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Bolitho sah ihn nachdenklich an. Später würden sie darüber reden. Aber wenn man mittendrin steckte, zwischen allen anderen, dann hatten Diskussionen wenig Sinn. Man wußte nie vorher, wie sich ein Mann verhalten würde, wenn es wirklich hart auf hart ging. Alles war drin: Stolz, Wut, Wahnsinn — und weiß Gott was noch. Selbst Herricks vertrautes Gesicht hatte sich verändert — und auch sein eigenes, zweifellos.

«Wir folgen ihm so dicht es geht unter Land«, sagte er.»Dann muß er sich entscheiden: streichen oder kämpfen. «Er nahm die Degenklinge von seiner Schulter. Jetzt war die Eiseskälte einer Hitze gewichen, als sei der Stahl ein heißgeschossener Flintenlauf.

«Der Steuermann ist ein Narr«, bemerkte Mudge.»Er hätte viel früher wenden sollen. Ich hätte es so gemacht. Vor unserem Bug vorbeikreuzen, ehe wir ihn hätten wegputzen können. «Er grunzte verächtlich.»Eine zweite Chance kriegt er nicht.»

Bolitho blickte zu ihm hinüber. Mudge hatte natürlich recht. Die Undine trieb ein gefährliches Spiel, indem sie so leichtsinnig eine Leeküste ansegelte; aber die beiden Schoner hatten noch viel mehr riskiert.

Eben sagte Herrick:»Prisenkommando auf den einen, und den anderen nehmen wir in Schlepp, wie? Wir sollten ganz schönes Geld für die beiden Schoner bekommen, Sir, auch wenn der eine kaum mehr als eine Hulk ist.»

Bolitho beobachtete den zerschossenen Schoner und erwiderte nichts. War Muljadi an Bord gewesen? Sterbend oder vielleicht schon tot unter seinen Männern? Das wäre immer noch besser für ihn, dachte er, als Puigserver in die Hände zu fallen.

«An Deck!«Der Ruf des Ausgucks ging fast unter im Brausen der Gischt und dem Rauschen des Windes.»Schiff achteraus an Backbord!»

Bolitho fuhr herum und dachte eine Sekunde lang, der Ausguck sei zu lange in der Sonne gewesen. Erst konnte er nichts sehen, aber dann erkannte er Fock und Vormarssegel eines anderen Schiffes, das gerade die letzte Landspitze rundete, von der sie sich vorhin so vorsichtig in Verfolgung des Schoners freigehalten hatten.

«Wer ist das?«fragte Herrick bestürzt und starrte Bolitho an.»Die Argus!»

Der nickte grimmig.»Ich befürchte es, Mr. Herrick.»

Er versuchte, gleichmütig zu sprechen, obwohl alles in ihm danach schrie, etwas zu unternehmen, das Unmögliche zu wagen. Wie leicht er es ihnen gemacht hatte! Er hatte sich von den beiden Schonern ablenken lassen wie ein Fuchs, der zwei Hasen auf einmal jagen will. Le Chaumareys mußte ihnen längs der Küste gefolgt sein — er hatte Bolithos Gedankengänge erraten, ohne ihn auch nur zu sehen.

«Dann, bei Gott«, rief Herrick aus,»werden wir diesen Franzosen zum Teufel jagen! Der hat hier gar nichts zu suchen!»

«Sie kommt schnell auf, Sir!«rief Keen.

Bolitho spähte hinüber. Die Argus war an Bäckbord schon fast in Höhe ihres Achterdecks, nahm ihnen den Wind weg, genau wie er selbst es mit den Schonern hatte machen wollen. Jetzt saß die Undine in der Falle. Sollte er auflaufen oder versuchen, sich nach Luv durchzukämpfen? Die Sonne blitzte auf der ihnen zugekehrten Rumpfseite der mächtigen Fregatte, und über ihrem milchigen Fahrwasser wurden kleine Schattenstriche sichtbar — sie rannte ihre Breitseite aus. Bolitho dachte an den Mann, der diese Kanonen befehligte. Wie mochte ihm in diesem Augenblick zumute sein?

Leise fragte Herrick:»Achtzehnpfünder, nicht wahr, Sir?«Gespannt blickte er Bolitho ins Gesicht, als hoffe er, sein Kapitän würde die Stärke des Gegners bestreiten.

«Ja«, sagte Bolitho und holte Atem, denn an der Gaffel des Franzosen stieg eine Flagge hoch: schwarz und rot wie die auf den beiden Schonern. Also fuhr er mit Kaperbrief. Als Mietling einer fremden Macht, und die Flagge sollte den Anschein der Legalität wahren.

Keen setzte sein Teleskop ab und sagte hastig:»Sie ist jetzt fast in Höhe des entmasteten Schoners, Sir. «Es gelang ihm, in ruhigem Ton zu sprechen, aber seine Hände zitterten heftig.»Es sind ein paar Männer im Wasser. Vermutlich über Bord gegangen, als die Masten runterkamen.»

Bolitho nahm das Glas. Ihm wurde kalt, als er sah, wie die Fregatte mitten durch die Schiffbrüchigen segelte und einige sogar überrannte. Wahrscheinlich sah der Kapitän nur die Undine und hatte die Unglücklichen überhaupt nicht bemerkt.

Er sprach lauter als sonst und hoffte nur, die anderen würden nicht gänzlich den Mut verlieren, weil seine Stimme so seltsam klang.»Wir ändern gleich den Kurs. «Den unausgesprochenen Protest in Mudges finsterem Gesicht ließ er unbeachtet.»Aber jetzt — Bramsegel weg, Mr. Herrick. Das erwartet der Franzose von uns, als Vorbereitung zum Kampf. «Und mit einem Blick auf Mudge:»Mit etwas weniger Tuch bleibt uns etwas mehr Platz, um ihm die Stirn zu bieten.»

«Das heißt also, wir segeln vor ihrem Bug vorbei, Sir«, erwiderte Mudge heiser.»Aber selbst wenn wir durch den Wind kommen, ohne daß es uns die Rahen abreißt — was dann? Dann überholt uns die Argus achtern und verpaßt uns dabei eine Breitseite ins Heck!»

Bolitho blickte ihm kühl ins Gesicht.»Ich rechne darauf, daß er unbedingt den Windvorteil behalten will, denn sonst werden die Rollen vertauscht. «Aber in Mudges winzigen Augen las er kein Begreifen.»Oder wollen Sie lieber, daß ich die Flagge streiche, he?»

Mudge wurde rot vor Wut.»Das war nicht fair, Sir!»

Bolitho nickte.»Ein Seegefecht ist es auch nicht.»

Mudge wandte den Blick ab.»Ich werde mein Bestes tun, Sir. Ich bringe sie so hart an den Wind wie noch nie. «Er tippte auf die Kompaßbussole.»Wenn der Wind hält, sollten wir fast genau West steuern können. «Er trat zum Ruder.»Mit Gottes

Hilfe!»

Eben rutschten die Toppmatrosen wieder an Deck, und Bolitho spürte, wie die Undine unter Mars- und Vorsegeln ins Stampfen geriet. Mit einem raschen Blick stellte er fest, daß sein Gegner desgleichen tat. Der brauchte sich keine Sorgen zu machen; die Undine mußte sich zum Kampf stellen, sie hatte gar keinen Seeraum zur Flucht. Langsam schritt er auf und ab, trat, ohne hinzusehen, über die Zugleinen der Sechspfünder, streifte im Vorbeigehen den gebeugten Rücken eines Matrosen am Geschütz. Sicherlich beobachtete der Kapitän der Argus jede seiner Bewegungen. Seine Chance — wenn er überhaupt eine bekam — würde nur Sekunden, bestenfalls wenige Minuten dauern. Er blickte zur Landzunge hinüber. Sie wirkte jetzt sehr nahe, öffnete sich an Backbord wie ein riesiger Schlund, der das Schiff als Ganzes verschlingen wollte.

Dann trat er an die Achterdeckreling und rief:»Mr. Soames! Ich brauche eine Breitseite, sowie wir wenden! Die Chance, daß Sie ihn treffen, ist nur gering, aber die plötzliche Attacke wird ihn vielleicht verwirren. «Langsam glitten seine Blicke über die emporgewandten Gesichter auf dem Geschützdeck.»Das Nachladen und Ausrennen muß schneller gehen als je zuvor. Die Argus ist ein starkes Schiff und wird ihr schweres Kaliber voll einsetzen. Wir müssen nahe heran. «Sein Grinsen fühlte sich wie eingefroren an.»Zeigt ihnen, daß wir besser sind, ganz egal, unter welcher Flagge sie fahren!»

Ein paar Mann schrien hurra, aber es war kein beeindruckender Salut.

Gelassen sagte Herrick:»Klar zur Wende, Sir.»

Stille. Bolitho blickte noch einmal hinauf, der Wimpel stand wie vorhin. Wenn der Wind etwas rückdrehen wollte, wäre das eine kleine Hilfe. Aber ein Ausschießen wäre katastrophal. Eben stapfte Soames nach achtern und verschwand unter Deck. Er wollte die Heckzwölfpfünder inspizieren, die, sobald das Schiff auf dem neuen Bug lag, als erste den Gegner vor die Pforten bekommen würden. Davy stand am Fockmast und schickte einige Leute seiner Geschützbedienungen als Verstärkung der Backbordbatterie nach achtern. Wenn die Achtzehnpfünder der Argus erst Ernst machten, würden sie viele Ersatzleute brauchen, dachte Bolitho grimmig.