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Er betrachtete aufmerksam die kabbligen kleinen Wellen, welche die auffrischende Brise vor sich hertrieb: eine große, gutgeschützte Bucht. Wie es heißt, hatte die Königlich Spanische Handelsgesellschaft sie vor einigen Jahren beinahe zufällig in Besitz genommen. Eigentlich hatte sie ihren Stützpunkt weiter nördlich errichten wollen, um Zugang zum Handel mit den Philippinen zu gewinnen. Aber da war Fieber ausgebrochen, es hatte Verluste an Schiffen und Vorräten gegeben, und so hatten sie sich schließlich hier festgesetzt. Es war leicht zu verstehen, warum die Spanier den Mut verloren hatten, und noch leichter war einzusehen, wieviel wichtiger das Gebiet für die Briten sein würde. Beide Indien waren von hier aus erreichbar und desgleichen die weiträumigen, bisher kaum erforschten Reserven des Chinesischen Meeres. So konnte der Stützpunkt Teluk Pendang ein lebenswichtiges Bindeglied sein, vorausgesetzt, er bekam Zeit, sich zu entwickeln, und wurde geschickt regiert. Jetzt, da die Spanier und Franzosen sich aus dieser Gegend zurückgezogen hatten, gab es nur noch die Konkurrenz des holländischen Ostindienhandels.

Bolitho warf einen raschen Blick auf Conways maskenstarres Gesicht. War er der Mann, so etwas in Angriff zu nehmen?

Berufssoldaten sahen selten etwas anderes als die Taktik der unmittelbaren Situation. Und wenn ein solcher Mann noch dazu durch eigene Fehler verbittert und verzweifelt war, so würde er um so weniger zu Kompromissen bereit sein.

«Da kommen Leute aus den Palisaden, Sir!»

Bolitho hob sein Teleskop aufs neue. Zu zweit und dritt kamen sie; einige trugen Musketen, andere hinkten waffenlos über den Sand auf die lange, noch unfertige Pier aus Baumstämmen und Steinen. Manche waren so dunkelhäutig, daß man sie für Eingeborene halten konnte; aber ihre Uniformen waren ohne Zweifel spanisch.

Keiner winkte. Sie standen oder saßen stumpf da und beobachteten das langsame Einlaufen der Fregatte.

«Mein Gott!«murmelte Herrick.»Die sehen ja aus wie Vogelscheuchen.»

«Was haben Sie denn erwartet, Mr. Herrick, Sir?«Ungesehen und ungehört war der Schiffsarzt aufs Achterdeck gekommen. Sein Gesicht und sein Hals sahen wie rohes Fleisch aus.

Mit unbewegter Miene musterte Bolitho ihn.»Sie haben sich inzwischen erholt, Mr. Whitmarsh?»

Der starre Blick des Arztes wanderte zum Kapitän hinüber. Seine Augen waren rotgerändert und schienen in ihren Höhlen zu brennen. Undeutlich murmelte er:»Wir sind am Ziel, wie ich sehe, Sir. «Er tastete nach einem Halt, fand keinen und fiel beinahe lang hin.»Immer geht's nach dem gleichen Muster«, murmelte er.»Erst kommen wir als Schutzmacht, wenn notwendig mit Kriegsschiffen und Soldaten, damit's auch ein richtiges Protektorat wird. Und wenn alles gesichert ist, dann kommen die Kaufleute, und von da an regiert die Flagge der Handelskompanie.»

«Und was weiter?«fragte Bolitho kalt.

Whitmarsh richtete seinen leeren Blick auf ihn.»Dann wird der Landstrich eine Kolonie. Und wenn wir ihn ausgesogen haben wie eine Auster, dann — hick — schmeißen wir die Schale weg.»

Erst jetzt schien Conway zu hören, was er sagte.»Scheren Sie sich unter Deck, Sie versoffener Kerl!«Verzweiflung arbeitete in seinem Gesicht; er mußte sich durch diesen Wutausbruch entlasten.»Oder es wird Ihnen leid tun, beim Himmel!»

Der Arzt brachte eine wacklige Verbeugung zustande.»Aber es tut mir schon jetzt leid, glauben Sie mir! Sie tun mir leid, daß Sie hier eine so elende Aufgabe übernehmen müssen. «Schwankend wendete er sich Bolitho zu.»Und der gute Captain hier tut mir leid, der schließlich zwischen Gerechtigkeit und Tyrannei seinen Kopf hinhalten muß. Und vielleicht am meisten tut mir…«Er taumelte, brach zusammen und blieb unbeweglich liegen wie ein Bündel Lumpen.

«Acht Faden Tiefe!»

Die Meldung des Lotgasten brachte Bolitho in die Wirklichkeit zurück.»Schafft ihn in seine Koje!«befahl er kurz. Einige Matrosen schleppten den leblosen Arzt zum Niedergang, und Bolitho bekam den sauren Gestank von vergossenem Wein und Erbrochenem in die Nase. Da verfaulte ein guter Mann.

Conway starrte immer noch auf die Decksplanken.»Noch eine Sekunde, und ich hätte ihn in Eisen legen lassen. «Er warf Bolitho einen wütenden Blick zu.»Nun?»

«Es war schon etwas an dem, was er sagte, Sir. Was ein Nüchterner nur denkt, spricht ein Betrunkener oft genug aus.»

«Wir sind nahe genug, Sir, glaube ich«, rief Herrick dazwischen.

Bolitho eilte zum Achterdeck, froh, Conways düsterer Stimmung zu entrinnen. Jetzt konnte er die Küstenlinie studieren, die der kleinen Landzunge an Backbord und die der größeren östlichen an Steuerbord. Beide reichten weit ins Meer hinaus und hatten in der Frühsonne bereits einen zartgrünen Schimmer.

«Signalisieren Sie der Rosalind, was wir vorhaben, und dann ankern Sie bitte. «Er wartete, bis die Ankermannschaft über dem Kranbalken bereitstand, dann fügte er hinzu:»Sagen Sie Mr. Davy, er soll unsere Leute zusammenhalten, wenn wir an Land gehen. Ich will keine Seuche an Bord.»

«Glauben Sie, daß es hier Fieber gibt, Sir?«Sekundenlang glomm Angst in Herricks Augen auf. Wie die meisten Seeleute konnte er Blut und Breitseiten verkraften, auch die harte Disziplin, die seinen Alltag beherrschte. Aber das Unbekannte, die Schrecken der Seuchen, die ein ganzes Schiff dienstunfähig machen, es in ein schwimmendes Grab verwandeln konnten — das war etwas anderes.

«Wir werden es bald merken.»

«Die Rosalind hat unser Signal bestätigt, Sir.»

Keen schien so munter und sorglos wie immer zu sein. Sogar Armitage blickte beinahe erwartungsvoll zum Land hinüber.

«Ruder legen!»

«An die Leebrassen!»

Das Ruder schwang herum, und Bolitho schritt auf Conways Seite hinüber, um dem Gerenne der Matrosen auf dem Achterdeck aus dem Wege zu gehen; langsam drehte die Fregatte in den Wind.

«Wollen Sie auf Don Puigserver warten, Sir?»

Conway blickte ihn an; an seinem Hals zuckte ein Nerv, als der Anker mit einer mächtigen Schaumkaskade ins Wasser platschte.

«Muß ich ja wohl. «Er spähte zur Brigg hinüber, die schon an ihrer Ankertrosse schwojte.»Ich wünsche, daß Sie mich begleiten.»

«Es ist mir eine Ehre, Sir.»

«So, finden Sie?«Conway nahm den goldbetreßten Hut ab und fuhr sich mit der Handfläche über das graue Haar.»Wir werden ja sehen«, sagte er mit bitterem Lächeln.

Noddall kam mit Bolithos Degen an Deck, zog sich aber sehr schnell zurück, als Allday ihn wütend anknurrte:»He — gib mir das!«Er eilte zu Bolitho und schnallte ihm den Degen sorgfältig um.»Was der sich einbildet!«murmelte er dabei. Dann richtete er sich auf und starrte die Boote an, die hochgehievt und ausgeschwungen wurden.

«Da haben wir eine lange Reise hinter uns gebracht, Captain. «Er wandte sich halb um und beobachtete, wie auch die Boote der Brigg abgefiert wurden.»Das ist kein guter Ort, finde ich.»

Aber Bolitho hörte nicht hin. Er sah zu, wie die Seesoldaten in die dümpelnden Boote kletterten, mit ihren roten Röcken, den ständig ausrutschenden Stiefeln und, wie immer, mit mächtigem Waffengeklirr. Hauptmann Bellairs inspizierte jeden einzelnen und ganz besonders den jungen Corporal, der die verhüllte Flagge Englands trug, die bald über dem fremden Boden wehen sollte.

Wie viele Marineoffiziere hatte sich auch Bolitho oft die Inbesitznahme neuer Gebiete im Geist ausgemalt; aber dann war das Zeremoniell großartiger und glänzender gewesen: endlose Reihen von Soldaten, dazu Militärkapellen, eine hurraschreiende Volksmenge, und der ebenso prachtvolle wie mächtige Anblick der draußen vor Anker liegenden Kriegsschiffe. Jetzt sah er das ganz anders. Aber es war schließlich nur ein Anfang. Klein, doch darum nicht weniger beeindruckend.

«Na, dann wollen wir mal«, sagte Conway.»Wie ich sehe, ist der Don schon unterwegs.»

Tatsächlich ruderten die Boote der Brigg bereits auf die Küste zu; das eine trug die spanische Flagge, das andere die der East India Company. Erleichtert stellte Bolitho fest, daß Viola Raymond an Bord geblieben war.