seite des Kastells zu besetzen. Schüsse fuhren krachend und blitzend in die innere Mauer. Stahl klang auf Stahl, dazwischen kurze verzweifelte Schreie und Flüche.

Allday brüllte:»Das Wachboot ist hinter ihnen reingekommen, Cap-tain!«Er deutete mit seinem Entersäbel in eine tiefe Scharte.»Mr. Luceys Jungs kämpfen mit ihnen!»

Schon kamen etliche von Luceys Männern die Stufen hinaufgerannt, während andere auf dem Steg, von oben nicht zu sehen, noch mit der Besatzung des Wachbootes im Handgemenge lagen.