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Ernst erwiderte er:»Viele gute Männer sind heute gefallen, Mr. Calvert. Es ist an uns, dafür zu sorgen, daß sie nicht umsonst gestorben sind. «Und nach einer kleinen Pause:»Und auch dafür, daß Le-leans Vertrauen nicht enttäuscht wird.»

Noch lange nachdem Calvert gegangen war, saß Bolitho zusammengesunken im Sessel. Was war mit ihm los, daß er Calvert auf solche Weise tröstete? Calvert war unbrauchbar und würde sich wahrscheinlich niemals ändern. Er kam aus einem sozialen Klima, dem Bolitho grundsätzlich mißtraute und gegen das er oft genug Abscheu empfunden hatte.

War es wegen des toten Midshipman? Konnte er sich solche Empfindsamkeit leisten in einem Krieg, der alle Grenzen der Vernunft sprengte und alle traditionellen Gefühle beiseite ließ? Oder identifizierte er Lelean mit Adam Pascoe, seinem Neffen? Wäre es Calvert gegenüber fair gewesen, ihm obendrein Vorwürfe zu machen, daß er in seinem Versteck geblieben war, während er im tiefsten Innern genau wußte, er selbst hätte sich ebenso verhalten, wenn Adam da draußen tot in einer unbekannten Felsenspalte gelegen hätte?

Als das erste Morgengrauen zögernd das Zimmer des Kommandeurs erhellte, saß Bolitho immer noch im Sessel, im Erschöpfungsschlummer dämmernd, ab und zu von neuen Zweifeln und Problemen aufgeschreckt.

Bickford war bereits wach. Er stand oben auf dem mittleren Turm und spähte in den grauenden Morgen. Nach einer Weile konnte er es nicht länger aushallen und winkte einem in der Nähe stehenden Matrosen.»Na, ist es jetzt hell genug?«Der Leutnant grinste übers ganze Gesicht und konnte gar nicht aufhören zu grinsen — seinen Anteil an der Aktion hatte er geleistet, und er lebte noch.»Hiß die Flagge, Mann! Wenn die Coquette das sieht, macht sie Männchen wie ein Hund!»

Um Mittag stieg Bolitho auf den Hauptturm und betrachtete, über die Brustwehr gebeugt, den Betrieb in der Bucht. Gleich nach Sonnenaufgang war die Coquette, gefolgt von Inchs Hekla, durch den engen Kanal unterhalb der Festung gekommen, und eine Stunde später die angeschlagene, stark schrägliegende Navarra. Geschäftig pullten die Boote zwischen der Küste und den Schiffen, von den Außenposten der Marine — Infanterie auf der Landzunge und den Wachen auf dem Fahrdamm hin und her; man konnte leicht vergessen, wie öde und leer es noch am Vortag dort gewesen war.

Er setzte das Teleskop an und suchte über dem vor Anker liegenden Bombenwerfer hinweg nach Leutnant Bickford, der mit seiner Abteilung zwischen den niedrigen Gebäuden bei den Ausläufern der Bucht rekognoszierte. Giffard hatte bereits gemeldet, daß das Dorf — denn viel mehr war es nicht — völlig verlassen sei. Die Fischerboote, die sie bei der ersten Attacke gesichtet hatten, waren nur noch Wracks und seit Monaten nicht mehr benutzt. Überbleibsel aus der Vergangenheit, wie dieses ganze Geisterdorf.

Die einzige gute Beute war jene kleine Brigg, die Turquoise. Sie war ein Handelsschiff, nur mit ein paar unmodernen Vierpfündern und Drehbassen bewaffnet, aber sonst neu ausgerüstet, ein sehr nützlicher Zuwachs auf der Flottenliste. Sie würde ein hübsches Kommando für einen jüngeren Offizier abgeben. Bolitho war entschlossen, dafür zu sorgen, daß Keverne sie bekam — das war nur gerecht.

Er schwenkte das Glas etwas und beobachtete, wie die Navarra dichter an die Küste verholt wurde. Der Steuermannsmaat, der als Prisenkommandant fungierte, hatte so schnell er konnte Segel gesetzt, sobald er die britische Flagge über dem Kastell wehen sah. Die provisorischen Reparaturen hielten nicht mehr, und er hatte gerade noch Djafou erreichen können, bevor die Pumpen es nicht mehr schafften und das Schiff in Gefahr kam zu sinken.

Bolitho war froh, daß Keverne gerade diesen Steuermannsmaaten ausgesucht hatte. Ein nicht so intelligenter Maat hätte vielleicht seine letzte Order, nämlich sich von Land fernzuhalten, wortwörtlich ausgeführt, weil er Unannehmlichkeiten mit seinen Vorgesetzten fürchtete. Dann wäre die Prise tatsächlich verlorengegangen, denn eine halbe Stunde, nachdem sie eingelaufen war, schlief der Wind völlig ein, und von der Landzunge bis zur dunkleren Kimm war die See wie eine tiefblaue Glasplatte. Zahlreiche Boote hatten an der gefährlich schiefliegenden Navarra festgemacht, geschäftig waren Matrosen von den anderen Schiffen dabei, die Ladung zu übernehmen, die schweren Spieren, die Kanonen, das Ankergeschirr abzufieren, um den Rumpf vor dem Aufsetzen möglichst zu entlasten.

Die Mannschaft der kleinen Brigg, die sich ohne Widerstand ergeben hatte, sowie Besatzung und Passagiere der Navarra stellten ein weiteres Problem dar. Sie wurden bereits am Strand in Reihen aufgestellt; die bunten Kleider der Frauen hoben sich lustig vom silbriggrauen Sand und den dunstigen Bergen jenseits des Dorfes ab. Sie alle mußten verpflegt und untergebracht, auch vor marodierenden Berbern geschützt werden, die sich immer noch in der Nähe herumtrieben. Das war nicht so einfach. Für Broughton bedeuteten sie nur eine lästige Komplikation.

Das Geschwader war jetzt vermutlich dicht unter der Kimm, und Bolitho konnte sich vorstellen, daß sich der Admiral, der ja immer noch nicht wußte, ob die Aktion Erfolg gehabt hatte, bis zur Weißglut über die Flaute ärgerte. Aber sie hatte auch ihr Gutes. Denn wenn Broughton nicht nach Djafou konnte, dann konnte es der Feind auch nicht.

Metallisches Klirren und Kreischen an der unteren Brustwehr: Fit-tock, der Stückmeister, beaufsichtigte das Umsetzen einer der auf Eisenlafetten montierten Kanonen, damit die an dieser Stelle beschädigte Mauer provisorisch ausgebessert werden konnte. Die Kanonen hatten bereits bewiesen, daß sie die Einfahrt auch gegen schwere Kriegs schiffe verteidigen konnten. Und wenn die so unschuldig aussehende Hekla in der Mitte der Bucht verankert wurde, dann war selbst ein massiver Infanterieangriff längs der Küste ein erhebliches Risiko.

Er setzte das Glas ab und zerrte an seinem Hemd, das ihm bereits wie ein heißes Handtuch am Leibe klebte. Je mehr er darüber nachgrübelte, was er in Djafou vorgefunden hatte, um so mehr war er davon überzeugt, daß der Ort als Basis unbrauchbar war. Gedankenverloren verschränkte er die Hände auf dem Rücken und begann, langsam auf den heißen Steinen auf- und abzugehen; und wenn seine Füße eine Strecke zurückgelegt hatten, die seiner gewohnten Strecke auf dem Achterdeck der Euryalus entsprach, dann drehte er automatisch um.

Wenn die letzte Entscheidung bei ihm gelegen hätte — hätte er dann anders gehandelt als Broughton? Und würde er jetzt mit einer Mißerfolgsmeldung nach Gibraltar zurückkehren oder weiter nach Osten segeln, ohne den Oberkommandierenden zu fragen, auf die vage Hoffnung hin, eine passende Bucht oder einen passenden Meeresarm zu entdecken? Die Degenscheide schlug ihm bei jedem Schritt an den Schenkel, und seine Gedanken wanderten zu dem gräßlichen Mann-gegen-Mann-Kampf dieser Nacht zurück. Jedesmal, wenn er sich auf so ein tollkühnes Unternehmen einließ, verringerte er damit seine eigenen Überlebenschancen. Das wußte er ganz genau, aber er konnte nicht anders. Fourneaux und mancher andere dachten vielleicht, wenn er seine ihm zukommende Rolle als Flaggkapitän aufgab und persönlich an solchen gefährlichen Aktionen teilnahm, täte er das aus Geltungsbedürfnis oder sinnloser Ruhmsucht. Wie konnte er jenen seine wahren Gründe erklären, wenn er sie nicht einmal selber genau verstand? Eins wußte er jedenfalls: nie würde er seine Männer ihr Leben für einen zweifelhaften, seinem eigenen Hirn entsprungenen Plan riskieren lassen, wenn er nicht mit dabei war und Erfolg oder Mißlingen mit ihnen teilte.

Er lächelte grimmig. Deswegen würde er auch nie Admiral werden. Er mochte eine Schlacht nach der anderen mitmachen, seine Erfahrungen an die kaum ausgebildeten jungen Offiziere weiterge ben, die befördert wurden, um die immer größer werdenden Lücken zu füllen, die der Krieg hinterließ. Und eines Tages, entweder an einem Ort wie diesem oder an Deck irgendeines Schiffes, würde er den Preis bezahlen müssen. Auch jetzt wieder betete er flehentlich, es möge so schnell gehen, wie eine Tür zugeschlagen wird. Und im selben Moment wußte er: das war unwahrscheinlich. Er dachte an Lucey und an jene anderen, die unten in dem großen kühlen Vorratsraum lagen, der als Krankenrevier benutzt wurde. Der Schiffsarzt der Coquette tat sein Bestes, gewiß — aber viele würden langsam sterben, ohne andere schmerzstillende Mittel als den Schnapsvorrat der Festung, der Gott sei Dank reichlich war.