Bolitho zog sich an die Reling und sah sich in dem Chaos aus Qualm und brüllenden Geschützbedienungen nach Meheux um. Er sah die schweißblanken Körper halbnackter Matrosen, pulvergeschwärzt, kaum noch menschenähnlich, wie sie sich in die Taljen warfen und die rumpelnden, quietschenden Lafetten an die Pforten zurückholten. Längs der ganzen Batterie zogen die Geschützführer die Reißleinen ab, spien die Rohre Flammenzungen, rollte der Qualm binnenbords, blendete und erstickte die verzweifelte Mannschaft.
Aber Meheux brauchte keine Anweisungen. Er kauerte neben einem Geschütz, brüllte dem Geschützführer etwas zu, hell leuchteten seine Augen in dem pulververschmierten Gesicht. Immer noch flogen die Kugeln jaulend über das Deck, und ein Matrose, der eine Meldung überbringen sollte, stürzte hin, mit Armen und Beinen um sich schlagend: eine Kugel hatte ihm den Kopf abgerissen.
Dann hob Meheux den Degen; die Kanoniere duckten sich tiefer an den Pforten, wie Wettläufer in Erwartung des Startsignals.»Feuer!«schrie Meheux seinen Männern zu.
Die Salve krachte, und Bolitho sah, wie Fockmast und Großstenge des Franzosen im Rauch verschwanden. Abermals feuerten die unteren Batterien, und der Franzose, von den driftenden Spieren behindert, wurde wieder und wieder getroffen. Als sich der Rauch über der Eu-ryalus verzogen hatte, feuerte der Feind nicht mehr.
Bolitho stürzte fast zu Boden, als Bugspriet und Klüverbaum in die Wanten des französischen Flaggschiffs fuhren und die beiden Schiffsrümpfe mit knirschendem Erzittern aufeinanderstießen.
Mündungsfeuer von Musketen und Drehbassen durchblitzten den Qualm, so daß Bolitho sehen konnte, wie Leutnant Cox von der Marine-Infanterie an der Spitze seines Detachements zum Entern vorging. Im unteren Deck begannen die Backbordgeschütze wieder zu feuern, während die beiden Schiffe wie Teile einer gigantischen Türangel gegeneinanderarbeiteten. Vorn stießen die Kanonenmündungen beinahe aneinander, die Kugeln des Feindes schmetterten durch den Rumpf, warfen Geschütze um und machten aus der unteren Batterie ein grauenvolles Schlachthaus.
Musketenkugeln jaulten über das ungeschützte Achterdeck, und Meheux spähte nach oben, wo die Drehbassen in die Kampanje des Feindes feuerten.
«Holt die Scharfschützen runter!«brüllte er. Doch niemand hörte ihn, so laut war der Kampfeslärm. Verzweifelt kletterte er auf den Decksgang und rief noch einmal durch die hohlen Hände. Ein Seesoldat, das Gesicht zu einem irren Grinsen verzerrt, spähte zu ihm hinunter und richtete dann das Drehgeschütz auf den Großtopp des Feindes. Im Moment, als er die Reißleine zog, bekam Meheux einen Bauchschuß, und mit dumpf überraschter Miene und schon brechenden Augen fiel er hinunter und blieb, von niemandem gesehen, neben einem seiner geliebten Zwölfpfünder liegen.
Broughton sah zu, wie die französischen Scharfschützen von den bösartigen Schrapnells niedergemäht wurden. Manche blieben zappelnd an der Großrah hängen, andere hatten mehr Glück, stürzten an Deck und waren sofort tot.
Dann sagte er gelassen:»Unsere Leute können sie nicht aufhalten.»
Bolitho sah zum Backborddecksgang: die feindlichen Enterer überfluteten bereits das Vorschiff; zwischen den beiden Schiffsrümpfen kämpften noch Angreifer und Verteidiger, Stahl gegen Stahl, Pike gegen Bajonett. Hier und da verschwand ein Mann plötzlich und wurde zwischen den beiden Schiffsrümpfen zermalmt, oder auf einmal stand einer ganz allein auf dem feindlichen Deck und wurde gnadenlos niedergemacht, ehe er nur einen Gedanken fassen konnte.
Ein Offizier der Marine — Infanterie fiel schreiend an Deck, das weiße Lederzeug blutverschmiert, Giffard brüllte wütend:»Cox hat's erwischt!«raste fluchend den Decksgang hinunter und war bald im dichten Getümmel nicht mehr zu sehen.
Immer stärker arbeiteten die beiden Schiffsrümpfe gegeneinander, und mit einem heftigen Ruck zersplitterte der Bugspriet der Euryalus und kam frei; sinnlos flatterte der Klüver wie ein Banner über dem Chaos.
Immer mehr Männer schwärmten von dem anderen Schiff herüber, und Bolitho sah, daß sich eine Gruppe unbeirrt zum Achterdeck durchkämpfte. Wie durch Zauberei tauchte ein junger Leutnant an der Leiter auf und stürzte sich mit geschwungenem Degen auf das Deck. Bolitho versuchte, ihn zu parieren und seitlich abzudrängen, doch mit wildem Triumph in den Augen schlug der Franzose Bolithos Klinge weg und holte zum tödlichen Hieb aus.
Calvert stieß Bolitho beiseite und rief mit steinernem Gesicht:»Der gehört mir, Sir!«Seine Klinge zuckte so schnell nieder, daß Bolitho es überhaupt nicht sah. Er sah nur, daß das Gesicht des Franzosen vom Auge bis zum Kinn aufgeschlitzt wurde und er mit ersticktem Schrei gegen die Reling taumelte. Mit einer eleganten Drehung seines Handgelenks fiel Calvert aus und traf den Franzosen mitten ins Herz.
«Amateur!«sagte er verächtlich, stürzte sich zwischen die Angreifer, suchte sich einen Offizier aus und trieb ihn fechtend gegen die Leiter zurück.
Keverne stolperte durch den Rauch; Blut troff ihm von der Stirn.»Sir!«Er duckte sich unter einem sausenden Entersäbel durch und schoß seine Pistole in den Bauch des Mannes ab, der von der Wucht des Einschlags seinen nachdrängenden Kameraden in die Arme geschleudert wurde.»Wir müssen klarkommen!»
Seine Stimme wirkte sehr laut, und verwirrt merkte Bolitho, daß die Geschütze schwiegen. Durch die offenen Stückpforten beider Schiffe stießen die Männer mit Piken aufeinander ein oder scho ssen blindwütig mit Pistolen.
Bolitho packte Keverne beim Arm; sein Degen hing an einer Kordel vom Handgelenk.»Was ist los, Mann?»
«Ich — ich bin nicht ganz sicher, aber.»
Keverne riß Bolitho zu sich heran und fiel mit seinem Degen nach einem brüllenden Matrosen aus. Der Mann wich zurück, und da stürzte auch schon Allday von achtern herbei — er stieß so heftig zu, daß die Spitze seines Entersäbels am Bauch des Mannes herauskam.
«Der Franzose brennt, Sir«, keuchte Keverne.
Bolitho sah, wie der Admiral ausrutschte, auf die Knie fiel, nach seinem Degen tastete und hilflos einem französischen Unteroffizier entgegenstarrte, der mit gefälltem Bajonett auf ihn zurannte.
Eine schlanke Gestalt warf sich dazwischen, und Bolitho hörte seine eigene Stimme:»Adam! Zurück!»
Aber Pascoe hielt stand, er hatte nur seinen Dolch, doch sein Gesicht war wild entschlossen. Das Bajonett stach zu, aber im letzten Augenblick sprang jemand durch den Rauch, ein blutgeschwärzter Degen stieß die Bajonettklinge nach oben und von der Brust des Jungen weg. Die Muskete ging los. Pascoe taumelte zurück und sah mit Grauen, daß Calvert ihm zu Füßen lag — sein Gesicht war von der Kugel weggerissen. Aufschluchzend stieß er mit dem Dolch nach dem Unteroffizier, der unter dem Stich das Gleichgewicht verlor. Alldays Entersäbel gab ihm den Rest.
Bolitho riß die Augen von der Szene los und eilte zur Bordwand. Hinter dem Großmast des Franzosen stieg eine steile, fedrige Rauchsäule hoch. Männer rannten durch das Luk hinunter; er hörte Schrek-kensrufe, Alarm, das laute Klappern der Pumpen.
Vielleicht war in dem Tohuwabohu eine Laterne umgefallen, oder ein glimmender Putzlappen war irgendwie unter Deck geraten. Aber die Anzeichen eines Brandes waren unverkennbar, und sie mußten sich unbedingt und so schnell wie möglich befreien.
«Weitergeben!«brüllte er.»Untere Batterie neu laden! Feuer erst auf Befehl!»
Er sah sich auf den zerschmetterten Planken um, sah die hingestreckten Toten, die stöhnenden Verwundeten. Es war nur eine schwache Hoffnung, aber mehr hatte er nicht. Wenn sie sich nicht von der Glorieux lösen konnten, würde bald alles ein einziges flammendes Inferno sein.
Der schrille Ruf eines Midshipman:»Fertig, Sir!«Es war Ashton.»Feuer!»
Sekunden später detonierte die untere Batterie in einem einzigen krachenden Donner. Es war, als wolle das Schiff auseinanderfallen; als Rauch und Trümmer hoch über die Netze flogen, sah Bolitho das andere Schiff trunken schwanken unter der Wucht dieser vollen Breitseite.