Von irgendwoher kam ein heiseres Hurra; ein flaches Gebilde schob sich durch die Bresche, und Allday keuchte:»Da ist die Gig, Captain, und keinen verdammten Augenblick zu früh!»
Jetzt waren die Angreifer in der Überzahl; die Männer des Wachbootes, von zwei Seiten in die Zange genommen, warfen die Waffen weg, und ihre Stimmen gingen im Siegesgeschrei der Matrosen unter.
Aber die Verzögerung durch das Wachboot hatte wertvolle Minuten gekostet, die Bolitho gebraucht hätte, um rechtzeitig die andere Treppe zu erreichen, welche in den Festungshof führte. Schon als er seine Männer einwinkte, sah er die Mündungsfeuer einer geschlossenen Reihe von Musketen, hörte eine Kugel dumpf in Muskeln und Knochen schlagen und neben sich einen Aufschrei. Der Vorstoß der Matrosen stockte; einige blieben auf den Stufen stehen, obwohl Männer aus den Booten nachdrängten.
«Los, Allday!«befahl Bolitho.»Jetzt oder nie!»
Allday schwang seinen Entersäbel und brüllte:»Recht so, Jungs! Stoßt die Tür zu den blöden Ochsen auf!»
Und wieder stießen sie vor. Ein Mann neben Bolitho sank mit einem Schrei zu Boden — der Ladestock einer Muskete stak in seinem Hals. Der Schütze mußte durch den Blitzangriff so durcheinander gewesen sein, daß er vergessen hatte, ihn nach dem Laden herauszuziehen.
Von überallher kamen ihnen jetzt plötzlich Soldaten entgegen, aus allen Ecken, von jeder Richtung. Und in der nächsten Sekunde klang Stahl auf Stahl im Kampf Mann gegen Mann. Sie hieben in der Dunkelheit um sich, mancher stürzte in das Blut seines Kameraden, ein spanischer Offizier hatte einen brüllenden Matrosen niedergehauen und kam auf Bolitho zugerannt. Bolitho riß seine Pistole aus dem Gürtel und drückte ab. Im hellen Mündungsfeuer sah er, wie die Schädeldecke des Offiziers barst und die Wand hinter ihm mit Blut und Hirn besprühte.
Lucey rannte an ihm vorbei, tränenüberströmt, aber mit zusammengebissenen Zähnen, von der wilden Kampfgier seiner Matrosen mitgerissen.
«Da ist die Treppe!«schrie Allday und hieb mit seinem Entersäbel nach einem Mann, der an der Mauer kniete. Vielleicht wollte er seine Muskete laden oder sich auch nur beim Aufstehen auf sie stützen, weil er verwundet war. Ohne einen Laut sank er tot zu Boden.
Im hinteren Teil des Hofes brannte eine Laterne; und als sie halb laufend, halb fallend die Treppe herunterkamen, sah Bolitho, daß sich dort eine Abteilung Soldaten zum Widerstand formierte. Manche waren nur halb bekleidet; andere mit Staub und Mauerbrocken vom
Bombardement der Mörser bedeckt, so daß sie aussahen wie Müllersknechte.
Ein Offizier riß seinen Degen abwärts, und eine Salve krachte aus den schwankenden Musketen. Mehrere britische Matrosen stürzten verwundet zu Boden, aber die Soldaten hatten schlecht gezielt, und zu einer zweiten Salve blieb ihnen keine Zeit mehr.
Wieder wurde Mann gegen Mann gekämpft, Blut spritzte über Sieger und Besiegte gleichermaßen, niemand dachte an etwas anderes als an Töten und Überleben.
Aus dem Augenwinkel sah Bolitho Midshipman Dunstan, der die Gig gesteuert hatte und jetzt seine Abteilung um die Rundung der Mauer zum massiven Doppeltor führte. Ein Soldat sprang auf ihn zu, stieß ihm die Mündung der Pistole direkt vor die Brust und drückte ab. Aber es war ein Versager, und ehe der unglückselige Spanier zurückspringen konnte, wurde er von einem untersetzten Stückmeistersmaaten niedergehauen und erhielt noch mehrere Säbelhiebe von den brüllend vorstürmenden Matrosen.
«Sehen Sie, Captain!«keuchte Allday.»Mr. Bickford hat den inneren Turm genommen!«Weiß glänzten seine Zähne im emporgereckten Gesicht, und Bolitho sah, daß jemand auf der oberen Brustwehr eine Laterne schwenkte — noch vor ein paar Stunden hatte dort oben die spanische Flagge höhnisch geweht.
In diesem Moment sprangen die Tore auf; Bolitho rannte über den unebenen Hof und erkannte zu seinem Schrecken: hinter dem Tor war niemand.
«Jesus«, sagte Allday,»wo sind die verdammten Bullen?»
Noch mehr spanische Soldaten kamen aus dem anderen Tor am Fuße der inneren Mauer gerannt; auf ein lautes Kommando eröffneten sie das Feuer über die Köpfe ihrer versprengten Kameraden hinweg. Dann stürzten sie sich mit aufgepflanzten Bajonetten auf die Angreifer.
Bolitho hob den Degen.»Standhalten, Jungs!«Seine Stimme riß die Männer herum, und er war überrascht, daß sie so fest klang. Und doch drehte sich alles in seinem Kopf, weil Giffards Marine-Infanteristen nicht da waren und seine kleine Truppe bereits gespalten war. Bick-ford hielt den inneren Turm, aber solange sich die untere Garnison und der Hof nicht in ihren Händen befanden, war er eher Gefangener als Sieger.
Keuchend, brüllend, wie wütende Dämonen prallten die schattenhaften Gestalten aufeinander. Die Matrosen mit den Enterpiken waren den Bajonetten gewachsen, doch die, welche nur Säbel hatten, waren dem Tode geweiht; ihre blutenden Leiber wurden nur noch durch den Druck der Kämpfenden aufrecht gehalten.
Bolitho führte einen Hieb zum Hals eines Soldaten, dessen Gesicht sich im Todeskampf zu einer grotesken Maske verzerrte, ehe er unter der schwankenden, um sich hauenden Masse der Männer verschwand. Ein anderer versuchte, ihn mit seinem Bajonett über die Schulter eines Kameraden zu erreichen, doch eine Pike stach zu, und er stürzte zu Boden.
Aber die Linie wankte. Als Bolitho versuchte, sich zum anderen Ende der schwankenden Reihe seiner Matrosen durchzukämpfen, hörte er einen furchtbaren Schrei und sah Leutnant Lucey auf dem Bauch liegen, über sich einen riesigen Spanier mit erhobener Muskete. Im Schein der Laterne glänzte das Blut am Bajonett, ehe der Mann zum zweiten Mal mit aller Kraft zustieß — und obwohl der Soldat einen Fuß auf den Rücken des Leutnants stemmte, konnte er die Klinge nicht herausziehen.
Aber Lucey lebte noch, er schrie wie eine Frau in den Wehen.
«Um Gottes willen!«keuchte Allday und sprang über den schmalen Streifen Kies; ehe der Soldat wußte, was ihm geschah, schnitt ihm Alldays schwerer Entersäbel in blitzendem Bogen quer durchs Gesicht, und sein gurgelnder Schrei übertönte das Knirschen der Klinge auf Fleisch und Knochen.
Aber es hatte keinen Zweck mehr. Bolitho wischte sich die Augen mit dem Ärmel, schlug den Säbel eines Soldaten zur Seite, riß ihn mit herum und stieß ihm den Degen dicht unter der Achselhöhle in die Brust. Sein Degen kam ihm so schwer vor, daß er ihn kaum noch heben konnte; verzweifelt sah er, wie jenseits des Tores zwei bezopfte Matrosen die Hände hoben, um sich zu ergeben.
In diesen kurzen Sekunden stand ihm klar vor Augen, warum sie überhaupt hier waren: seines persönlichen Stolzes oder ganz einfach seiner Eitelkeit wegen. All diese Männer, die von ihm abhingen, waren tot oder schwer verwundet. Bestenfalls würden sie auf spanischen Galeeren elend zugrunde gehen oder in einem Gefängnis verfaulen.
Auch die spanischen Truppen hielten jetzt inne und zogen sich dann auf einen weiteren Kommandoruf zurück. Sie ließen die Toten und die zuckenden, sich windenden Blessierten in der Mitte des Hofes liegen und formierten sich zu den urprünglichen Linien, wobei sie noch Verstärkung aus der unteren Festung bekamen.
Erschöpft senkte Bolitho den Degen und musterte, was von seinen Leuten noch übrig war. Atemlos keuchend klammerten sie sich aneinander, um sich gegenseitig zu stützen, und warteten stumpf wie Verurteilte auf ihre Hinrichtung. Und eine Hinrichtung würde es werden, wenn er sich nicht sofort ergab.
Doch da hörte er wie aus einer anderen Welt einen heiseren Befehclass="underline" »Erstes Glied — nieder knien!«Im ersten Augenblick bildete er sich ein, da gäbe ein spanischer Offizier sein Kommando auf Englisch, um es noch schlimmer für sie zu machen.
«Ziel erfassen!«tönte es weiter. Der eigentlich Feuerbefehl ging im Krachen der Musketen unter, und Bolitho konnte nur auf die Reihen der spanischen Soldaten starren, die unter der tödlichen Salve taumelnd hinsanken.