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«Siebzehn Faden!«sang der Mann am Lot aus. Seine Stimme übertönte das Flappen der Leinwand. Die Großsegel waren jetzt wieder aufgegeit, und die Undine glitt stetig auf die kleine Insel zu. Eben tippte Shellabeer dem Mann auf die Schulter und ließ sich das Lot geben. Er befühlte das talggefüllte Bodenstück und meldete dann:»Felsiger Grund, Sir.»

Bolitho nickte. Das Inselchen war so, wie Mudge es beschrieben hatte: eine isoliert stehende Felsenklippe, kein eigentlicher Teil des Meeresgrundes.

«Klarmachen zum Ankern, Mr. Herrick!«Er ließ sich von Penn ein Fernglas geben und suchte sorgfältig die Felszacken der Insel ab. Sie lagen jetzt etwa fünf Kabellängen entfernt, aber es war nahe genug um zu sehen, daß der erste Eindruck falsch gewesen war. Die Insel sah jetzt keineswegs mehr wie ein glatter Walfischrücken aus. Die Felsen waren bläulichgrau wie die Schiefergebirge in Cornwall. Wind und Wetter hatten tiefe

Klüfte hineingegraben, so als hätte ein Riese versucht, die Insel in Stücke zu hacken. Abgesehen von ein paar Büschen Stechginster und sonstigen Steinpflanzen sah sie kahl und unwirtlich aus, aber in vielen kleinen Spalten hockten zahllose Seevögel, und andere kreisten hoch oben in der Luft, etwa dreihundert Fuß über dem Wasser, seiner Schätzung nach.

Herrick gab mit lauter Stimme seine Befehle; die Takelung knarrte und krachte, als die Undine in einer plötzlich aufkommenden Dünung rollte. Das Wasser sah tief aus, aber das war Täuschung. Am Fuße der nächstgelegenen Klippe gab es ein paar schmale, steinige Strände; vermutlich war der sicherste Ankerplatz auf der anderen Seite, dort wo sich das unbekannte Schiff versteckt hatte. Hier auf dieser Seite lief auch eine Brandung; steil und bösartig schäumte sie um die einzig sichtbare Stelle, wo eine Landung möglich schien.

«Ruder nach Lee!«Das Schiff glitt leicht in den Wind; er fing die Bewegung mit dem Glase ab und suchte nach irgendeinem Zeichen von Leben, einer geringfügigen Bewegung, die anzeigte, daß man sie gesehen hatte.

«Fallen Anker!»

Das Aufplatschen des Ankers klang ungebührlich laut; diese gottverlassenen Klippen schienen den Schall ärgerlich zurückzuwerfen.»Lebhaft, Jungens!«rief Herrick.»Boote klar zum Aussetzen, Mr. Davy!»

«Mr. Herrick«, warf Bolitho dazwischen,»der Mann am Lot soll jetzt genau aufpassen, ob der Anker hält. Wenn er auf dem felsigen Grund rutscht, müssen wir mehr Kette stecken.»

«Aye, Sir. «Und Herrick eilte davon. Er hatte alle Hände voll zu tun.

Trag schwojte und zerrte das Schiff an der Kette; es wurde jetzt ruhiger, einige Seevögel verließen ihre luftigen Plätze und zogen über den Masttopps ihre Kreise. Schwer atmend kam Herrick wieder.»Es scheint, wir liegen ziemlich sicher, Sir. Aber ich habe die Ankerwache angewiesen, scharf aufzupassen. «Er spähte mit zusammengekniffenen Augen zur Küste hinüber.»Das sieht ja wie ein Kirchhof aus.»

«Zwei Boote brauchen wir«, sagte Bolitho nachdenklich.»Gig und Kutter sind genug. Die müssen flott durch die Brandung. Steiler Strand, anscheinend. Teilen Sie also einen guten Bootsmann für den Kutter ein. «Er sah, daß Allday bereits durch Handzeichen das Anhieven und Aussetzen der Gig dirigierte, und fügte lächelnd hinzu:»Ich denke, me in Boot ist in guten Händen.»

Herrick fragte betroffen:»Wollen Sie denn mit an Land, Sir?»

«Nicht weil es mich nach Ruhm gelüstet, Thomas. «Er senkte die Stimme. Die eingeteilten Besatzungen traten jetzt bei den Waffenkisten zur Musterung an.»Aber ich muß zum mindesten wissen, womit wir es zu tun haben.»

Herrick war anscheinend nicht überzeugt.»Aber wenn das andere Schiff zu den Piraten gehört — was dann, Sir? Dann werden Sie doch sicher wenden wollen und den Kerl unter Feuer nehmen, wenn er versucht freizuschlippen.»

«Nein. «Er schüttelte bestimmt den Kopf.»Der liegt da hinten sicher vor Anker. Und dort ist das Wasser zu flach, als daß ich nahe genug herankönnte, um ihn unter Feuer zu nehmen. Wenn er erst mal auf hoher See ist, dann kann er uns zum Besten haben, wie er will — ich fürchte, wir sind unter diesen Umständen einfach nicht beweglich genug. Und außerdem«, fügte er hart hinzu,»will ich ihn entern.»

«Boote liegen längsseits, Sir!«meldete Davy. Ein krummer Entersäbel baumelte an seiner Seite. Bolitho faßte seinen eigenen Degen. Indessen betrachtete Hauptmann Bellairs die Boote, die ohne ihn fahren sollten, mit wachsendem Ärger.

«Hauptmann Bellairs«, rief Bolitho,»ich wäre Ihnen verbunden, wenn ich für jedes Boot drei Ihrer allerbesten Scharfschützen haben könnte. «Bellairs wurde zusehends heiterer und blaffte Sergeant Coaker an:»Äh — Beeilung, Sa'rnt! Eigentlich müßten sie ja allesamt erstklassige Scharfschützen sein, wie?»

Herrick grinste.»Sie denken auch an alles, Sir.»

Bolitho ließ das Glas aufs neue über die Insel gleiten, dort wo eben ein paar Seevögel elegant auf einer Klippe landeten. Das würden sie nie tun, wenn Menschen in der Nähe wären.»Kann ja sein, daß Seeleute besser klettern können, aber eine gutgezielte Kugel im richtigen Moment ist nun mal nicht zu schlagen.»

Er nickte Davy zu.»Mannschaften in die Boote!«Und dann zu Herrick, ganz beiläufig:»Wenn etwas schiefgeht, finden Sie die Befehle des Admirals in meiner Kajüte.»

«Sie können sich auf mich verlassen, Sir«, antwortete Herrick und machte wieder sein besorgtes Gesicht.»Aber ich bin sicher, daß. .»

Lächelnd tippte Bolitho ihm auf den Arm.»Ja. Aber denken Sie trotzdem an die Befehle. Wenn es nötig ist, führen Sie sie aus — nach Ihrem eigenen Ermessen!»

Langsam schritt er zum Fallreep an den angetretenen Matrosen und Seesoldaten vorbei. Jetzt kannte er sie; von jedem einzelnen wußte er, wie er hieß und was er taugte.

Midshipman Armitage schien verwirrt und außer Fassung zu sein.»Sir! Die Scharfschützen wollen ihre Uniformröcke nicht ausziehen. «Ein paar von den Matrosen stießen einander grinsend in die Rippen, und Armitage bekam einen roten Kopf.

Bellairs krähte:»Äh — meine Männer können schließlich nicht wie die verdammten Landstreicher rumlaufen, wie?«Und zu Bolitho mit einem raschen, entschuldigenden Blick:»Das geht doch nicht, Sir, nicht wahr?»

Bolitho schlüpfte aus seinem blauen Rock und warf ihn Noddall zu, der sich bei der Achterdecksleiter herumtrieb.»Ist schon in Ordnung. «Ernsthaft nickte er den Marineinfanteristen zu.»Wenn ich ein bißchen Autorität ablegen kann, dann können Ihre Leute das bestimmt auch. «Der Sergeant sammelte die roten Röcke und die Tschakos ein, und der Ehre war offenbar Genüge getan. Trotzdem fügte er noch hinzu:»Außerdem wird es eine schwierige Kletterei geben, und wer weiß, was danach kommt.»

Einen Moment noch überblickte er die schwankenden Boote und dachte nach, was er wohl vergessen haben könnte. Halblaut sagte Herrick:»Viel Glück, Sir.»

Bolitho warf noch einen Blick auf die Männer am Fallreep und in den Wanten.»Auch Ihnen, Thomas. Halten Sie die Leute in Alarmbereitschaft, Wache um Wache. Sie wissen, was Sie zu tun haben. «Er sah, wie Armitage zwischen den Rudergasten in der Gig herumstolperte. Es war beinahe grausam, ihn mitzunehmen. Und obendrein ein Risiko. Aber irgendwann mußte er ja mal anfangen. Wenn jemand so eine Mutter hat wie Armitage, dachte er, dann ist es überhaupt ein Wunder, wenn er zur See geht. Wäre Keen an Bord gewesen, hätte er den mitgenommen. An der Reling stand Penn und sah sehnsüchtig auf die Boote hinunter. Der wäre mit Freuden mitgefahren.»Tiger «nennen ihn die Matrosen, dachte Bolitho amüsiert.

Dann kletterte er in die Gig. Diesmal wurde nicht Seite gepfiffen. Ein Gefühl der Spannung überkam ihn, als die Boote ablegten.»Nehmen Sie die Spitze, Allday!«befahl er. Bei jedem Schlag der Riemen stiegen die felsigen Klippen höher und höher aus dem Wasser, und Bolitho konnte die starke Unterströmung spüren. Die Dünung brach sich und sprang als schäumende Brandung auf den Strand. Achteraus stampfte der Kutter durch das glitzernde Sprühwasser; über den Schultern der Rudergasten schwankte Davys Kopf. Auch der Leutnant spähte aufmerksam zur Insel hinüber. Woran mochte er denken? Daß er auf diesem gottverlassenen Fleck seinen Tod finden könnte? Oder daß er dem so dringend benötigten Prisengeld einen Schritt näher sein mochte? Bolitho wischte sich die Spritzer vom Gesicht und konzentrierte sich auf die schnelle Anfahrt. Im Augenblick war die Gefahr des Ertrinkens größer als jede andere.